Reservewährung

Zu früh für den Abgesang auf den Dollar

Die aktuellen geopolitischen Konflikte schwächen den Dollar in seiner Rolle als wichtigste Reservewährung. Dennoch wird es noch sehr lange dauern, bis der Greenback in dieser Funktion abgelöst wird.

Zu früh für den Abgesang auf den Dollar

Von Sven Schubert*)

Die Ablösung des Dollar als Reservewährung der Welt wird nicht erst seit gestern prophezeit. Der russische Angriff auf die Ukraine hat diese Stimmen jedoch lauter werden lassen. Das zentrale Argument für einen Abtritt des Dollar besteht in der immer größer werdenden chinesischen Wirtschaftskraft und dem Verlust der geopolitischen Dominanz der USA. Grundsätzlich stimmen wir der These zu, dass wir vor einer stärker bipolar ausgerichteten Weltordnung stehen, wie wir bereits 2019 in einem White Paper thematisiert haben. Wir widersprechen jedoch der Schlussfolgerung, dass der Dollar seinen Status als Reservewährung in absehbarer Zeit verlieren wird, da es schlicht an einer Alternative mangelt. Dennoch sind wir überzeugt, dass der US-Dollar einen Teil seiner Dominanz einbüßen wird. Doch falls man aus der Vergangenheit Schlüsse ziehen kann, wird dieser Prozess äußerst langsam ablaufen.

Zenit überschritten

Die Dominanz des Dollar ist in mehrfacher Hinsicht weiterhin überwältigend. Das betrifft die Fakturierung im Handel, wobei der Dollar die Hauptwährung in Handelsverträgen bleibt, und die Devisentransaktionen, an denen der Dollar zumeist beteiligt ist, ebenso wie den Anteil an den Zentralbankreserven. Oder in Zahlen ausgedrückt: Der Dollar ist in 88% der Devisentransaktionen eine der beiden gehandelten Währungen – beim Yuan sind es lediglich 4%. Etwa 40% der weltweiten Handelsverträge lauten auf Dollar, obwohl die USA nur etwa 12% des globalen Handelsvolumens ausmachen. Dagegen wurde im Jahr 2020 nur 20% der eigenen Handelstätigkeit Chinas in Yuan abgewickelt. 59% Prozent der globalen Zentralbankreserven lauten auf Dollar und nur 3% auf Yuan. China selbst hält wahrscheinlich 40 bis 50% seiner Devisenreserven in Dollar und steuert seine eigene Währung anhand eines Währungskorbs, der auf den Dollar ausgerichtet ist.

Berücksichtigt man jedoch die wachsende Bedeutung der chinesischen Volkswirtschaft – das chinesische BIP übertrifft das der USA bereinigt um die unterschiedliche Kaufkraft seit 2017 –, so erscheint der Yuan in diesen Devisenstatistiken unterrepräsentiert und dürfte in Zukunft Marktanteile hinzugewinnen. Dies gilt insbesondere für die Fakturierung im Handel: China hat seinen Einfluss in Ländern entlang der Neuen Seidenstraße ausgebaut und verfolgt in der Region Asien-Pazifik eine aggressivere Außenpolitik. Als Beispiel für die sinkende Bedeutung des Dollar werden auch die Handelsbeziehungen zwischen Russland und China genannt. Beide Länder haben bereits vor zehn Jahren angekündigt, sich vom Dollar unabhängiger zu machen. Der Anteil der US-Währung an Handelsgeschäften zwischen Russland und China ist seitdem tatsächlich von 90% auf zehn Prozent gesunken. Doch bei Handelsgeschäften mit anderen Ländern sinkt der Anteil des Dollar deutlich langsamer. Zudem wird er oft durch den Euro ersetzt und nicht durch den chinesischen Yuan.

Die Bedeutung des chinesischen Yuan dürfte künftig wachsen, doch es bleibt unwahrscheinlich, dass der Dollar seinen Status als Reservewährung einbüßen wird. Denn wirtschaftliche Dominanz allein genügt nicht, um zur weltweiten Reservewährung zu werden. Das Beispiel des britischen Pfund zeigt dies deutlich. Obwohl das BIP der USA das BIP von Großbritannien schon Ende des 19. Jahrhunderts hinter sich ließ, wurde der Dollar erst während der Weltwirtschaftskrise in den späten 1920er Jahren zur globalen Reservewährung.

In anderen Bereichen – etwa militärischer Stärke und technologischem Fortschritt – hat zwar China gegenüber den USA aufgeholt, liegt aber auch hier nach wie vor weiter zurück. So berichtete am 26. Februar die internationale Wochenzeitung „Economist“ über ein Forschungspapier, das vom Institute of International and Strategic Studies (IISS) der Universität Peking veröffentlicht wurde. Dieses Papier kam zu dem Schluss, dass China in strategisch wichtigen Bereichen wie Halbleitern, Betriebssystemen und Luft- und Raumfahrt weiter deutlich hinter den USA zurückliegt. Doch auch andere Innovationsindikatoren bestätigen dieses Fazit. Fünf von zehn der größten Technologieunternehmen kommen aus den USA und nur eines aus China. Auch wenn das größte Einhorn (Bytedance) aus China stammt, kann das Reich der Mitte sich nur mit zwei der 20 größten Einhörner brüsten – bei den USA sind es acht.

Neben den vorstehend genannten Kriterien sind auch institutionelle Unabhängigkeit und tiefe Finanzmärkte von Bedeutung. Der US-Aktienmarkt übersteigt den chinesischen Aktienmarkt bei der Marktkapitalisierung um mehr als das Vierfache. Was Tiefe und Liquidität der Anleihenmärkte betrifft, so ist jener für US-Treasuries weiterhin der liquideste Anleihenmarkt der Welt. In turbulenten Zeiten ist dieser Markt bei ausländischen Investoren nach wie vor gefragt. Der chinesische Markt ist jedoch in den letzten Jahren erheblich gewachsen und hat sich inzwischen zum zweitgrößten Anleihenmarkt der Welt entwickelt. Zudem wurde er in den letzten Jahren auch für ausländische Investoren geöffnet, und China versucht auch aktiv, den Yuan als Alternative zum Dollar zu etablieren. Das jüngste Argument der Chinesen ist die Einführung des digitalen Yuan.

Konflikt schwächt US-Devise

Weiterhin unterstützt der aktuelle Konflikt zwischen Russland und der Ukraine indirekt die chinesischen Ziele für die eigene Währung. Und auch die aktuellen Finanzsanktionen spielen China in die Hände. Das Einfrieren der russischen Zentralbankreserven und der Ausschluss ausgewählter russischer Unternehmen aus dem Swift-Netzwerk für Transaktionsnachrichten gibt China zusätzliche Argumente für sein eigenes Transaktionssystem CIPS und eine verstärkte globale Währungsdiversifizierung – denn auch das Einfrieren von Vermögenswerten in Dollar kann nun nicht mehr ausgeschlossen werden. Es bleibt jedoch mehr als fraglich, ob China genug globale Reservenverwalter überzeugen kann, um den Yuan zur weltweiten Reservewährung zu machen. Dies gilt insbesondere, solange die chinesische Zentralbank die volle Konvertierbarkeit der eigenen Währung nicht zulässt – und dieser Schritt dürfte noch einige Zeit auf sich warten lassen. Berücksichtigt man jedoch die aggressive Außenpolitik in Verbindung mit der wachsenden Wirtschaftsstärke Chinas, so erscheint der Yuan an den globalen Handels- und Devisenmärkten unterrepräsentiert. Dies spricht für eine wachsende strukturelle Nachfrage, die besonders in Ostasien und Eurasien vorzufinden wäre.

*) Sven Schubert ist Senior Investment Strategist bei Vontobel.

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