Pandemie und Lockdown kaum zu versichern
Zur Bekämpfung der Folgen von Covid-19 wurden unterschiedliche Formen des Risikomanagements – von Prävention bis hin zu Impfungen – etabliert. Am einschneidendsten und mit den größten finanziellen Folgen verbunden ist zweifellos die Risikomanagementmaßnahme „Lockdown“. Ziel des Lockdowns ist es, die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Infektion und damit die Anzahl schwerer Verläufe in der Gesellschaft zu reduzieren. Dies entlastet das Gesundheitssystem und man gewinnt Zeit, Präventions- und Behandlungsmethoden zu verbessern.
Die negativen Folgen des Lockdowns sind vielfältig und lassen sich nicht nur auf die im Folgenden kurz dargestellten finanziellen Folgen in Deutschland reduzieren. 2020 ist das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 4,6 % gegenüber dem Vorjahr gesunken. Im Jahr 2021 stieg das BIP gegenüber dem niedrigen Wert 2020 um 2,9 %, blieb aber deutlich hinter den Werten zurück, die ohne Corona zu erwarten gewesen wären. Um den finanziellen Konsequenzen dieser Krise und insbesondere des Lockdowns entgegenzuwirken, wurde bereits am 3. Juni 2020 ein Konjunkturpaket mit einem Gesamtvolumen von 130 Mrd. Euro verabschiedet. In gewisser Weise hat der Staat also die Funktion einer Versicherung übernommen, indem er durch die Pandemie bedingte Schäden begleicht. In der Folge überstieg die Bruttokreditaufnahme 2020 (2021) mit 336,6 Mrd. Euro (518,7 Mrd. Euro) deutlich die vorgenommene Tilgung von Schulden in Höhe von 227,5 Mrd. Euro (317,7 Mrd. Euro). In den Jahren 2017 bis 2019 hatte die Bruttokreditaufnahme nur zwischen 160 und 170 Mrd. Euro betragen, und in den Jahren 2014 bis 2019 waren keine Nettokreditaufnahmen erfolgt.
Oftmals Leistung verweigert
Im Bereich der Privatversicherung waren durch die Coronakrise und den erfolgten Lockdown in erster Linie die Bereiche Reise-, Event-, Betriebsunterbrechungs-, Betriebsausfall- und Kreditversicherung betroffen. In vielen Fällen wurden Entschädigungen seitens der Versicherer abgelehnt, da kein physischer Schaden vorlag. So setzt beispielsweise ein Versicherungsfall in der Betriebsunterbrechungsversicherung voraus, dass ein Sachschaden am Versicherungsort die Unterbrechung bedingt und dieser Sachschaden durch eine versicherte Gefahr (z. B. Feuer, Einbruchdiebstahl oder Erdbeben) entstanden ist. Policen ohne diese Voraussetzung („Non-Physical Damage Business Interruption) wurden nur selten angeboten und weisen häufig eine Pandemie-Ausschlussklausel auf. Einige Rechtsentscheide zur Leistung der Versicherer stehen noch aus, in vielen Fällen wurden Einigungen erzielt. Zu bedenken gilt aber, dass kulante Schadenabwicklungen, wie sie teilweise praktiziert wurden, problematisch sind, da Versicherer die Verpflichtung haben, ungerechtfertigte Ansprüche abzuweisen, um damit das Kollektiv der Versicherungsnehmer zu schützen. Unbestritten ist jedoch, dass abseits der geführten juristischen und versicherungstechnischen Diskussionen viele Versicherungsnehmer unzufrieden sind, wenn sie von einer Zahlungsverpflichtung der Versicherer ausgegangen sind, die aus ihrer Sicht nicht eingelöst wurde. Pandemierisiken aus Neuverträgen konsequent auszuschließen, wie man es zurzeit am Markt beobachten kann, birgt wiederum ein Reputationsrisiko für die Assekuranz.
Wie steht es nun um die Versicherbarkeit von Pandemierisiken? Rationale Entscheider schließen dann eine Versicherung ab, wenn der Nutzen ihrer Vermögensposition mit Versicherung höher ist als ohne. Versicherungsnehmer sind in aller Regel risikoavers und streben eine Risikoreduktion ihrer Vermögensposition an. Diese lässt sich erreichen, indem die Risiken vieler Versicherungsnehmer zusammengeführt werden. Eine wichtige Voraussetzung für die Entstehung einer Risikoreduktion ist dabei, dass die Risiken im Kollektiv nicht vollständig stochastisch abhängig sind. Unter dieser Annahme steigt zwar das absolute Risiko des Kollektivs (z. B. gemessen anhand der Schaden-Varianz) bei Zunahme der Anzahl der Risiken, das relative Risiko (z. B. gemessen anhand der Varianz pro Risiko) nimmt hingegen kontinuierlich ab. In der Versicherungspraxis sind viele Kollektive durch eine stochastische Unabhängigkeit der darin befindlichen Risiken gekennzeichnet und damit vollständig diversifizierbar.
Neben der Unabhängigkeit der Schäden finden sich in der Literatur (Berliner, 1982 und 1985; Karten, 1997) weitere Kriterien der Versicherbarkeit: Ein versicherbarer Schaden muss zufällig eintreten, er muss abschätzbar sein und er darf die Kapazität von Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen nicht übersteigen.
Für die Frage der Versicherbarkeit von Pandemierisiken ist das Kriterium der Unabhängigkeit zentral. Der geografische Ausgleich, wie man ihn z. B. bei Sturm- oder Hagelschäden vorfindet, ist bei einer Pandemie, also einer weltweiten Epidemie, nicht gegeben. Die Diversifikationseffekte im Kollektiv sind dann gering und der Nutzen der Poolbildung eingeschränkt. Die Versicherbarkeit von Pandemierisiken wird daher vielfach in Abrede gestellt.
Markt als Voraussetzung
Faktisch ist jedoch Versicherbarkeit immer dann gegeben, wenn ein Markt für Versicherung zustande kommt, also der Angebotspreis seitens des Versicherungsunternehmens unterhalb der Zahlungsbereitschaft der Versicherungskunden liegt. Bei Pandemierisiken steht zu vermuten, dass der Angebotspreis so hoch ist, dass es hierzu keine Nachfrage mehr gibt. Insofern ist die Forschungsfrage unseres Beitrags „Insurability of Pandemic Risks“ im Journal of Risk and Insurance zum einen die Abschätzung der Höhe einer Versicherungsprämie für Pandemierisiken und zum anderen die Frage, unter welchen Umständen es dann zu einem Markt für Pandemieversicherungen kommen kann.
Wir führen unsere Analyse auf theoretischer wie empirischer Ebene durch. Die theoretische Analyse arbeitet hierbei die Determinanten des Versicherungspreises heraus. Hierzu verwenden wir ein Kapitalmarktmodell, anhand dessen sich zeigt, dass mit erheblichen Preisaufschlägen bei Pandemierisiken zu rechnen ist. Der Grund liegt darin, dass sich Pandemierisiken in Zeiten realisieren, in denen es der Gesamtwirtschaft schlecht geht, und zwar auch aufgrund der Pandemie. Das heißt, die Versicherungsnehmer müssen ein hohes Entgelt dafür entrichten, dass das Versicherungsunternehmen sehr hohe kumulierte Entschädigungsleistungen typischerweise in besonders schlechten Zeiten auszahlen muss. Umgekehrt ist aber auch die Zahlungsbereitschaft für Pandemieversicherung seitens der Versicherungskunden erhöht. Sie haben ein großes Interesse daran, Schäden loszuwerden, die besonders hoch ausfallen, wenn das individuelle sowie das gesamtwirtschaftliche Umfeld von hohen Einkommens- und Vermögensverlusten geprägt ist, sie also beispielsweise zeitgleich vom Risiko der Arbeitslosigkeit betroffen sind. Im Sinne dieser Argumentation verringert sich die Zahlungsbereitschaft für (Pandemie-)Versicherung, falls Versicherungskunden damit rechnen, dass sie im Schadenfall eine staatliche Unterstützung bekommen, ein Sachverhalt, den man als „Charity Hazard“ bezeichnet. Die Frage, ob es also zu einem Versicherungsabschluss für Pandemieversicherung kommt, ist letztlich nur empirisch zu beantworten.
Im Rahmen unserer empirischen Untersuchung betrachten wir einen hypothetischen Versicherungsvertrag, der bei Ausbruch einer Pandemie zwölf Monate lang eine monatliche Zahlung leistet, um die Folgen einer Pandemie entweder für Angestellte oder aber Inhaber von Kleinunternehmen zu mildern. Wir be-stimmen die Schadenverteilung einer privaten Arbeitslosenversicherung auf der Grundlage von Hochfrequenzdaten zu Umsätzen, Betriebsschließungen, Beschäftigungsverhältnissen und Konsumausgaben in den Vereinigten Staaten im Jahr 2020. In einem weiteren Schritt ermitteln wir aus dem beobachtbaren Markt für Naturkatastrophen-Versicherung den Zusammenhang zwischen Versicherungsprämien und den „Tail“-Eigenschaften der Schäden, das heißt den statistischen Eigenschaften sehr hoher Schäden. Schließlich führen wird die ersten beiden Schritte zusammen, um die Versicherungsprämie einer Pandemieversicherung abzuschätzen.
Sehr hoher Preisaufschlag
Unser Hauptergebnis ist, dass für die Versicherung von Pandemierisiken der Preisaufschlag (auf den durchschnittlichen Schaden als Basis der Prämienberechnung) im Bereich der 20 % höchsten Preisaufschläge von Naturkatastrophenrisiken liegt. Der Hauptgrund hierfür liegt im „Kumulrisiko“, als dem Risiko, dass sich Pandemierisiken in großem Umfang zur selben Zeit, insbesondere zu Beginn der Pandemie, realisieren. Unsere empirische Analyse legt nahe, dass das Kumulrisiko aufgrund der fehlenden Möglichkeit, es geografisch diversifizieren zu können, ein Hauptgrund dafür ist, dass das Angebot für Pandemieversicherungen – speziell im Bereich der Betriebsunterbrechung – eher gering ist. Damit können Schäden in dem Umfang, wie sie im Jahr 2020 aufgrund von Covid-19 eingetreten sind, nicht gedeckt werden.
Aus diesem Grund untersuchen wir die Möglichkeit, die Risiken nicht geografisch, sondern über die Zeit zu verteilen; der kaum mögliche „Ausgleich im Kollektiv“ soll durch einen „Ausgleich in der Zeit“ ersetzt werden. Das von uns vorgeschlagene Vorgehen impliziert, dass ein Intermediär, z. B. der Staat, einen Versicherungspool für die Zeitdauer von 50 Jahren einrichtet, in den die Versicherungsunternehmen obligatorisch (Rückversicherungs-)Prämien einzahlen und aus dem sie bei Ausbruch einer Pandemie entsprechende Rückversicherungsleistungen erhalten. Reicht der Kapitalbestand des Pools nicht aus, die Rückversicherungsleistung zu decken, würde der Pool einen Kredit aufnehmen, der später durch die Prämien der Pool-Mitglieder zurückbezahlt würde. Für eine angenommene Pandemie-Wahrscheinlichkeit von einem Ausbruch in 100 Jahren schafft es dieser Mechanismus, die erwarteten Zahlungen unter den 1% der höchsten Zahlungen (also im „Tail“ der Wahrscheinlichkeitsverteilung) um 50% zu reduzieren. In der Konsequenz lassen sich die Versicherungsprämien aufgrund des intertemporalen Risikoausgleichs reduzieren, wenngleich nur in bescheidenem Ausmaß.
Ohne Staat wird es nichts
Die Ergebnisse unseres Aufsatzes deuten in die Richtung, dass ein Markt für Pandemieversicherung nur schwerlich zustande kommen wird, wenn es nicht eine staatliche Unterstützung im Sinne einer öffentlich-privaten Partnerschaft – Public-Private Partnership (PPP) – gibt. Eine Pooling-Lösung im Sinne einer PPP kann z.B. grundsätzlich wie in unserem Beitrag skizziert aussehen, jedoch mit dem Unterschied, dass der Staat extreme Auszahlungs-„Spitzen“ über den Einsatz von Steuergeldern auffängt.
Eine derartige PPP-Lösung ist jedoch mit erheblichen Problemen des „moralischen Risikos“ (Moral Hazard) verbunden, also einer Verhaltensänderung der Partner in einer PPP nach Abschluss des Vertrags. Für den Staat erhöht sich der Anreiz, eine Pandemie „auszurufen“, wenn er weiß, dass die damit einhergehenden Kosten in größerem Umfang von der Versicherungswirtschaft getragen werden. Umgekehrt besteht die Gefahr, dass auf Seiten der Versicherungsunternehmen sowohl die Zeichnung von Pandemierisiken als auch die Schadenabwicklung „lax“ gehandhabt werden, wenn antizipiert wird, dass überbordende Schäden durch den Staat aufgefangen werden.
Eine PPP wäre auch über die Emission von „Katastrophenanleihen“ denkbar, indem private Investoren Kapital zur Verfügung stellen, das zur Bekämpfung von Pandemiefolgen durch den Staat verwendet werden könnte. Ein derartiger Vorschlag wurde von Gründl und Regele (2021) unterbreitet. Falls keine Pandemie ausbricht, wird das Risiko des Kapitalverlusts durch relativ hohe risikoadäquate Zinsen entgolten. Hierzu ist es jedoch notwendig, dass der Staat zu dem von privater Seite bereitgestellten Kapital eine Versicherungsprämie dazugibt. Der Vorteil einer derartigen Anleihenlösung ist, dass im Pandemiefall benötigtes Kapital bereits vorhanden ist und nicht erst beschafft werden muss.
Umsetzung schwierig
Eine Pandemie wie Covid-19 wird sich wahrscheinlich so nicht wiederholen. Man könnte von daher darüber nachdenken, einen Katastrophenbond so auszugestalten, dass er für einen Ausgleich in der Zeit auch für andere Großrisiken sorgt, z. B. für extreme Naturkatastrophen oder Umweltkatastrophen durch Atomkraftwerke. Eine PPP würde dabei implizieren, dass aus Gründen des moralischen Risikos genau definiert wird, ab welchem gesellschaftlichen Schaden das reservierte Kapital herangezogen werden darf.
Eine weitere naheliegende PPP wäre die Subvention von Versicherungsprämien durch den Staat, wenn anderweitig die Zahlungsbereitschaft der Versicherungskunden für eine private Versicherungslösung zu niedrig ist. Für das Funktionieren dieser Lösung wäre es jedoch von großer Bedeutung, dass Nichtversicherte keine Entschädigungszahlungen erhalten. Diesen Punkt glaubhaft zu kommunizieren und dann in der Krisensituation auch umzusetzen ist im gegebenen politischen Umfeld sicherlich ein schwieriges Unterfangen.
Auch eingedenk dieser Schwierigkeiten scheint von politischer Seite derzeit intendiert zu sein, von öffentlich-privaten Partnerschaften bei der Versicherung von Pandemierisiken eher Abstand zu nehmen und im Pandemiefall, wie schon im Jahr 2020, fallweise die Bürger in großem Umfang über Steuergelder direkt zu unterstützen. Dies geht damit einher, dass die Versicherungswirtschaft Pandemierisiken mehr und mehr explizit aus ihren Vertragsangeboten herausnimmt. Die fallweise Unterstützung durch den Staat hat den unbestrittenen Vorteil, dass er auf spezifische Gegebenheiten flexibel reagieren kann und es nicht – wie bei expliziten Versicherungsverträgen – vordefinierte „Trigger“ für Schadenzahlungen gibt. Weitere Vorteile liegen im Verzicht auf den kostenintensiven Aufbau von Pooling- oder Katastrophenanleihen-Lösungen. Zudem muss der Staat im Fall einer Pandemie oder einer anderen Katastrophe kaum mit Widerstand rechnen, wenn zulasten künftiger Steuerzahler hohe Milliardenbeträge zur Linderung akuter Probleme ausgeschüttet werden. Die Nachteile dieser Vorgehensweise liegen auf der Hand: Dem Staat fehlt die Expertise der Versicherungswirtschaft in der Schadenabwicklung, er ist darin entsprechend ineffizient. Zudem besteht die Gefahr, dass Entschädigungszahlungen nicht nur nach tatsächlicher Bedürftigkeit er-folgen, sondern auch im Hinblick auf potenzielle Wählerkreise.
Von Helmut Gründl und Hato Schmeiser