Linde

Nur noch der Name

Der Abschied von der Frankfurter Börse ist der nächste Schritt der Amerikanisierung von Linde. Wenn es allein um Investoren ginge, gäbe das Management vermutlich auch den Traditionsnamen auf.

Nur noch der Name

Linde gehört nur noch bis Ende Februar zum Dax. Das ist mit Blick auf den Finanzplatz Frankfurt bedauerlich, doch letztlich konsequent. Denn in den Spitzenindex der deutschen Börse passt der Industriegasekonzern schon lange nicht mehr. Seit der Fusion des US-amerikanischen Wettbewerbers Praxair mit der Linde AG 2018 ist das Unternehmen klar auf die Strategie und die Ziele der Amerikaner ausgerichtet. Insofern war und ist es kein Zusammenschluss gleichberechtigter Partner, sondern die Übernahme der Managementleitlinien und -ziele von Praxair für das aus dem Zusammenschluss entstandene Unternehmen. Im Deutschen Aktienindex ist die Linde plc ein Fremdkörper. Das kommt schon in den Standards börsennotierter US-Konzerne zum Ausdruck, die Linde anwendet: das Bilanzieren in Dollar und nach US-GAAP, das Zahlen von Quartalsdividenden, ein Aktienrückkaufprogramm nach dem anderen im Milliardenvolumen, sehr kurze Hauptversammlungen mit wenig Präsenz. Und das Gehalt des CEO liegt als Ausreißer weit über dem der anderen Vorstandschefs im Dax.

Ginge es allein nach den Interessen der Investoren, würde das Management vermutlich lieber heute als morgen auch den Namen Linde abschaffen. Ein starkes Argument für diese These findet sich in der Information an die Aktionäre, in der der Rückzug von der Frankfurter Börse begründet wird. Außer dem Limit für das Gewicht einzelner Werte im Dax und den komplexen Regeln einer Notierung an zwei Börsenplätzen geht es Vorstand und Verwaltungsrat an dritter Stelle darum, die globale Präsenz stärker hervorzuheben. Das Delisting in Frankfurt wird nach deren Ansicht helfen, die falsche Wahrnehmung („mispercep­tion“) zu vermeiden, das Geschäft von Linde sei zu stark auf den deutschen Markt ausgerichtet.

Das lässt tief blicken, was das Management in den USA vom Wirtschafts- und Finanzstandort Deutschland hält. Offenbar wird der traditionsreiche Name als störend empfunden. Eine emotionale Bindung an die im Jahr 1879 gegründete Gesellschaft für Linde’s Eismaschinen oder Stolz auf die Historie gibt es am Sitz der Konzernzentrale in Danbury nicht. Dabei hatte Carl von Linde 1907 mit der Gründung der Linde Air Products Company in den Vereinigten Staaten auch das Fundament für Praxair geschaffen.

Die Vermutung liegt nahe, dass Vorstand und Verwaltungsrat am Namen Linde nur festhalten, weil die Marke im Kreis der Kunden und Lieferanten seit langem etabliert ist, einen hohen Wert besitzt und im Anlagenbau für die Qualität deutscher Ingenieurleistungen steht. Darauf zu wetten, dass niemals ein international passender Kunst­name Linde ersetzt, wäre aber riskant. Eine Umbenennung bedeutete den Schlussstein der Amerikanisierung.

Zugegeben, Linde ist seit dem Zusammenschluss aus Sicht der Aktionäre sehr erfolgreich. Der Aktienkurs hat sich seit Oktober 2018 mehr als verdoppelt, während der Dax nur um etwa ein Drittel zugelegt hat. Das Ergebnis je Aktie und die Dividende steigen stetig von Jahr zu Jahr. Auch dank milliardenschwerer Rückkäufe und eingezogener Aktien nimmt der Gewinn der Anteile zu. Angesichts des hohen Anteils seiner variablen und seiner aktienbasierten Vergütung hat der Vorstand daran ein großes eigenes Interesse. Effizienz und Rendite kontinuierlich zu erhöhen gelingt dank der Synergien und weil der deutsche Teil von Linde in einer relativ schwachen Ausgangsposition war. Zudem verringerte sich mit dem Zusammenschluss die Zahl der globalen Anbieter im Industriegase-Oligopol von vier auf nur noch drei. Preiserhöhungen konnte Linde schon vor dem Anziehen der Inflation regelmäßig durchsetzen.

In einer Mischung aus Bedauern über den Abschied von der Frankfurter Börse und Bewunderung für Linde kommt mancher deutsche Fondsmanager zu dem Schluss, das Unternehmen sei den anderen im Dax weit enteilt. Linde richte den Fokus viel stärker auf Shareholder Value. Dieses klare Konzept und das kühle Agieren haben jedoch Schattenseiten: An einem Milliardenauftrag von Gazprom hielt das Management noch nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine fest und begründete dies mit Vertragsverpflichtungen. Erst die Sanktionen der EU und der USA zwangen dazu, das Geschäft aufzugeben.

Zum Fokus auf Shareholder Return gehört die für die Deutsche Börse bittere Wahrheit, dass die Notierung in Frankfurt für Linde ein Störelement ist. An der New Yorker Börse ist der Konzern besser aufgehoben. Nur der Unternehmensname passt dort nicht so richtig.

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