Neuer Anlauf für Rentenreform
wü Paris
Nach monatelangen Beratungen und Spekulationen hat Frankreichs Regierungschefin Élisabeth Borne die von Präsident Emmanuel Macron gewünschte Rentenreform präsentiert. Geplant ist, das offizielle Renteneintrittsalter ab September bis 2030 schrittweise von derzeit 62 Jahren auf 64 Jahre anzuheben. Gleichzeitig soll die Dauer der Beitragszahlungen bereits 2027 von 42 auf 43 Jahre steigen und nicht erst 2035 wie bisher geplant. Wer nicht auf 43 Beitragsjahre kommt, kann trotzdem volle Rentenbezüge erhalten, wenn er bis zum Alter von 67 Jahren arbeitet. Personen, die sehr früh zu arbeiten angefangen haben, sollen weiter mit 60 oder 62 Jahren in Rente gehen können.
Für Macron ist die geplante Rentenreform eine Art Lackmustest, da er einen während seiner ersten Amtszeit in Angriff genommenen Umbau des Rentensystems nach wochenlangen Protesten Anfang 2020 zunächst auf Eis legen und dann ganz fallen lassen musste, als die Corona-Pandemie ausbrach. Auch diesmal erwarten Macron heftige Proteste. Zusätzlich dazu droht der Regierungspartei, die nicht mehr über die absolute Mehrheit im Parlament verfügt, Widerstand seitens der Opposition.
Jeder Euro zähle für einen mit 3000 Mrd. Euro verschuldeten Staat, rechtfertigte Wirtschaftsminister Bruno Le Maire die umstrittene Reform. Das Defizit des Rentensystems dürfte sich ihm zufolge 2030 auf 13 Mrd. Euro belaufen. „Ich bin mir sehr wohl bewusst, dass eine Änderung unseres Rentensystems bei den Franzosen Fragen aufwirft und Ängste auslöst“, sagte Premierministerin Borne. Es sei nun Aufgabe der Regierung, Unterstützung in der Bevölkerung zu gewinnen. Allerdings lehnen vier von fünf Franzosen laut einer Umfrage von Odoxa einen Renteneintritt mit 64 Jahren ab
Die Gewerkschaften haben bereits im Vorfeld Proteste angekündigt. Sie könnten am 19. oder 24. Januar zu ersten Streiks und Demonstrationen aufrufen. Wenn Macron aus der Rentenreform seine Mutter der Reformen machen wolle, werde der Widerstand dagegen für Gewerkschaften zur Mutter des Arbeitskampfes, sagt Frédéric Souillot von Force Ouvrière.
Da im Rahmen der Reform auch sogenannte Spezialrenten abgeschafft werden sollen, ist die Streikbereitschaft bei betroffenen Unternehmen wie dem Pariser Nahverkehrsbetreiber RATP besonders hoch. Die Spezialrenten sichern Mitarbeitern einiger staatlicher Unternehmen ein besonders frühes Rentenalter und andere Privilegien. Experten erwarten zudem, dass der radikale Flügel der kommunistischen Gewerkschaft CGT versuchen wird, sich mit heftigen Protesten für die Ende März anstehende Wahl eines Nachfolgers für CGT-Chef Philippe Martinez in Stellung zu bringen.
Die Rentenreform ist für die zweite Amtszeit von Macron entscheidend. Wenn er an der geplanten Erhöhung des Rentenalters festhält, drohen Streiks die zweitgrößte Volkswirtschaft der Eurozone zu lähmen und sie an den Rand einer Rezession zu bringen. In den letzten Jahrzehnten hat jede noch so kleine Rentenreform in Frankreich zu heftigen Protesten geführt. Sollte Macron jedoch nachgeben, wäre das ein harter Rückschlag für seinen Versuch, Frankreich unternehmensfreundlicher zu machen.
Die Durchsetzung der Rentenreform wird für seine Regierung zusätzlich dadurch erschwert, dass die Regierungspartei in der Nationalversammlung bei den Parlamentswahlen im Juni die absolute Mehrheit verloren hat, während der rechtsextreme Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen inzwischen auf 89 Abgeordnete kommt. Diese haben bereits angekündigt, dass sie die „ungerechte“ Rentenreform blockieren wollen.
Macrons Regierung hat bereits einige Zugeständnisse gemacht. So hatte sie ursprünglich überlegt, das Rentenalter auf 65 Jahre zu erhöhen. Die konservativen Republikaner hatten durchblicken lassen, dass sie die umstrittene Reform unterstützen könnten, wenn das Rentenalter statt auf 65 nur auf 64 Jahre angehoben und die Mindestrente auf 1200 Euro erhöht wird.