Timm Spyra-Sachse, BVI

„Keine Einschränkung des Fragerechts“

Der Fondsverband BVI will sich dem gesetzlich neu geregelten Format der virtuellen Hauptversammlung nicht generell verschließen, fordert aber die vollständige Wahrung von Aktionärsrechten ein.

„Keine Einschränkung des Fragerechts“

Sabine Wadewitz.

Herr Spyra-Sachse, der BVI empfiehlt in seinen neuesten Leitlinien für Hauptversammlungen, den Unternehmen nur für zwei Jahre eine Ermächtigung für eine virtuelle HV zu geben und nicht für fünf Jahre, wie gesetzlich vorgesehen. Schränkt das nicht die Planungsfreiheit der Konzerne zu sehr ein?

Vor dem Hintergrund der schlechten Erfahrungen mit virtuellen Hauptversammlungen in den vergangenen drei Jahren und angesichts der doch sehr verhärteten Fronten im Gesetzgebungsverfahren halten wir eine Ermächtigung über fünf Jahre für zu lang. Wir wollen uns zunächst ein Bild verschaffen, wie die Unternehmen mit dem neuen Gesetzesrahmen umgehen. Im Grunde genommen bekommen die Emittenten ja auch drei Jahre Zeit, denn für die kommende HV-Saison ist noch kein Aktionärsvotum für die virtuelle HV notwendig.

Es müsste also bei guten Erfahrungen in Zukunft nicht bei zwei Jahren Ermächtigung bleiben?

Was danach kommt, wird man sehen. Wenn es in den virtuellen Hauptversammlungen aus Sicht der Aktionäre nicht rund läuft, will ich nicht ausschließen, dass sich unsere Haltung auch ändern kann und wir rein virtuellen Formaten dann grundsätzlich gar nicht mehr zustimmen werden.

Dann würden Sie der bisherigen Leitlinie des Stimmrechtsberaters ISS folgen?

ISS hat Investoren befragt und aus dem Ergebnis einen sehr konsequenten Schluss gezogen. Wir haben immer gesagt, dass wir uns einem virtuellen Format nicht kategorisch verschließen, wenn in diesem die Aktionärsrechte wie in der Präsenzhauptversammlung gewahrt werden. Wir verlangen von den Emittenten, dass sie dies in virtuellen HV nun in der Praxis entsprechend um­setzen.

Die Zustimmung zur virtuellen HV wollen Sie von einer schriftlichen Erklärung abhängig machen, in der das Unternehmen sich zur konkreten Ausgestaltung der HV äußert. Reichen die gesetzlichen Vorgaben nicht aus? In der Präsenz-HV verlangen Sie doch auch keine schriftliche Erklärung zur Ausgestaltung des Aktionärstreffens?

Unternehmen sollten sich dazu äußern, weshalb sie überhaupt eine Satzungsänderung für eine virtuelle HV herbeiführen wollen. Es ist doch von Relevanz, ob es sich um einen reinen Vorratsbeschluss handelt, um zum Beispiel für eine mögliche zukünftige Pandemiesituation vorzusorgen, oder ob ein Unternehmen dauerhaft virtuelle Hauptversammlungen abhalten will. Eine Richtungsvorgabe ist für Investoren hilfreich, um über die Satzungsänderung befinden zu können.

In der schriftlichen Erklärung sollen Unternehmen nach Vorstellungen des BVI davon absehen, eine Gesamthöchstzahl von Fragen festzulegen. Brauchen die Emittenten nicht ein Instrument, damit die HV nicht ausufert?

Das Fragerecht der Aktionäre darf im Vorfeld nicht eingeschränkt werden. Dass Unternehmen vorab festlegen, wie viele Fragen insgesamt gestellt werden dürfen, lehnen wir strikt ab. Hier sehen wir ein hohes Missbrauchsrisiko. Außerdem muss es auch während der Hauptversammlung möglich sein, Fragen zur Tagesordnung zu stellen.

Der Gesetzgeber gibt doch einen Rahmen vor, der eine willkürliche Höchstgrenze verhindern soll. Die Unternehmen sollen sich an der Vergangenheit orientieren?

Die Pandemiejahre sind nicht repräsentativ. Ein Unternehmen könnte in den vergangenen drei Jahren sehr wenige schriftlich einzureichende Fragen eingesammelt haben. Wenn die Gesellschaft jetzt eine Gesamtzahl von zum Beispiel 20 Fragen für die virtuelle HV festlegt, könnte schon der erste Aktionär dieses Limit erreichen, und alle anderen Aktionäre hätten keine Möglichkeit mehr, Fragen zu stellen. Das darf nicht sein. Eine solche Festlegung in Kombination mit einer Einschränkung des Fragerechts in der Hauptversammlung halten wir für inakzep­tabel. Die vom Gesetzgeber vor­geschlagene Orientierung an einer Fragenzahl aus der Vergangenheit bedingt zudem, dass auf Haupt­versammlungen jedes Jahr das Gleiche los ist. Das ist keineswegs der Fall.

Wäre es für Sie in Ordnung, wenn je Aktionär eine Höchstzahl von Fragen festgelegt würde?

Damit sind wir im Grundsatz einverstanden. Die Anzahl der Fragen je Aktionär kann in einem gewissen Rahmen limitiert werden. Legen Sie mich aber nicht auf eine Zahl fest, das ist im Einzelfall zu betrachten. In der Präsenzhauptversammlung hat man bei einer Redezeitbegrenzung von fünf bis zehn Minuten ja auch nicht die Möglichkeit, unendlich viele Fragen zu stellen.

Welche HV-Szenarien erwarten Sie?

Es ist schwer abzusehen, wie viele Unternehmen zur bewährten Form der Präsenzhauptversammlung zu­rückkehren und wie viele im virtuellen Format bleiben wollen. Wir glauben aber nicht, dass Unternehmen in virtuellen HV von der Möglichkeit zur Vorverlagerung des Auskunftsrechts rege Gebrauch machen werden. Denn der Aufwand wäre deutlich größer. Wir werden uns die virtuellen Hauptversammlungen auf jeden Fall sehr genau ansehen und Bestrebungen zur Einschränkung von Auskunfts- und Fragerechten keinesfalls tolerieren.

Sehen Sie alle Aufsichtsräte in der Pflicht, persönlich an der virtuellen HV teilzunehmen, oder akzeptieren Sie einen Satzungsbeschluss, der eine Teilnahme über Video- oder Telefon erlaubt?

Alle Vorstände und Aufsichtsräte müssen aus unserer Sicht unabhängig vom Format über die gesamte Zeit an der Hauptversammlung teilnehmen. Das war in Pandemiezeiten leider nicht immer der Fall. Wir haben aber nichts dagegen, wenn Aufsichtsräte online zugeschaltet sind. Das ist für uns bislang kein kritischer Faktor.

Der BVI setzt Leitplanken in der Anwendung des Gesetzes, einzelne Fondsgesellschaften scheinen aber eher in Richtung des Stimmrechtsberaters ISS zu tendieren und lehnen das virtuelle Format schlichtweg ab?

Wir bemühen uns um einen konstruktiven Ansatz. Unsere HV-Leitlinien sind aber keine verbindlichen Vorgaben für unsere Mitglieder. Das Meinungsspektrum ist sehr breit, und im Kreis der Fondsgesellschaften gibt es durchaus starke Stimmen, die die Präsenz-HV oder das hybride Format favorisieren. Insofern können wir nicht ausschließen, dass sich die eine oder andere Fondsgesellschaft in den Abstimmungen auch anders verhält.

Das Interview führte

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