Börsenzwerge trotzen der Übermacht
Die Übermacht der Mega Caps am globalen Aktienmarkt ist erdrückend. Im marktbreiten US-Index S&P 500 nehmen die zehn größten Werte unter Führung von Apple, Microsoft, Amazon und Alphabet einen Anteil von rund 27% an der gesamten Marktkapitalisierung ein – und auch im Weltaktienindex MSCI World bestimmen die Papiere der Tech-Riesen die Richtung. In der Folge fließen ihnen großvolumige Mittel über Indexfondsanbieter zu, die Standardbarometer nachbilden. Der Fokus der Marktteilnehmer richtet sich also stark auf die Mega Caps, Small-Cap-Indizes und einzelne Kleinwerte fristen im Vergleich dazu ein Schattendasein. Nun prognostizieren Analysten jedoch ein Comeback der Börsenzwerge.
Der Russell 2000, der die Entwicklung von US-Nebenwerten abbildet, besitzt gegenüber dem Large-Cap-Barometer Russell 1000 im Performancevergleich auf Fünfjahressicht noch beträchtliches Aufholpotenzial. Folglich ist der Index für kleine und mittelgroße Titel laut den Analysten von Bloomberg Intelligence im Vergleich zu Standardbarometern wie dem S&P 500 aber auch extrem günstig bewertet. Und im Oktober zeigte sich der Russell 2000 so fest wie seit 23 Monaten nicht. Nach minimalen Verlusten im November lag das Total-Return-Barometer zwischen Quartalsbeginn und Dienstagabend mit mehr als 10% im Plus. Wie die Analysten von Bloomberg Intelligence betonen, legten Small Caps gegenüber Large Caps zuletzt die stärkste Performance seit Februar hin, wobei insbesondere Value-Titel einmal mehr hervorgestochen hätten.
Aussicht auf Outperformance
Auch der Assetmanager Columbia Threadneedle Investments sieht Chancen im Segment. „Historisch gesehen haben Kleinwerte gegenüber Large Caps eine starke Outperformance gezeigt, dieser Trend dürfte sich auch auf lange Sicht fortsetzen“, sagt Scott Woods, leitender Portfoliomanager der Small-Cap-Strategie des Vermögensverwalters. Marktteilnehmer unterschätzten die fundamentalen Potenziale bei Nebenwerten noch immer. „Unter den Small Caps gibt es zahlreiche Firmen mit hoher Preissetzungsmacht und niedrigen Bewertungen – für aktive Manager mit einem langfristigen Fokus entstehen dadurch große Chancen“, sagt Woods.
Investitionen in Kleinwerte seien im Vergleich zu Anlagen in Large Caps weitaus weniger effizient. „Unsere Benchmark beinhaltet beispielsweise 4500 verschiedene Werte und wir können in 1500 weitere Titel außerhalb unseres Vergleichsbarometers investieren“, sagt Woods. „Wir müssen also weitaus stärker aussieben, als wenn wir uns auf eine kleine Zahl an Unternehmen mit hoher Marktkapitalisierung konzentrieren würden.“ Gerade dadurch biete sich aber die Chance, Aktien zu finden, auf die sonst nur wenige Anleger stießen.
Allerdings warnen die Analysten von Bloomberg Intelligence davor, dass ein entscheidender fundamentaler Treiber von Small Caps wegbrechen könnte. So seien die Erlöse im Russell 2000 bisher stärker gewachsen als in Standardbarometern wie dem S&P 500, dieser Vorteil habe jedoch bereits nachgelassen und im Schlussquartal werde sich das Verhältnis wohl umdrehen. Allerdings verzerre die im Juni vorgenommene jährliche Balancierung der Russell-Indizes das Bild noch immer. Tatsächlich sind in deren Rahmen zahlreiche Energiewerte aus dem Russell 2000 in den Russell 1000 aufgestiegen – der Energiesektor lieferte aber auch im dritten Quartal das stärkste Erlöswachstum unter allen Branchen in den Indizes.
Laut Bloomberg Intelligence zogen die Erlöse im Segment um 41,5% an, im zweitstärksten Sektor Immobilien legten sie um 19,3% zu. Die im Russell 2000 immer noch prominent vertretenen Basiskonsumgüter zeigten sich dagegen mit einem Minus von 19,2% schwach. Bloomberg Intelligence erwartet in letzterem Segment in den kommenden Monaten indes einen Aufschwung.
Dagegen versucht Columbia Threadneedle nach eigenen Angaben nicht, die Aussichten ganzer Branchen zu antizipieren, sondern setzt im Small-Cap-Segment auf eine gezielte Einzeltitelauswahl. „Allerdings gibt es natürlich Sektoren, in denen wir mit höherer Wahrscheinlichkeit interessante Unternehmen finden als in anderen“, betont Woods. So ist der Portfoliomanager trotz der zuletzt starken Umsatzentwicklung skeptisch für die Energiebranche. In der Produktion sei es beispielsweise sehr schwierig, eine nachhaltige Preissetzungsmacht zu wahren – und für Versorger seien die potenziellen Returns oftmals durch die Regierungen gedeckelt, in deren Einflussgebiet sie operierten.
„Dagegen finden wir im Technologie- und Healthcare-Bereich sowie in der Industrie durchaus viele spannende Unternehmen“, führt Woods aus. Als Beispiel nennt der Portfoliomanager Lincoln Electric, einen führenden Hersteller von Schweißausrüstung. „Es handelt sich um ein oligopolistisches Geschäft, der US-Markt besteht im Prinzip aus drei Anbietern“, sagt Woods. Lincoln Electric existiere bereits seit 100 Jahren, habe zahlreiche Konjunkturzyklen sowie geopolitische Schwankungen überstanden und ihre Preissetzungsmacht gewahrt. Somit biete das Unternehmen auch künftig einen stabilen Return on Invested Capital.
Chancen in Deutschland
Ebenfalls interessant sei Advanced Drainage Systems, ein Spezialist für Plastikröhrensysteme, über die sich verunreinigtes Wasser ableiten lasse. „Beim Plastik-Recycling ist das Unternehmen eine der drei führenden Adressen in den USA“, sagt Woods. „Aufgrund der dominanten Marktstellung konnte Advanced Drainage Systems die Preise im abgelaufenen Quartal um mehr als 40% erhöhen und somit Kostenanstiege abfedern.“ Auch in Deutschland sieht Columbia Threadneedle Chancen, zum Beispiel bei dem Bausoftwarespezialisten Nemetschek oder dem Ticketing-Anbieter CTS Eventim. Beide Unternehmen seien globale Marktführer in ihren Segmenten und würden vom Markt unterschätzt.
Bei der Suche nach Nebenwerten mit weltweitem Einfluss ist laut Woods eine Bottom-up-Analyse am erfolgversprechendsten. „Makroökonomische und geldpolitische Entwicklungen sind ebenso schwierig zu prognostizieren wie geopolitische Einflüsse – wir konzentrieren uns daher lieber auf fundamentale Unternehmensfaktoren, die wir als aktive Investoren bewerten können“, sagt der Portfoliomanager.
Das Ziel sei es schließlich, Unternehmen mit Wettbewerbsvorteilen zu identifizieren, die unabhängig von der konjunkturellen Lage und dem Zinsumfeld zum Tragen kämen. „Firmen, die in Branchen mit hohen Eintrittsbarrieren operieren, sind für uns grundsätzlich interessant – denn sie können ihre Preissetzungsmacht langfristig behaupten“, führt Woods aus. Zugleich böten solche Werte einen starken Inflationsschutz, da sie Kostensteigerungen an die Kunden weiterreichen könnten.
Ein solcher Titel sei WD-40 – Columbia Threadneedle investiere bereits seit einem Jahrzehnt in das US-Chemieunternehmen. Dieses verfüge über eine äußerst starke Marke, sein gleichnamiges Kriechöl werde in mehr US-Haushalten genutzt als Coca-Cola. „WD-40 ist seit fast 30 Jahren an der Börse und doch beobachten nur ein bis zwei Sell-Side-Analysten die Aktie regelmäßig“, sagt Woods. „Im Vergleich zu Konzernen wie Microsoft, die von 70 oder mehr Analysten gecovert werden, gibt es also viel weniger frei verfügbare Informationen.“
Durch die geringere Abdeckung sind solche Kleinwerte also weniger stark überlaufen als die Mega Caps, womit sich für aktive Investoren aus Analystensicht Chancen auf Überrenditen gegenüber dem breiten Markt ergeben. Für Passivinvestoren, die in Exchange Traded Funds auf marktbreite Indizes investieren, haben sich die Tech-Riesen zuletzt indes zur Performancebremse entwickelt. So schneidet der nach Marktkapitalisierung gewichtete S&P 500 im laufenden Jahr deutlich schlechter ab als der S&P 500 Equal Weight, in dem die Mitgliedswerte allesamt fix mit 0,2% allokiert werden.
Verantwortlich sind dafür laut Analysten vor allem die kräftigen Zinserhöhungen der Federal Reserve, die Wachstumswerte besonders belasten, sowie schwache Unternehmensdaten aus dem Tech-Sektor. So setzen der trübe Konjunkturausblick und die damit einhergehende sinkende Ausgabebereitschaft von Kunden im Werbegeschäft Alphabet, Amazon und insbesondere Meta Platforms stark zu. Vor diesem fundamentalen Problem stehen zwar auch Kleinwerte aus dem Tech-Segment, doch diese bieten aus Investorensicht häufig noch attraktivere Bewertungen.
Bitcoin-Korrelation nimmt ab
Anleger dürften zudem erfreut aufnehmen, dass sich die stark positive Korrelation zwischen Small-Cap-Technologiewerten und Bitcoin zuletzt abgeschwächt hat. Zwischen März 2020 und Herbst des laufenden Jahres belief sich der Koeffizient zwischen den durchschnittlichen rollierenden Erträgen der führenden Digitalwährung und des Russell 2000 Tech auf 0,95 – ein Wert von 1 würde einen perfekten Gleichlauf anzeigen.
Allerdings wurden Small-Cap-Tech-Werte nicht von den jüngsten, durch die Pleite der Kryptobörse FTX verursachten Turbulenzen bei Digital Assets mitgerissen. Laut Bloomberg Intelligence ist dies zumindest teilweise darauf zurückzuführen, dass sich das Gewicht des Halbleitersektors im Russell 2000 Tech im laufenden Jahr deutlich reduziert hat – Chips seien schließlich integraler Bestandteil des Bitcoin-Minings.
Das abnehmende Halbleitergewicht ist auch ein Beispiel dafür, dass sich das Small-Cap-Anlageuniversum infolge von Fusionen oder Übernahmen zum Zweck einer vertikalen Lieferkettenintegration wiederholt stark verändert. „In der Regel bieten solche Transaktionen für Bestandsaktionäre die Chance, hohe Erträge zu realisieren“, führt Columbia-Manager Woods aus. Für Investoren gibt es also durchaus Gründe, der Übermacht der Mega Caps am globalen Aktienmarkt zu trotzen.