Geldpolitik

Notenbanken und Märkte uneins

Fed und EZB haben wegen der weiter zu hohen Inflation mehr Zinserhöhungen als zuvor und länger höhere Zinsen als vielfach erwartet avisiert. Viele Investoren und Marktteilnehmer zweifeln daran. Was sind die Gründe? Und was mögliche Folgen. Die Börsen-Zeitung hat dazu Top-Ökonomen befragt.

Notenbanken und Märkte uneins

Von Mark Schrörs, Frankfurt

„Don’t fight the Fed“ – so lautet ein berühmtes wie viel zitiertes Mantra von Investoren und Marktteilnehmern. Im Grunde geht es darum, dass sich Finanzmarktakteure nicht mit der US-Notenbank Fed anlegen und nicht gegen sie wetten, sondern ihr Handeln besser in Einklang mit den Handlungen und Ankündigungen der Fed bringen sollten – weil ihnen sonst schmerzhafte Verluste drohen. In den allermeisten Fällen halten sich die Investoren auch an diesen Ratschlag.

Aktuell ist das Bild aber ein etwas anderes: Die Fed hat bei ihrer letzten Sitzung in diesem Jahr Mitte Dezember nicht nur Zinserhöhungen bis auf mehr als 5%, sondern auch danach für längere Zeit einen anhaltend ho­hen Zins avisiert. Konkret gehen die US-Notenbanker für Ende 2023 von einem US-Leitzins von 5,1% aus, also in der Spanne 5,0% bis 5,25%. Die Märkte dagegen preisen einen niedrigeren Zinspeak ein und viele setzen 2023 sogar schon auf erste Zinssenkungen. Und bei der EZB sieht es ähnlich aus: Die Euro-Hüter haben für die nächsten Sitzungen im neuen Jahr weitere Zinserhöhungen um 50 Basispunkte in Aussicht gestellt. An den Märkten gibt es aber Zweifel, ob die EZB den Worten Taten folgen lässt.

„Wir haben nun tatsächlich eine Situation Zentralbanken versus Markt. Gerade die US-Märkte haben das Signal von Fed-Chef Jerome Powell größtenteils ignoriert“, sagt Christian Keller, Chefvolkswirt der Großbank Barclays (vgl. BZ vom 23. Dezember). Was aber sind die Gründe? Und was sind mögliche Folgen­?

Ein Grund ist sicher, dass die Märkte eine Kehrtwende der sehr aggressiven Geldpolitik (siehe Grafik) herbeisehnen. „Markteilnehmer werden häufig von ‚Wunschdenken‘ getrieben“, erklärt der Ökonom Markus Brunnermeier, der an der Universität Princeton lehrt und weltweit zu den renommiertesten Experten für Geldpolitik und Finanzstabilität gilt, auf Anfrage der Börsen-Zeitung. Die Marktteilnehmer sorgten sich um die Höhe der Wertpapierpreise, während sich die Zentralbanken um die Volkswirtschaft kümmerten. „Die Märkte sehnen sich nach den Kursverlusten dieses Jahres nach dem Goldilocks-Szenario zurück, in dem nachlassende Inflationssorgen Zentralbanken mehr Spielraum geben, Konjunktur und Finanzmärkte zu unterstützen“, sagt auch Karsten Junius, Chefvolkswirt der Schweizer Bank Safra Sarasin.

Ein wichtiger Faktor ist aber auch, dass die Märkte an einen schnelleren Rückgang der Inflation glauben als die Zentralbanken – auch wegen der wirtschaftlichen Abschwächung. Zwar gehen auch viele Volkswirte davon aus, dass die Inflation im Jahr 2023 in den USA wie im Euroraum stark zurückgehen wird. Einige warnen aber: „Man sollte nicht in Euphorie geraten, da es schwierig sein wird, die ‚letzte Meile‘ bis hin zum 2-Prozent-Inflationsziel zu erreichen“, sagt Brunnermeier. „Der Markt überbetont die zu erwartende Schwächung der Inflation und betont nicht hinreichend das Letzte-Meile-Problem.“ Ähnlich sieht es auch Volker Wieland, Geldpolitik-Experte und Ex-Wirtschaftsweiser, wie er im Gespräch mit der Börsen-Zeitung sagt: „Die Inflations- und Zinsprognosen der Märkte sind recht optimistisch.“

Die Zentralbanken sorgen sich insbesondere, dass sich die Inflationserwartungen dauerhaft vom 2-Prozent-Ziel entfernen. „Die Zentralbanken können in der aktuellen Phase kein Signal geben, das Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit und an Ihrer Entschlossenheit aufkommen lässt, ihre Inflationsziele zu verteidigen“, sagt Junius. „Das Risiko von Zweitrundeneffekten und Lohn-Preis-Spiralen würde sonst steigen.“ Mehr noch: Die zuversichtliche Sichtweise an den Märkten führt dazu, dass die Finanzierungskonditionen schon wieder lockerer werden – was die Zinsstraffung konterkariert. „Je stärker sich die Finanzierungsbedingungen an den Kapitalmärkten verbessern, desto stärker müssen Zentralbanken dagegenhalten“, so Junius

1970er Jahre als Mahnung

Eine Rolle spielt dabei laut Brunnermeier auch die Erfahrung der 1970er Jahre. „Die Zentralbanken sind sich mehr bewusst als die Marktteilnehmer, dass auch in den 1970er Jahren die Zinsschraube schnell angezogen wurde, dass sie aber auch schnell wieder zurückgedreht wurde, als die Wirtschaft schwächelte. Dies war ein Fehler und führte zu einer Verstetigung der Inflation. Diesen Fehler wollen die Zentralbanken nicht wiederholen. Der Markt gibt dieser Tatsache nicht das gleiche Gewicht.“

Im Fall der EZB kommt laut Wieland hinzu, dass sie besonderem politischen Druck ausgesetzt ist. „Der Gegenwind ist enorm und viele zweifeln deshalb daran, dass die EZB wirklich durchziehen wird.“

Und was sind die Folgen eines potenziellen Clashs zwischen Notenbanken und Märkten? „Die Diskrepanz zwischen Erwartungen und Politikabsichten der Zentralbanken ist ein Risiko für die Aktien- und Rentenmärkte für das Jahr 2023, selbst wenn sich die extremen Kursanpassungen von 2022 nicht wiederholen dürften“, sagt Junius.

Uneinigkeit herrscht bei den Experten über die Folgen, sollten die Finanzmärkte mit ihrer positiven Inflationseinschätzung recht behalten. Junius sieht in dem Fall nur einen geringen Reputationsschaden für die Zentralbanken: „Sie haben dann einfach die richtige Politik gemacht.“ Kritischer sieht das Marcel Fratzscher, Präsident des DIW Berlin und lange selbst Ökonom der EZB. „Diese Ankündigungen sind eine Wette auf eine schneller als von vielen erwartete wirtschaftliche Erholung und ein baldiges Ende des Krieges. Diese Kommunikation ist eine gefährliche Strategie, weil sie die Glaubwürdigkeit der Zentralbanken genauso gefährden kann wie ein zu langes Verfehlen der Preisstabilität“, erklärt Fratzscher auf Anfrage.

Junius dagegen sieht das Risiko woanders: „Wenn die Zentralbanken sich allerdings von den Finanzmärkten in die falsche Richtung führen lassen und zu früh die Geldpolitik lockern, wäre der Reputationsschaden immens.“ Markus Demary, EZB-Experte am IW Köln, warnt jedenfalls klar. Es gebe bereits ein „neues Inflationsumfeld“.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.