Britisches Ladensterben beschleunigt sich
Von Andreas Hippin, London
Neu ist sie nicht, die Krise des britischen Einzelhandels. Seit gut einem Jahrzehnt wird über verödende Einkaufsstraßen geklagt, in denen außer Kiosken mit Alkoholverkauf, Second-Hand-Läden diverser Spendensammelvereine und Wettbüros kaum noch Geschäfte zu finden sind. Doch im vergangenen Jahr hat das Ladensterben den Daten des Centre for Retail Research zufolge noch einmal deutlich Fahrt aufgenommen. Alles in allem schlossen 17 145 (i.V. 11 459) Läden für immer die Pforten. Die Zahl der Arbeitsplätze, die dadurch verloren gingen, stieg auf 151 474 (105 727).
Während der Pandemie nutzten manche Unternehmen staatliche Hilfsleistungen und das großzügige Kurzarbeitsprogramm der Regierung. Doch nun macht der Branche ein toxischer Cocktail von Belastungsfaktoren zu schaffen. Dazu gehören nicht nur die nicht erst seit dem russischen Einfall in die Ukraine rasant steigenden Lebenshaltungskosten im Vereinigten Königreich.
„Geiz ist geil“
Unter den Verbrauchern hat sich die in Deutschland gut bekannte „Geiz ist geil“-Mentalität ausgebreitet. Aldi meldete für Dezember einen Rekordumsatz. In den High Streets blieb der Andrang nach den Weihnachtsfeiertagen dagegen verhalten. Eine Menge Geld, das früher für Shopping ausgegeben worden wäre, wird mittlerweile für Fitnessclub-Mitgliedschaften, Kurztrips oder Restaurantbesuche verwendet. Und der Siegeszug des Online-Handels ging zu Lasten des stationären Einzelhandels. In Großbritannien vollzog er sich schneller als in jedem anderen Land. Lag sein Marktanteil im Jahr 2006 noch bei gerade einmal 6,6 %, waren es 2013 bereits 12,7 %. Im Jahr vor der Pandemie (2019) hatte er 19,2 % erreicht. Bis Ende 2021 wurden 26,5 % des britischen Einzelhandelsgeschäfts über das Internet abgewickelt. Seitdem dürfte dieser Wert zwar etwas zurückgekommen sein. Eine Rückkehr in die Offline-Welt ist jedoch kaum vorstellbar.
Diverse Ketten haben im vergangenen Jahr Sanierungspläne aufgelegt oder durch die Aufgabe von Niederlassungen versucht, ihre Kostenbasis zu senken. Darauf gingen 6 055 (i.V. 2 517) Ladenschließungen und 76 709 (67 873) verlorene Stellen zurück. Die Zahl der Schließungen, die auf den Kollaps einer Kette mit mehr als zehn Niederlassungen zurückgehen, ist im Vorjahresvergleich gesunken. Allerdings verabschiedeten sich auch 2022 eine Reihe bekannter Namen vom Markt, darunter die Modekette Joules, die mit bunten Gummistiefeln bekannt wurde und Taylor Swift zu ihren Kunden zählte. Auch die Convenience-Store-Kette McColl’s, der Möbelhändler Sofa Workshop und der Herrenausstatter TM Lewin, dessen Produkte in der Zeit des „Work from Home“ wenig nachgefragt wurden, wurden zahlungsunfähig. Dass das nicht zwangsläufig das Ende sein muss, zeigt die Rettung vom TM Lewin durch den Hauptgläubiger The Petra Group. McColl’s wurde von der Supermarktkette WM Morrison aufgesammelt, die aus den Niederlassungen Convenience Stores in ihrem eigenen Format macht.
Ein wesentlicher Belastungsfaktor für den stationären Einzelhandel ist die Gewerbeimmobiliensteuer, die sich an den theoretisch erzielbaren Mieteinnahmen orientiert. Obwohl die Mieten angesichts der Probleme bei der Mietersuche zurückgingen, änderte sich an der Höhe der Steuer nichts. Bis heute weigert sich die Regierung hartnäckig, die lange überfällige Reform der Gewerbeimmobiliensteuer in Angriff zu nehmen. Online-Händler zahlen für ihre Lagerhäuser weit weniger. Das Festhalten am Status quo mag daran seinen Grund haben, dass der Fiskus auf das Geld dringend angewiesen ist. Immerhin steuert der Einzelhandel dem Centre for Retail Research insgesamt bis zu einem Viertel der Einnahmen aus der Gewerbeimmobiliensteuer bei.