„Die Stärke von Linde ist auch die Schwäche der anderen“
Von Heidi Rohde, Frankfurt
Union Investment wird auf dem anstehenden außerordentlichen Aktionärstreffen von Linde am 18. Januar für den Verbleib des Unternehmens im Dax votieren. „Wir wollen einen starken Finanzplatz und haben kein Interesse am Ausbluten der obersten Börsenliga“, erklärt Fondsmanager Arne Rautenberg, der zu Jahresbeginn das Flaggschiff Unifonds, das auf deutsche Standardwerte setzt, übernommen hat. Union Investment hat rund 2,5 Mrd. Euro in Linde-Aktien investiert. Der Unifonds, der sich am Dax orientiert, müsste die Titel abstoßen, wenn das Unternehmen die Notiz in Frankfurt beendet, weil die sogenannte Kappungsgrenze – die Begrenzung eines Einzelwerts auf 10 % Gewichtung im Dax – den Kursanstieg der Aktie bremst.
Obwohl es eher die Regel als die Ausnahme ist, dass die Verwaltung ihre Vorschläge auf einer außerordentlichen Hauptversammlung durchbringt, geht Rautenberg nicht davon aus, dass der geplante Dax-Abschied von Linde ein Selbstläufer ist. „Die 75-Prozent-Schwelle ist schon eine Hürde. Ein solches Abstimmungsergebnis ist nicht als gegeben anzusehen“, meint der Experte. Für einen Erfolg der Verwaltung spricht zwar, dass angelsächsische Investoren das Gros der Linde-Aktien halten, aber Rautenberg erwartet, „dass das Ergebnis der Abstimmung am Ende auch von den Stimmen der Privatanleger hierzulande abhängen wird“. Diese treffen ihre Entscheidung nicht unbedingt gemäß den Empfehlungen von Stimmrechtsberatern, sondern aufgrund eigener Präferenzen. Der Aktionärsberater ISS – seit zwei Jahren eine Tochter der Deutschen Börse – empfiehlt seinen Kunden, für den Vorschlag zu stimmen.
„Rein deutsches Thema“
Allerdings räumt Rautenberg ein, die Probleme mit der Kappungsgrenze seien „ein rein deutsches Thema.“ Dabei gehe es nicht nur um die Regularien der Deutschen Börse, sondern auch um gesetzliche Vorgaben. „Das Problem wäre sofort gelöst, wenn der Gesetzgeber uns die Freiheit geben würde, einen Wert in einem Fonds mit mehr als 10 % zu gewichten.“ Denn Fondsmanager haben kein Interesse daran, dass ein Einzelwert im Index höher als 10% gewichtet sein kann, solange sie das in ihren Fonds nicht abbilden können. Würde die gesetzliche Schranke fallen, hätten die Fondsmanager die Risikostreuung selbst in der Hand: „Darunter zu bleiben, ist ja prinzipiell keine Schwierigkeit.“ Allerdings findet Rautenberg auch: „Die Idee eines Index muss sein, dass er nachbildbar ist“. Und natürlich sei für Investoren eine breite Streuung grundsätzlich relevant, um Klumpenrisiken zu vermeiden.
Rein deutsch ist diese spezielle Unwucht im Dax, die Linde in die Flucht schlägt, allerdings aus Investorensicht auch, weil die strategische Ausrichtung am Shareholder-Value bei den zugehörigen Unternehmen so weit auseinanderklafft. „Die Stärke von Linde ist auch die Schwäche der anderen“, resümiert der Manager. Während das Linde-Management die Strategie des Unternehmens „sehr deutlich auf den Shareholder Value fokussiert“ habe, seien andere Dax-Werte „mehr mit sich selbst beschäftigt oder berücksichtigen spezielle Interessen von Großaktionären und Familiengesellschaftern.“ Infolgedessen habe sich die Linde-Aktie besser entwickelt, weil andere schwach waren.
Die Sorge, dass der möglicherweise bevorstehende Abschied von Linde aus dem Dax Nachahmer finden könnte, treibt Rautenberg nicht um. Für SAP, den zweitschwersten Dax-Wert, hatte der scheidende Finanzvorstand Luca Mucic kürzlich im Interview mit der Börsen-Zeitung klargestellt, dass das Unternehmen am Dual-Listing in Frankfurt und New York festhalten wolle. Andere Dax-Unternehmen haben in den vergangenen Jahren eher den Rückzug aus New York angetreten. Für viele haben sich die mit dem aufwendigen Listing dort verbundenen Hoffnungen nicht erfüllt.
Dennoch unterstreicht der Fondsmanager nochmals die positiven Effekte, die die Erweiterung des Dax auf 40 Werte mit sich gebracht habe. „Damit wird das Thema der Gewichtung zumindest etwas entschärft, und zusätzlich werden mehr Unternehmen in der obersten Börsenliga geboten“, so Rautenberg. Die Erweiterung tue dem Index auch deshalb gut, weil einerseits mehr junge Unternehmen wie Zalando oder auch Qiagen in die erste Liga gekommen seien, auch wenn die Volatilität des Index durch den relativ kurzfristigen Wiederabstieg von Hellofresh und Delivery Hero zugenommen hat.
Sektor-Schwergewicht
Eine andere Unwucht im deutschen Leitindex hat kürzlich nochmals zugenommen und wäre im alten Dax 30 noch größer gewesen: Der Automobilsektor steht nach dem Einstieg von Porsche in das oberste Börsensegment für ein Gesamtgewicht von 11 %. Das ist aus Sicht von Rautenberg für die nahe Zukunft zunächst ein positiver Klumpen. Der Experte glaubt, dass Produktion und Absatz der Branche sich unter anderem aufgrund der Lockerungen in China und nachlassendem Komponentenmangel 2023 deutlich erholen. Das könne nur gut für die Aktien sein. Allerdings räumt er ein, dass solche Klumpenrisiken in Europa mit Ausnahme von Großbritannien ein Phänomen sind, das Investoren andernorts auch beklagen. Im CAC40 hat der Konsumsektor mit Flaggschiffen wie LVMH oder L’Oréal ein drückendes Gewicht, in der Schweiz sind es Pharmawerte wie Novartis oder Roche, aber natürlich auch Nestlé. Das Problem trete bei deutlich marktbreiteren Indizes wie dem S&P 500 in den USA naturgemäß nicht auf. Da kommt dann auch die Frage nach einer möglichen Kappungsgrenze gar nicht erst auf.