„Zinsniveau mittelfristig niedrig verankert“
Christopher Kalbhenn.
Herr Veit, wir erleben gerade eine geldpolitische Wende, angeführt von der Fed. Wie sehen Ihre Erwartungen aus?
Wir haben eine grundsätzliche Lektion gelernt: Es ist einfacher für Zentralbanken, in eine akkommodierende Politik hineinzugehen als wieder herauszugehen. Der Rückzug ist kompliziert, weil viel kommunikatives Geschick dazugehört. Die Zentralbanken nehmen den Exit jetzt in Angriff, aber es ist wichtig zu differenzieren. Es gibt Zentralbanken, die jetzt die Notwendigkeit zur Wende sehen, und andere, die geduldiger sind. Wichtig sind in diesem Kontext die Fed, die Bank of England und die EZB.
Das heißt konkret?
Die Fed hat angekündigt, die Anleihekäufe zurückzufahren, und wird den Prozess bis Mitte 2022 abschließen. Aber es wird vor Ende 2022/Anfang 2023 keine Leitzinserhöhung geben. Die Bank of England hat sich entschieden, zunächst noch abzuwarten. Eine Zinsanhebung wird es wahrscheinlich Ende dieses oder Anfang kommenden Jahres geben, also auch hier kein aggressiver Zinszyklus. Für die EZB wird die Dezember-Sitzung wichtig. Sie wird über das PEPP-Programm entscheiden, in dessen Rahmen sie derzeit für rund 70 Mrd. Euro monatlich Anleihen kauft, neben den regulären 20 Mrd. Euro des APP. Wir glauben nicht, dass die Käufe nach dem Ende von PEPP im März von 2022 von 90 Mrd. auf 20 Mrd. Euro fallen werden. Vielmehr wird die EZB den Pfad glätten. Wir rechnen mit einem Rückgang von 90 Mrd. auf 40 bis 60 Mrd. Euro pro Monat im zweiten Quartal 2022. Anleihekäufe der EZB wird es auf sehr lange Sicht geben, Zinserhöhungen sind sehr, sehr weit weg.
Wie stark könnten die Leitzinsen nach Ihrer Einschätzung steigen?
Selbst wenn die Fed irgendwann anfängt, ihren Leitzins zu erhöhen, wird sie dies nicht aggressiv tun. In den vorigen Dekaden lagen die Leitzinsen am Ende eines Erhöhungszyklus stets unter dem Niveau des jeweils zurückliegenden Zyklus. Das wird auch dieses Mal so sein. Damit wird das Zinsniveau mittelfristig niedrig verankert sein.
Was bedeutet das für die Anleihemärkte?
Aufgrund des derzeit eingepreisten Endpunktes des Zinszyklus kann es durchaus sein, dass die Verzinsung der zehnjährigen Treasury in einen Bereich von 2% steigt. Wir glauben nicht, dass sie deutlich darüber handeln wird. Die zehnjährige Bundrendite kann sicherlich mal in den leicht positiven Bereich steigen, aber wahrscheinlich nicht materiell darüber. Das hängt auch von der Inflation ab. Nach unserer Meinung wird sie im kommenden Monat ihr Hoch erreichen, dann aber nachlassen. Die Inflation wird die EZB nicht zur Abkehr von der akkommodierenden Politik veranlassen.
Wie sollen sich Anleger am Anleihemarkt positionieren?
Im globalen Fixed-Income-Bereich erwarten wir ein anhaltend niedriges Zinsniveau. Die Zentralbanken sind in ihrer Kapazität, die Leitzinsen zu erhöhen, limitiert. Deshalb rechnen wir mit sogenannten „Range bound“-Märkten, was die Zinsen angeht. Inflationsgebundene Anleihen sind interessant. Wir erwarten zwar keine starke Inflation. Aber sie bieten einen guten Schutz für den Fall, dass die Inflation ausgeprägter ausfallen sollte als angenommen. Gute Chancen sehen wir auch im Emerging-Markets-Bereich. Dort muss man zwar selektiv sein. Aber es gibt gute Opportunitäten.
Was halten sie von Unternehmensanleihen?
Auch dort gibt es gute Opportunitäten. Die grüne Transformation, die digitale Transformation und die soziale Transformation werden Gewinner und Verlierer hervorbringen. Deswegen muss man auch in diesem Segment aktiv vorgehen. Bei Unternehmensanleihen ist es wichtig, nicht generisch in den Markt zu investieren, sondern aktiv Unternehmen auszusuchen, die von den Transformationsprozessen profitieren werden.
Was verstehen Sie unter den relevanten sozialen Transformationsprozessen?
Unter anderem den Trend, dass man versucht, die erwirtschafteten Erträge gleicher zu verteilen, die soziale Ungleichheit etwas zu nivellieren. Dies ist ein Trend, den die Pandemie verstärkt hat. Das Pendel war lange Zeit auf der Arbeitgeberseite. In den nächsten Jahren wird es stärker auf der Arbeitnehmerseite sein. Wir sehen auch in China den Versuch, sozial schwächeren Segmenten der Bevölkerung etwas mehr Unterstützung zukommen zu lassen. Hinzu kommt die Arbeitskräfteknappheit. Unternehmen müssen sich stärker aktiv um Arbeitnehmer bemühen als in der zurückliegenden Dekade. Zu den Themen „working from home“ und „work/life balance“ gibt es viele Unternehmen, die profitieren sollten.
Wer sind die Profiteure der grünen Transformation?
In der zurückliegenden Dekade wurde viel in Software investiert. Jetzt steht physikalische Infrastruktur im Vordergrund. Profiteure sind etwa die Bereiche Halbleiter und Automatisierung. Auch die Bereiche grüne Energie und Mobilität sind interessant. Wenn in weniger zukunftsträchtige Bereiche investiert wird, muss eine angemessene Risikoprämie verlangt werden. Die gilt beispielsweise für Investments in Unternehmen und Länder, die stark in „alten“ Sektoren repräsentiert sind.
Welche Implikationen hat das sich verändernde Umfeld für Aktien?
Auch hier werden die Transformationen Gewinner und Verlierer hervorbringen, was Sektoren und Länder betrifft. Wir sind weiterhin konstruktiv, was Aktien angeht. Aber wie bei den Unternehmensanleihen muss man aktiv die Gewinner suchen und nach Möglichkeit versuchen, die Verlierer zu meiden. Insgesamt haben wir sowohl für Aktien als auch für Anleihen für die kommenden Jahre niedrigere Renditeerwartungen als etwa in der vorigen Dekade. Erstens werden wir mehr Unsicherheit und Volatilität haben als in den zurückliegenden Jahren. Zweitens sind die Ausgangsbewertungen nun recht hoch.
Das Interview führte