Lagarde hält sich alle Optionen offen
ms Frankfurt
Während im EZB-Rat die Differenzen über die Inflationsdynamik und die nötige geldpolitische Reaktion zunehmen, hält sich EZB-Präsidentin Christine Lagarde alle Optionen offen. Bei ihrer Anhörung vor dem Wirtschafts- und Währungsausschuss des EU-Parlaments am Montag bekräftigte Lagarde zwar die Erwartung, dass die Leitzinsen weiter steigen werden. Zudem dämpfte sie Hoffnungen, dass die Inflation bereits den Höhepunkt erreicht hat. Zugleich sagte sie aber gut zwei Wochen vor der nächsten Zinssitzung, dass noch offen sei, wie stark und wie schnell die Europäische Zentralbank (EZB) ihre Geldpolitik noch straffen müsse.
Debatte über Inflationstrend
In den vergangenen Tagen hatten sich verstärkt unterschiedliche Sichtweisen zu Inflation und Zinsen in der EZB offenbart. Sinnbildlich standen dafür Aussagen von EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel und EZB-Chefvolkswirt Philip Lane. Während Schnabel vor Inflationsrisiken warnte und sagte, dass es noch keinen Spielraum gebe, sich von den starken Zinserhöhungen abzukehren, dämpfte Lane Inflationssorgen eher ein wenig und erklärte, dass zumindest für Anhebungen um 75 Basispunkte – wie zuletzt zweimal in Folge – seiner Ansicht nach keine Grundlage mehr bestehe. Auch unter den nationalen Zentralbankchefs gehen die Meinungen auseinander.
Die EZB hat nach einigem Zögern im Juli die Zinswende eingeleitet und ihre Leitzinsen seitdem um insgesamt 200 Basispunkte und damit so aggressiv wie nie erhöht. Hintergrund ist die rekordhohe Inflation. Sie lag im Oktober bei 10,6%, und auch die Kernrate (ohne Energie und Lebensmittel) liegt bei 5,0% so hoch wie nie. Im November dürfte sich die Teuerungsrate über der 10-Prozent-Marke halten; eine erste Schätzung dazu gibt es am Mittwoch. Zugleich nimmt aber die Wahrscheinlichkeit einer Rezession zu. Nicht zuletzt deshalb haben auch bereits führende Politiker der Eurozone wie Frankreichs Präsident Emanuel Macron den Straffungskurs der EZB kritisiert.
„Wir sind entschlossen, die Inflation auf unser mittelfristiges Ziel zu senken, und wir sind entschlossen, die dafür notwendigen Maßnahmen zu ergreifen“, sagte Lagarde nun erneut. Die EZB werde die Zinsen „weiter auf das Niveau anheben, das erforderlich ist, um sicherzustellen, dass die Inflation rechtzeitig zu unserem mittelfristigen Ziel von 2% zurückkehrt“. Zudem werde die EZB auch ihre aufgeblähte Bilanz allmählich abbauen. Allein der Bestand aufgekaufter Anleihen beläuft sich inzwischen auf rund 5 Bill. Dollar.
Angesichts der großen Unsicherheit und der Komplexität der Schocks werde die EZB aber weiter von Sitzung zu Sitzung entscheiden, sagte Lagarde. „Wie weit wir noch gehen müssen und wie schnell wir dorthin gelangen, wird von unseren aktualisierten Prognosen, der Persistenz der Schocks, der Reaktion der Löhne und Inflationserwartungen sowie von unserer Einschätzung der Transmission unseres geldpolitischen Kurses abhängen.“ Zur nächsten Sitzung am 15. Dezember legen die EZB-Volkswirte neue Prognosen vor. Im besonderen Fokus wird dann die Inflationsprognose für das Jahr 2025 stehen, die erstmals publik wird.
Skeptisch äußerte sich Lagarde zu Einschätzungen, dass bereits der Gipfelpunkt der Inflation erreicht sei. „Das würde mich überraschen“, sagte sie. Top-Volkswirte der EZB würden aktuell eher das Risiko sehen, dass die Teuerung noch zunehme. Zu dieser Hoffnung in Sachen Inflation hatten einzelne Preisdaten aus dem Euroraum beigetragen. Zudem scheint in den USA der Inflationshöhepunkt überschritten.
Auch Bundesbankpräsident Joachim Nagel und der niederländische Zentralbankchef Klaas Knot untermauerten am Montag ihre Forderung, im Kampf gegen die Inflation noch nicht nachzulassen. „Wir haben auf dem eingeschlagenen Weg ein gutes Stück geschafft – aber eben auch nur ein Stück. Wir dürfen nicht zu früh nachlassen“, sagte Nagel bei einer Rede beim Wirtschaftsrat der CDU, Sektion Karlsruhe/Bruchsal. „Ich denke, das Risiko, zu wenig zu tun, ist klarerweise mehr ausgeprägt, als zu viel zu tun“, sagte Knot in Paris. Bereits jetzt vom Risiko einer zu starken Straffung zu sprechen sei „ein bisschen wie ein Witz“.