Jenga in Japan
Den „härtesten Zentralbankjob der Welt“ übernimmt Kazuo Ueda, schreibt die Finanzzeitung „Nikkei“, weil der 71-Jährige als neuer Chef der Bank of Japan (BoJ) ab April das problematische Erbe von Haruhiko Kuroda abwickeln muss. Die Altlasten sind gewaltig: In zehn Jahren Quantitative Easing pumpte der scheidende Gouverneur die Bilanzsumme der Zentralbank um das Vierfache auf 130% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) auf. Über 50% der Staatsschulden und 7% der Börsenkapitalisierung wanderten auf ihre Konten.
Mit der konsequentesten Geldpolitik der Welt wollte Kuroda die Deflation aus Japans Wirtschaft vertreiben. Wie die aggressiven Wertpapierkäufe, der Negativzins und eine zehnjährige Anleiherendite von 0,0% die Inflation ankurbeln würden, hat der inzwischen 78-Jährige nie richtig erklärt. Wahrscheinlich sollte seine Kühnheit beim Gelddrucken die Erwartung einer schwächeren Währung und einer Geldentwertung anheizen. Seine Rechnung ging nicht auf. Aber die Bank of Japan wurde zum dominierenden Akteur am nationalen Finanzmarkt, globale Investoren nutzten Japan als Billiggeldautomaten.
Kurodas Strategie stieß an ihre Grenzen, als die anderen Notenbanken ihre Geldhähne zudrehten. Negative Aspekte wie die übermäßige Abwertung des Yen und der Import von Inflation sowie der gestörte Anleihehandel überwiegen seitdem positive Effekte wie die Stützung der Konjunktur und steigende Aktien- und Immobilienpreise. Eine Normalisierung der Geldpolitik ist nun unvermeidlich, erfordert aber enorme Vorsicht. Wie beim Geschicklichkeitsspiel Jenga droht der ganze Holzquaderturm einzustürzen, wenn der falsche Baustein herausgezogen wird.
Die heftigen Ausschläge an den Märkten nach der Verdopplung der Bandbreite für die zehnjährige Rendite im Dezember haben die Geldpolitiker in Japan bereits veranlasst, sich vorerst nicht mehr zu bewegen. Zu viel steht auf dem Spiel. Auch Auslandsanleger wachen auf und merken: „Japan matters“. Eine negative Spirale aus steigenden Zinsen und verschlechterten Staatsfinanzen in Japan dürfte enorme globale Kapitalflüsse auslösen. Ausländische Adressen würden ihre Carry Trades in Yen auflösen und japanische Großanleger Dollar-Anleihen abstoßen – der japanische Jenga-Turm verlöre tragende Elemente.
Auf diesen Höllenjob scheint Ueda als erfahrener Praktiker und Theoretiker gut vorbereitet zu sein. Er gehört weder zu den „Falken“ noch zu den „Tauben“ der Geldpolitik. Wie EZB-Chefin Christine Lagarde reiht man ihn eher bei den „Eulen“ ein. Als erster Gouverneur der BoJ seit dem Zweiten Weltkrieg absolvierte er keine Beamtenlaufbahn in der Zentralbank oder dem Finanzministerium. Das macht ihn zum Außenseiter ohne eigene Truppen, der allein mit Erfahrung und Wissen überzeugen muss. Noch gibt sein Kurs Rätsel auf. 2022, lange vor seiner Nominierung, schrieb Ueda in der „Nikkei“-Zeitung, die Abwicklung der ultralockeren Geldpolitik erfordere „ernsthafte Betrachtungen“. Daher dürfte die BoJ unter seiner Führung zunächst eine Untersuchung des bisherigen Instrumentariums vornehmen und sich damit Zeit verschaffen. Die Mehrheit der Analysten meint, dass Ueda als Erstes noch in diesem Jahr die Kontrolle der Renditekurve ändert oder aufgibt. Auch der Negativzins stünde zur Disposition. Aber die Zentralbank wird sich nicht bewegen, nur weil viele Finanzakteure sich für eine Straffung der Geldpolitik positioniert haben.
Ueda betrachtet vor jeder Entscheidung, so kolportieren es Mitarbeiter, außer der Preisentwicklung das wirtschaftliche Gesamtumfeld. Derzeit spricht es nicht gerade für eine monetäre Straffung. Das Bruttoinlandsprodukt wuchs zuletzt schwächer als erwartet, die Unternehmen zögern mit Kapitalausgaben, obwohl sie auf dicken Geldpolstern sitzen. Zwar wollen die Konzerne ihre Löhne erstmals seit Jahrzehnten im Frühjahr kräftig anheben, aber sie beschäftigen nur ein Drittel der Erwerbstätigen. Die Mehrheit der kleinen und mittleren Unternehmen zieht nicht mit. Auch will Premier Fumio Kishida die geplante Verdopplung des Wehretats und die Förderung junger Familien auf Pump finanzieren. Dabei ist er ebenso auf niedrige Zinsen angewiesen wie der Großteil der Eigenheimbesitzer.
Daher dürften die Kosten des Abwartens für Ueda vorerst geringer sein als die eines verfrühten Ausstiegs aus der Zinskontrolle. Wenigstens können sich die Märkte sicher sein, dass der neue Gouverneur seine Uedanomics besser kommunizieren wird. Überraschende Bazooka-Schüsse wie bei Kuroda wird es mit ihm kaum geben.