Tennet verdoppelt Netzinvestitionen
cru Frankfurt
Am 27. März wird es spannend für den niederländischen Übertragungsnetzbetreiber Tennet. An diesem Tag treffen sich Bundeskanzler Olaf Scholz und Premierminister Mark Rutte in Rotterdam, um eine gemeinsame Kabinettssitzung abzuhalten. Neben der militärischen Integration und dem Ukraine-Krieg wird es auch um Energiethemen gehen. Dabei steht der geplante Verkauf des Deutschland-Geschäfts von Tennet an vorderster Stelle. Die Bundesregierung, die bereits bei 50Hertz eingestiegen ist und bei Transnet BW kurz davor steht, will nun auch die hiesigen Stromnetze des niederländischen Staatskonzerns übernehmen und könnte sich das mit Hilfe der KfW rund 20 Mrd. Euro kosten lassen.
Um welche hohen Summen es geht, wurde jetzt auch anlässlich der Jahresbilanz von Tennet deutlich. Das Unternehmen will die Investitionen in den Ausbau der Netze kräftig erhöhen. „Wir haben im vergangenen Jahr 4,5 Mrd. Euro investiert“, sagte Finanzchefin Arina Freitag. „Diesen Wert wollen wir in diesem Jahr auf mindestens 8 Mrd. Euro steigern und damit annähernd verdoppeln.“ Auch in den nächsten zehn Jahren sollen es jährlich mindestens 8 Mrd. Euro sein.
Ob Tennet jedoch wirklich 20 Mrd. Euro für die deutschen Aktivitäten erzielen kann, steht in den Sternen. Das „nachhaltige“ – also um Sondereffekte bereinigte – Ergebnis vor Zinsen und Steuern ist zwar 2022 um die Hälfte auf 1,2 Mrd. Euro gestiegen. Ausgewiesen werden muss jedoch nach IFRS-Bilanzierungsregeln aufgrund der Netzstabilisierungskosten ein operativer Verlust (Ebit) von 1 Mrd. Euro.
Man stehe im Zentrum eines Energiesystemumbaus. „Für Tennet bedeutet das ein stark wachsendes Investitionsportfolio und einen entsprechenden Eigenkapitalbedarf“, sagte Freitag. „Wir stehen im intensiven Dialog mit der deutschen und der niederländischen Regierung, um diesen steigenden Eigenkapitalbedarf sicherzustellen.“
Tatsächlich wurden die Investitionen, die sich in den kommenden zehn Jahren auf 111 Mrd. Euro belaufen, bisher hauptsächlich durch Schulden finanziert, weil die Niederlande keine Lust hatten, Deutschlands Netzausbau zu finanzieren. So hat sich die Nettoverschuldung allein 2022 von 15,6 Mrd. Euro auf 20,4 Mrd. Euro erhöht. Im Jahr 2022 emittierte das Unternehmen grüne Anleihen im Wert von 6,85 Mrd. Euro. Damit festigte Tennet den Status als größter europäischer Emittent grüner Unternehmensanleihen – mit einem Kreditrating von „A“ bzw. „A3“ bei S&P und Moody’s.
Das Unternehmen und sein Gesellschafter, der niederländische Staat, führen derzeit Gespräche mit der Bundesregierung, um die Möglichkeit eines vollständigen Verkaufs der deutschen Aktivitäten von Tennet zu prüfen. Ziel ist, den Kapitalbedarf für die umfassende Investitionsagenda langfristig zu sichern. Eine solche Transaktion, die in eine langfristige bilaterale Energiekooperation eingebettet ist, würde laut CEO Manon van Beek „die Schaffung von zwei starken nationalen Akteuren ermöglichen, die im engen Schulterschluss die Energiewende vorantreiben“ sollen.
Mit der „Esbjerg-Erklärung“ wurden im Mai 2022 neue Ziele für die Offshore-Windenergie in der Nordsee festgelegt. Es handelt sich um das erste zwischenstaatliche Abkommen zwischen Belgien, Dänemark, Deutschland und den Niederlanden, das den Bau von 65 Gigawatt Offshore-Windenergie bis 2030 und bis zu 150 Gigawatt bis 2050 vorsieht.