Strukturelle Probleme

Melonis Bewährungs­proben kommen erst noch

Italiens neue Premierministerin Giorgia Meloni hat einen geräuschlosen Start hingelegt. Doch die echten Bewährungsproben kommen erst noch.

Melonis Bewährungs­proben kommen erst noch

Italiens neue Premierministerin Giorgia Meloni ist etwas mehr als einen Monat im Amt. Sie hat alle zentralen internationalen Partner getroffen, ein neues Hilfsprogramm gegen die hohen Energie- und Strompreise vorgelegt und einen Haushaltsentwurf erarbeitet, der bis Jahresende verabschiedet werden soll. Bei den Italienern kommt sie gut an: Wären jetzt Wahlen, käme ihre postfaschistische Partei Fratelli d’Italia auf weit über 30%. Und auch die Finanzmärkte haben positiv reagiert. Der Spread zwischen zehnjährigen deutschen und italienischen Staatsanleihen, der nach ihrer Wahl auf bis zu 250 Basispunkte gestiegen war, ist auf 190 Zähler gesunken.

Meloni setzt gezielte Nadelstiche, etwa in der Flüchtlingspolitik, indem sie Rettungsschiffe wochenlang nicht in italienische Häfen einlaufen lässt und Spannungen mit Frankreich riskiert, sich aber gleichzeitig um Deeskalation bemüht. Gleichzeitig erhöht sie im notorischen Schwarzarbeiterland Italien die Grenze für Bargeldzahlungen. In der Haushaltspolitik ist sie jedoch vorsichtig, weil sie weiß, dass jeder unüberlegte Schritt Konsequenzen für das mit 150% des Bruttoinlandsprodukts verschuldete Land hätte. So führt sie weitgehend die Politik ihres Vorgängers Mario Draghi fort. Akzente setzt sie in der Familienpolitik, durch Steuerentlastungen für niedrige Einkommen und Korrekturen beim Bürgergeld, das zeitlich begrenzt wird und nur für nicht arbeitsfähige Personen länger gezahlt werden soll sowie bei einer Reduzierung der sehr großzügigen, aber ineffizienten Hilfen für die energetische Sanierung von Gebäuden. Die Übergewinnsteuer für Energieunternehmen, die unter Draghi eingeführt wurde und handwerklich schlecht gemacht war, wurde auf eine sichere Basis gestellt und soll zur Finanzierung der Maßnahmen beitragen.

Zwei Drittel der Mehrausgaben und Steuererleichterungen von 35 Mrd. Euro dienen der Linderung der Energiebelastungen. Doch bei den Renten, für die Italien etwa 16,5% des Bruttoinlandsprodukts ausgibt, werden Vorruhestandsregelungen nur ganz vorsichtig angepasst. Die Renten sind, neben dem wachsenden Schuldendienst, der größte Posten im Haushalt. Bei der geplanten Reduzierung des Haushaltsdefizits von 5,6% auf 4,5% im kommenden Jahr kommt ihr die Inflation zugute, die die staatlichen Einnahmen erhöht und ihr eine Reihe symbolischer Gesten ermöglicht.

Nun warten die Mühen der Ebene auf Meloni. Die Koalitionspartner Matteo Salvini von der Lega und Silvio Berlusconi von Forza Italia haben sich nur vorerst und murrend gebeugt. Konflikte sind vorprogrammiert, etwa wenn deren teure Wahlversprechen auch in den kommenden Jahren nicht umgesetzt werden sollten. So etwa eine Mindestrente von 1000 Euro pro Monat oder eine sozial ungerechte und haushaltspolitisch fragwürdige Flat Tax von 15% bis zu Einkommen von 100000 Euro, von denen sich im Haushalt für 2023 nur Spurenelemente wiederfinden. Auch im Hinblick auf den Ukraine-Krieg gibt es erhebliche Differenzen innerhalb der Regierung.

Doch die wahren Herausforderungen Italiens sind struktureller Natur. Ein Beispiel ist der katastrophale Erdrutsch auf der Insel Ischia: Es gab Warnungen im Vorfeld, doch die schwerfällige Bürokratie, Gelder, die nicht ausgegeben werden konnten, die Legalisierung von Schwarzbauten und fehlende Kontrollen verhinderten die Umsetzung geplanter Maßnahmen. Ähnliche Probleme plagen Rom im Hinblick auf das Europäische Aufbauprogramm, dessen größter Nutznießer Italien mit 190 Mrd. Euro ist. Ein Großteil der Gelder kann nicht ausgezahlt werden, Italien die vorgegebenen Fristen nicht einhalten. Und die Wirtschaft klagt darüber, dass kein Mut für Strukturreformen vorhanden ist.

Immerhin hat die Regierung eine breite Mehrheit und kann womöglich über die volle Legislaturperiode von fünf Jahren regieren. Das wäre ein Novum in Italien und würde zu mehr Stabilität und Planungssicherheit führen. Doch für Europa bleibt Italien ein Risikofaktor. Nicht zufällig griff Meloni in ihrer Regierungserklärung die Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank, die Italien viele Jahre mit Staatsanleihekäufen unter die Arme griff, an, weil sie für Länder, „die wie wir eine hohe Staatsverschuldung haben, eine zusätzliche Schwierigkeit darstellen“. Auch beim Stabilitäts- und Wachstumspakt fordert sie Änderungen, damit er für Italien passt. „Solidarität“ heißt für sie auch weitere europäische Hilfen zum Ausgleich der hohen Energiepreise. All das stimmt nicht beruhigend. Meloni, die Europa nur als eine Konföderation souveräner Staaten sieht, will zwar weitere Transferzahlungen erhalten, aber die Bedingungen dafür nicht akzeptieren.

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