Siemens drückt das Gaspedal durch
mic München
Siemens greift nach dem Blitzstart in das Geschäftsjahr 2022/2023 die Wettbewerber voll an. „Aufgrund der starken Nachfrage nach unserem Portfolio haben unsere Geschäfte ihre Zurückhaltung bei den Betriebs- und Investitionsausgaben gelockert“, sagte Vorstandsvorsitzender Roland Busch am Donnerstagmorgen in einer Telefonpressekonferenz, in der er die abends zuvor überraschend veröffentlichten Quartalszahlen präsentierte (vgl. BZ vom 9. Februar). Das Ziel nach den Worten von Busch: „Wir wollen schneller wachsen.“
Siemens werde beim Absatz der Produkte mehr ausgeben, detaillierte Busch. Man schaue beispielsweise nach Verstärkung im digitalen Vertrieb. Es laufe aber angesichts der hohen Aufträge auch die eine oder andere Fabrik voll. Gegenwärtig schaue man nach einem Standort für die Produktion von Bahntechnik – wie beispielsweise Lokomotiven – in den USA. Der dortige Personenfernverkehrs-Anbieter Amtrak baue das komplette Portfolio auf elektrische Antriebe um. „Wir werden mehr Kapazität brauchen“, sagte Busch. Die hohen Wachstumsraten führten auch dazu, dass Siemens für das Geschäft der Sparte Digital Industries die Optionen prüft: „Da könnte noch was kommen.“
Zugpferd Digital Industries
Das Drücken aufs Gaspedal schlägt sich bereits in den Zahlen des ersten Quartals nieder. Im vergangenen Geschäftsjahr hatte Siemens mit den teils hohen Wachstumsraten des Postens Vertriebs- und allgemeine Verwaltungsaufwendungen noch die Delle während der Corona-Lockdowns ausgeglichen (siehe Grafik). Nun geht es auf höherem Niveau weiter. Im ersten Quartal steckte Siemens 18,5% des Umsatzes in Vertrieb und Verwaltung. In den beiden ganzen Geschäftsjahren zuvor waren es 17,9% und 18,0% gewesen. Finanzchef Ralf Thomas wies zudem darauf hin, dass die Vorräte vorübergehend gezielt stärker aufgebaut worden seien, um das Umsatzwachstum abzusichern.
Busch begründete den Optimismus mit vielen Entwicklungen von heute, die einen positiven Einfluss auf das Siemens-Geschäft von morgen hätten. Bei den Kunden gebe es eine große Bereitschaft für Veränderung: „Zudem haben viele Länder Investitionsprogramme aufgelegt.“ Mit Blick auf die Kernsparte Digital Industries erklärte Thomas, das Investitionsklima sei nach wie vor positiv: „Dies gilt nicht nur für Fertigungsindustrien, sondern auch für hybride Industrien, wie zum Beispiel für die Lebensmittel- und die Pharmaindustrie.“
Regional gesehen fällt auf, dass der Auftragseingang von Digital Industries in China nur um 7% sank, obwohl er im Vorjahresquartal um 78% auf einen extrem hohen Wert gestiegen war. Thomas erklärte, im Vergleich zum vierten Quartal (damals –30%) habe sich der Auftragseingang sogar rund verdoppelt. Die Aufträge seien nicht auf eine Branche beschränkt, sondern kämen auf breiter Basis herein, fügte er im Gespräch mit Analysten hinzu. Wenn man den Einfluss des chinesischen Neujahrsfestes, das in diesem Jahr auf den Januar statt wie im Vorjahr auf den Februar fiel, herausrechne, sei auch im Januar kein negativer Einfluss zu beobachten.
In der Folge erhöhte Siemens, wie am Mittwochabend berichtet, die Umsatz- und Gewinnprognose – wenngleich im geringen Maß. Auf vergleichbarer Basis soll das Umsatzwachstum nun um einen Prozentpunkt stärker als bisher geplant ausfallen und zwischen 7 und 10% betragen. Für den Schwung sorgt vor allem die Sparte Digital Industries (DI), die die Erlöse um 12 bis 15% steigern soll (zuvor 10 bis 13%). Smart Infrastructure (SI), das im ersten Quartal mit einem Umsatzplus von 15% ebenfalls stark abgeschnitten hatte, soll statt um 8 bis 11% nun um 9 bis 12% wachsen. Die Prognose für die Bahntechnik in der Sparte Mobility blieb unverändert.
Erwartungen übertroffen
Das höhere Wachstum soll sich in den zwei Kernsparten auch in einer leicht höheren Profitabilität niederschlagen. Für Digital Industries wird nun eine Ergebnismarge zwischen 20 und 22% (zuvor 19 bis 22%) erwartet. Smart Infrastructure soll mit 13,5 bis 14,5 % nun 0,5 Prozentpunkte mehr liefern. Dies führe zu einem unverwässerten Nettogewinn je Aktie vor Effekten aus der Kaufpreisallokation von 8,90 bis 9,40 Euro. Dies sind 0,20 Euro mehr als zuvor. Im Vorjahr hatte Siemens abzüglich einer Abschreibung auf den Siemens-Energy-Anteil und dem Saldo von Sondererträgen und -belastungen rund 7,90 Euro erwirtschaftet.
Im ersten Quartal übertraf Siemens die Analystenerwartungen darüber hinaus deutlich. Der Umsatz legte auf vergleichbarer Basis um 8 % auf 18,1 Mrd. Euro zu (siehe Tabelle). Thomas nannte die enthaltenen Preiserhöhungen nicht explizit. Auf Nachfrage erklärte er, die Löhne seien weltweit zwischen 4 und 6 % gestiegen: „Dann wissen Sie auch, in welcher Größenordnung unsere Preisanpassungen stattgefunden haben.“ Für den Anstieg des Ergebnisses im industriellen Geschäft um 9 % sorgten die Kernsparten DI (22 %) und SI (47 %), während Mobility aufgrund von Problemen in der Lieferkette ebenso weniger meldete (–13 %) wie die bereits in der Vorwoche berichtende Siemens Healthineers (–21 %).
Den Rückgang des Gewinns nach Steuern um 9% verursachten der Wegfall des Gewinns infolge der Fluence-Beteiligung (261 Mill. Euro in der Vorjahresperiode), eine Belastung von 74 Mill. Euro aus dem Nuklear-Standort Hanau und der um 123 Mill. Euro erhöhte Verlust der Energy-Beteiligung.