Aktienrechtliche Dividenden sind grundsätzlich anfechtbar
Herr Baumert, worüber hat das OLG entschieden?
Im konkreten Fall ging es darum, dass der Insolvenzverwalter einer Kommanditgesellschaft auf Aktien auf Basis von § 134 der Insolvenzordnung Dividendenausschüttungen von einer Kommanditaktionärin zurückforderte. Sie hatte die Ausschüttungen über mehrere Geschäftsjahre hinweg auf Basis von Gewinnverwendungsbeschlüssen erhalten. Die zugrundeliegenden Jahresabschlüsse stellten sich jedoch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über die Gesellschaft als falsch und damit nichtig heraus – anstelle hoher Gewinne gab es Jahresfehlbeträge und Bilanzverluste in mehrstelliger Millionenhöhe.
Also vergleichbar mit dem Fall Wirecard?
Ja, die Fälle sind vergleichbar, nachdem die hier einschlägigen aktienrechtlichen Regelungen auch für den Kommanditaktionär gelten. Und die Entscheidung des Oberlandesgerichts hat Breitenwirkung.
Das Gericht hat der Klage des Insolvenzverwalters stattgegeben. Warum?
Nach dem Aktiengesetz verwandelt sich das Recht des Aktionärs auf Gewinnbeteiligung erst durch den Gewinnverwendungsbeschluss in einen Zahlungsanspruch gegen die Aktiengesellschaft. Im konkreten Fall waren die maßgeblichen Gewinnverwendungsbeschlüsse nichtig. Daher sind die Dividendenausschüttungen an die Aktionärin als unentgeltliche Leistungen zu werten. Sie sind ohne Rechtsgrund erfolgt. Solche rechtsgrundlosen Leistungen sind nach § 134 der Insolvenzordnung anfechtbar, wenn auch kein Bereicherungsanspruch gegen die Aktionärin wegen § 62 Absatz 1 Satz 2 Aktiengesetz besteht und somit ein endgültig freiwilliger Vermögensverlust der Schuldnerin vorliegt.
Was bedeutet das?
Aktionäre haften nach dem Aktiengesetz, wenn sie verbotene Leistungen bösgläubig empfangen – also, wenn die Aktionärin wusste oder hätten wissen müssen, dass sie zum Bezug der Dividenden nicht berechtigt war. Die Aktiengesellschaft – oder ihr Insolvenzverwalter – könnte die Dividenden dann auf dieser Basis zurückfordern. Eine entsprechende Kenntnis der Aktionärin liege laut dem Oberlandesgericht im konkreten Fall aber nicht vor, so dass auch Ansprüche nach § 812 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) – dem Herausgabeanspruch bei Leistungen, die ohne Rechtsgrund erlangt wurden – nicht mehr geltend gemacht werden können. Der Insolvenzverwalter kann, wie das OLG ausführt, die Dividenden aber mit Hilfe des § 134 der Insolvenzordnung zurückholen.
Welche Besonderheiten gelten?
Wegen des bereicherungsrechtlichen Ausschlusses der Rückforderung der Dividenden nach § 62 Absatz 1 Satz 2 Aktiengesetz muss dabei – anders als bei Anfechtungen von Scheingewinn- oder Scheinprovisionszahlungen – nicht erst geprüft werden, ob ein bereicherungsrechtlicher Rückzahlungsanspruch der Schuldnerin nach § 814 BGB wegen bewusster Zahlung auf eine Nichtschuld oder wegen Sittenverstoß nach § 817 BGB ausgeschlossen ist.
Aktienrechtliche Dividenden, auf die kein Rechtsanspruch besteht, sind also generell anfechtbar?
Ja – und das auch, wenn der Aktionär gutgläubig war! Aus meiner Sicht hat dies auch bereits der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 2. Dezember 2021 zu Insolvenzanfechtungsansprüchen in Schneeballsystemen entschieden. Danach stehen einer Anfechtung nach § 134 der Insolvenzordnung das Aktiengesetz – konkret § 62 Absatz 1 Satz 2 – beziehungsweise die entsprechenden Paragrafen des Handelsgesetzbuchs und des GmbH-Gesetzes nicht entgegen. Auch im damaligen Fall handelte es sich um eine Dividendenauszahlung durch eine Aktiengesellschaft. Von daher halte ich die Entscheidung des Oberlandesgerichts für bereits jetzt, also vor einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs über die vom Oberlandesgericht zugelassene Revision, generell und damit auch in Fällen wie etwa Wirecard für anwendbar.
Prof. Dr. Andreas J. Baumert ist Partner von Schultze & Braun.
Die Fragen stellte Helmut Kipp.