Unterm Strich

Ludwigshafener Fehlreaktionen

Ungeachtet der politischen Risiken baut BASF in China weiter aus. Wohin das im Ernstfall führen kann, hat der Chemiekonzern gerade in Russland erlebt.

Ludwigshafener Fehlreaktionen

„Offenheit gehört zu unseren Werten und ist entscheidend für unseren Erfolg“, sagt BASF-Chef Martin Brudermüller. Was beim weltgrößten Chemiekonzern für Geschlecht, Alter oder Herkunft zutreffen mag, gilt offenkundig nicht fürs Denken. In Fragen der Strategie und Investitionspolitik scheint Diversity in Ludwigshafen weniger gefragt. So jedenfalls muss man die jüngste Vorstandspersonalie interpretieren, mit der das Ausscheiden von Saori Dubourg und die Ernennung von Stephan Kothrade kommuniziert wurde (vgl. BZ vom 23. Februar). Dieser Wechsel ist nicht allein wegen der damit verbundenen Verringerung der Frauenquote im Vorstand ein Ärgernis, sondern vor allem wegen des Gleichschritts in der forcierten Ausrichtung des Konzerns auf China.

Dass die zeitweilig als mögliche Nachfolgerin von Martin Brudermüller gehandelte Saori Dubourg die Entscheidung zum Aufbau eines zweiten Verbundstandortes im Reich der Mitte in Zhanjiang für rund 10 Mrd. Euro nicht nur kritisch sah, sondern im Vorstand auch dagegen votierte, war intern wie auch bei externen Beobachtern längst kein Geheimnis mehr. Gründe für eine kritische Überprüfung der BASF-China-Strategie gab und gibt es genug, zumal nach der Ukraine-Invasion Russlands und der fortwährenden Unterstützung Chinas für die eklatante Verletzung des Völkerrechts und diesen mörderischen Krieg mit bisher zig tausend Toten.

Dass die deutsche Industrie die geopolitischen Veränderungen nicht ignorieren dürfe, gehört zwar seit einem Jahr zu den verbalen Bekenntnissen von Unternehmenslenkern und Verbandsbossen. Doch wenn es um konkrete Entscheidungen über Investitionen und Standorte geht, fällt vielen Vorständen und Aufsichtsräten – von Ludwigshafen bis Wolfsburg – die „Zeitenwende“ schwer. Je widriger die Rahmenbedingungen, so der Eindruck, desto enger werden die Reihen geschlossen und desto enger der Blick nur noch auf Märkte und betriebswirtschaftliche Kennziffern.

Dabei hat gerade die BASF allen Grund, ihre Standortpolitik zu hinterfragen, und zwar nicht nur mit Blick auf Kosten und Kunden wie derzeit beim Standort Ludwigshafen, sondern ganz besonders auf Risiken und Abhängigkeiten. Mit Wertberichtigungen von 7,3 Mrd. Euro im zurückliegenden Jahr für die wirtschaftliche Enteignung in Russland hat der BASF-Vorstand seinen Eigentümern die Rechnung dafür präsentiert, dass man einst bei BASF und ihrer Tochter Wintershall das Russland-Risiko ähnlich falsch einschätzte wie heute womöglich das China-Risiko. Doch die bis heute bei BASF praktizierte Übung, ehemalige Vorstände zu Aufsichtsratsvorsitzenden zu machen, verhindert zuverlässig, dass neue Vorstände Fehlentscheidungen ihrer Vorgänger zügig revidieren.

Das in den nächsten Jahren wachsende China-Exposure der BASF ist nicht nur ein politisches oder ethisches Reputationsrisiko, sondern auch ein betriebswirtschaftliches Klumpenrisiko. Bis zur Hälfte ihrer jährlichen Investitionen wird BASF in der Region Asien/Pazifik ausgeben mit Schwerpunkt China. Dabei hat China mit dem Covid-Lockdown vorexerziert, dass einst Undenkbares für China gedacht werden muss und auch die dortige Wachstumsmaschine ins Stottern kommen kann. Da hilft es auch nicht, im Aufsichtsrat mit Liming Chen den Vorsitzenden des World Economic Forum Greater China zu haben, der darin geübt ist, Präsident Xi Jinping den roten Teppich auszurollen. Die zunehmend diktatorischen Züge des chinesischen Machthabers können nicht ohne Folgen für die Investitionen westlicher Konzerne in Asiens Supermacht bleiben.

Das Argument Brudermüllers, die Chancen seien auch heute noch größer als die Risiken, greift zu kurz. Eine kluge Unternehmenspolitik erkennt oder minimiert Risiken, ehe sie entstehen können. Die BASF lässt solche Weitsicht vermissen, wenn sie sich mit Verbundstandorten von politischen Systemen abhängig macht, die sie weder kalkulieren noch beeinflussen kann. Man muss auch nicht gleich an den Worst Case, den Totalverlust des Investments in China denken. Aber welchen Plan hat die BASF für den Fall, dass die USA, wo BASF zwei ihrer sechs Verbundstandorte hat, von ausländischen Konzernen eine Entscheidung zwischen Geschäften in China oder in den USA verlangen? Die Automobilindustrie kennt solche Diskussionen bereits.

Das sich rapide verschlechternde Chance-Risiko-Verhältnis schlägt sich im Aktienkurs nieder. Seit Beginn der Amtszeit Brudermüllers im Mai 2018 hat die Aktie rund 44% verloren – übrigens ähnlich viel wie Bayer, die sich mit dem Monsanto-Kauf so gewaltig verhoben haben. Dass der BASF-Chef regelmäßig über die aus seiner Sicht deutliche Unterbewertung klagt, spricht Bände und ist wohl auch Zeichen fehlender Sensibilität für die Perspektive der Stakeholder. Die zunehmende Abhängigkeit von einem immer weniger kalkulierbaren Unrechtsregime, dessen Wachstumskräfte erlahmen und dessen Bevölkerung inzwischen schrumpft, schwebt wie ein Damoklesschwert über der BASF. Immerhin 45% der BASF-Anteilseigner sind in Deutschland wohnende Privataktionäre, die angesichts der jüngsten Entwicklungen China zunehmend kritisch sehen dürften. Und ein weiteres Fünftel sind institutionelle Investoren aus den USA und Kanada, die nach der Zuspitzung im Konflikt zwischen USA und China ebenfalls einen wachen Blick auf das regionale Klumpenrisiko der BASF haben. Wollen Vorstand und Aufsichtsrat wirklich warten, bis die aktivistischen Aktionäre rheinaufwärts kommen?

Dass eine Unternehmenspolitik des „Augen zu und durch“ nach dem Motto „Et hät noch immer jot jejange“ etwas weiter rheinabwärts erst die Aktionäre zig Milliarden gekostet hat und am Ende den Vorstandschef den Job, sollte sich bis nach Ludwigshafen herumgesprochen haben. Aber Brudermüllers Zeit als CEO endet ohnehin mit der Hauptversammlung 2024.

c.doering@boersen-zeitung.de

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