Aus den späten 1990er Jahren in die Gegenwart
Das Management der Post steht unter Druck. Kurzfristig sind der Tarifstreit mit der Gewerkschaft Verdi, Vorwürfe, Zusteller würden wegen Arbeitsüberlastung gesundheitliche Schäden davontragen, und Beschwerden über lange Brief- und Paketlaufzeiten die größten Baustellen. Mittel- bis langfristig muss sich der Vorstand mit Änderungen im Postgesetz auseinandersetzen; eine Novelle könnte noch dieses Jahr erlassen werden. Am Donnerstag wurde dazu ein Eckpunktepapier vorgelegt. Aus Sicht der Post gibt es zwei besonders heikle Vorschläge: Die Bundesnetzagentur, deren Präsident Klaus Müller sich in den vergangenen Wochen nicht gerade als Fan der Deutschen Post gezeigt hat, soll mit stärkeren Befugnissen zur Einhaltung der Universaldienstvorgaben ausgestattet werden – sprich: der Möglichkeit zur Verhängung von Sanktionen wie Geldbußen. Darunter fallen u. a. die Laufzeitvorgaben in der Briefzustellung. Gegenwärtig müssen im Jahresdurchschnitt 80 % der Briefsendungen am nächsten Werktag und 95 % innerhalb von zwei Werktagen zugestellt werden. Zudem muss an allen Werktagen Post ausgetragen werden. Im Gegenzug zahlt die Deutsche Post für private Briefe und Postkarten – anders als für Geschäftsbriefe – keine Mehrwertsteuer.
Das Postgesetz und die Postuniversaldienstleistungsverordnung, kurz PudlV, regulieren die Preise für das Brief- und Paketgeschäft in Deutschland bzw. regelt die Zustellungspflichten. Sie stammen aus den späten 1990er Jahren. Seither hat sich vieles verändert – nicht zuletzt die Kommunikationskanäle: Die Zahl der Briefsendungen ist drastisch zurückgegangen, weil Privatpersonen und Unternehmen vermehrt über E-Mail und andere digitale Kanäle kommunizieren. Dagegen haben sich die Sendungsmengen im Paketmarkt vervielfacht. Eine Überarbeitung des 1997 erlassenen Postgesetzes ist also überfällig. Das Wirtschaftsministerium schlägt nun mehr Flexibilität in der Zustellung vor. Vorstellbar ist, dass die Quotenvorgabe für eine Briefzustellung innerhalb von 24 Stunden gesenkt, aber die Quote für die Zustellung binnen zweier Tage erhöht wird. Zudem könnte die Fiktion einer 100-prozentigen Briefzustellung innerhalb von drei Tagen verbindlicher, das heißt sanktionsfähig, geregelt werden. Außerdem könnten die Berechnungen nicht mehr auf Jahres-, sondern auf Monats- oder Wochenbasis stattfinden. Das wäre für die Deutsche Post eine tiefgreifende Änderung. Sie erfüllt zwar die aufs Jahr bezogenen Vorgaben locker, doch vor allem in der Vorweihnachtszeit dauert es mitunter viele Tage, in Einzelfällen sogar Wochen, bis ein Brief sein Ziel erreicht.
Ein zweiter Vorschlag aus dem Eckpunktepapier, den die Deutsche Post besonders aufmerksam verfolgen wird, ist die Absicht des Ministeriums, den Marktzugang für Briefdienstleister zu erleichtern. Das Nebeneinander verschiedener Marktzutrittsregime – Lizenzpflicht im Briefbereich und Anzeigepflicht im Paketbereich – verkompliziere die Kontrolle durch die Bundesnetzagentur und erschwere den Marktzugang, heißt es. Damit einher gehen unterschiedliche Sanktionsmöglichkeiten der Agentur gegenüber Brief- und Paketdienstleistern. Für diese Unterscheidung gebe es keine Rechtfertigung mehr. Daher beabsichtigt das Wirtschaftsministerium, den Marktzugang durch ein einheitliches digitales Verfahren für alle Postdienstleister zu ermöglichen und dabei unnötige Marktzutrittsbarrieren abzubauen. Inwieweit potenzielle Wettbewerber der Post überhaupt Interesse daran haben, in den Markt für Briefdienstleister in Deutschland einzusteigen, wird sich weisen. Mit einem Ansturm ist eher nicht zu rechnen.
All diese Probleme betreffen die Keimzelle des Dax-Konzerns: die Division Post & Paket Deutschland. Dabei verliert dieser Bereich immer mehr an Bedeutung – der Anteil am Gesamtumsatz beträgt nur noch knapp ein Fünftel –, während auf den Kostendruck im Gegensatz zu den vier DHL-Divisionen kaum reagiert werden kann. Mit diesem Argument kontert der Vorstand auch die Forderung der Gewerkschaft Verdi, die 15 % mehr Lohn und Gehalt fordert. Das lehnt der Post-Vorstand als unrealistisch ab und erklärt, dass die gewerkschaftliche Annahme, dass Lohnsteigerungen durch Preiserhöhungen weitergegeben werden können, aufgrund der „umfassenden Preisregulierung für das Brief- und Paketgeschäft in Deutschland“ in den nächsten Jahren nicht zutrifft. Diese ist im Postgesetz festgehalten. Doch eine Passage, in der die Aufhebung dieser Preisregulierung vorgeschlagen wird, sucht man im Eckpunktepapier zur Gesetzesnovelle vergebens.(Börsen-Zeitung, 27.1.2023)