Italien

Vier-Tage-Woche bei vollem Lohn­ausgleich

Ein Arbeitstag weniger, mehr Zeit zu Hause: Italiens Konzerne üben sich in Innovationen.

Vier-Tage-Woche bei vollem Lohn­ausgleich

Die Nachwirkungen der Corona-Pandemie und die stark gestiegenen Energie- und Gaskosten verändern den Arbeitsalltag für viele italienische Beschäftigte nachhaltig und massiv. In immer mehr Unternehmen des Belpaese wurden in den vergangenen Wochen – zunächst häufig auf experimenteller Basis für ein Jahr – deutlich ausgeweitete Homeoffice-Regelungen vereinbart. Es sind vor allem Großunternehmen, die mit teilweise sehr innovativen neuen Modellen als Türöffner agieren und denen weitere folgen dürften.

Doch so weit wie Italiens größte Bank Intesa Sanpaolo mit ihren 74000 Mitarbeitern in Italien gehen vorerst nur wenige Betriebe. Die Großbank führt ab Januar die Vier-Tage-Woche mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 36 (bisher: 37,5) und einer täglichen Arbeitszeit von neun Stunden ein – bei vollem Lohnausgleich. Weiterer Bestandteil dieser Vereinbarung auf freiwilliger Basis ist die Möglichkeit, bis zu 120 Tage im Jahr im Homeoffice zu arbeiten. Damit könnte Intesa Sanpaolo Vorreiter eines neuen Trends werden.

Bei dem Institut heißt es, die Regelung müsse kompatibel sein mit den technischen, professionellen und organisatorischen Bedürfnissen von Intesa Sanpaolo. Die Vereinbarung, der die Gewerkschaften ihre Zustimmung verweigert haben, gilt deshalb, abgesehen von der Verwaltung und Back-Office-Funktionen, zunächst probeweise nur in 200 ausgewählten Filialen. Die Arbeitnehmervertretungen sind ganz und gar nicht grundsätzlich gegen diese Regelung: Sie verlangen aber eine sofortige und dauerhafte Umsetzung in allen Filialen und außerdem einen Essensgutschein von 7 Euro pro Homeoffice-Tag, während die Bank nur 3 Euro zahlen will.

Steigerung der Produktivität

Intesa Sanpaolo begründet die weitreichende Entscheidung zur Einführung der Vier-Tage-Woche und neuer Homeoffice-Regelungen da­mit, die privaten Bedürfnisse der Beschäftigten besser mit denen des Unternehmens in Einklang bringen zu wollen. Außerdem hofft man, die Produktivität steigern zu können.

Ähnlich sind die Beweggründe bei der Personalberatung Magister Group, die für ihre 350 Mitarbeiter ab Februar eine Vier-Tage-Woche mit 32 (bisher: 40) Stunden, ebenfalls bei vollem Lohnausgleich, anbietet. Das Familienunternehmen, das in der zweiten Generation von CEO Simona Lombardi geführt wird, begründet die Entscheidung mit dem Wunsch der Beschäftigten nach mehr Flexibilität, aber auch mit der Hoffnung, damit im Kampf um die besten Talente punkten zu können. Auch Lombardi erwartet sich von der Einführung der Vier-Tage-Woche eine höhere Produktivität im Unternehmen.

Studien etwa in Großbritannien zeigen, dass diese Hoffnungen nicht unbegründet sind. In einem Großteil der Unternehmen, die ihre wöchentliche Arbeitszeit reduziert haben, ist die Produktivität demnach tatsächlich teilweise deutlich gestiegen. Italien hinkt mit Regelungen zur Einführung einer verkürzten Arbeitswoche im internationalen Vergleich eher hinterher. Island, Japan, Großbritannien oder skandinavische Länder sind da teilweise viel weiter. In Frankreich arbeiten de facto viele Beschäftigte bereits seit Einführung der 35-Stunden-Woche vor mehr als 20 Jahren nur noch vier Tage in der Woche und haben ihren Hauptwohnsitz dank schneller Bahnverbindungen von Paris in den Süden verlagert – etwa nach Aix-en-Provence, Bordeaux oder nach Marseille.

Intesa Sanpaolo und die Magister Group sind in dieser Hinsicht also nur in Italien, nicht aber auf internationaler Ebene Vorreiter. Die beiden Unternehmen könnten jedoch durchaus Trendsetter für vergleichbare Initiativen auch anderer Arbeitgeber im Land sein, glauben Experten. Denn Initiativen dieser Art könnten eine Art Sogwirkung zur Folge haben.

Energiekosten einsparen

Wesentlich verbreiteter sind in Italien jedoch derzeit noch Vereinbarungen zur Ausweitung von Homeoffice-Regelungen. Der Trend hat sich vor dem Hintergrund der stark gestiegenen Strom- und Energiekosten in den vergangenen Wochen und Monaten sogar deutlich verstärkt. Denn etliche Unternehmen, die solche Vereinbarungen getroffen haben, hoffen, damit auch ihre Energiekosten reduzieren zu können.

Alessandro Zollo, CEO der italienischen Sparte des international tätigen Forschungs- und Beratungsinstituts Great Place to Work, das die Unternehmens- und Arbeitsplatzkultur analysiert, schätzt, dass Unternehmen pro Jahr und Arbeitnehmer bis zu 2 000 Euro an Kosten einsparen können, wenn der Mitarbeiter an zwei Tagen pro Woche von zu Hause aus arbeitet.

Den Beschäftigten entstehen durch das Homeoffice allerdings privat höhere Energie- und Stromkosten von einigen Hundert Euro, haben etwa Verbraucherorganisationen wie Altroconsumo errechnet. Die Einsparungen durch niedrigere Ausgaben für den öffentlichen Nahverkehr oder die Nutzung des Privat-Pkw seien jedoch größer, glaubt etwa die Technische Hochschule (Politecnico) in Mailand, so dass sich das Homeoffice auch für die Beschäftigten rechne. Nicht berücksichtigt wird dabei allerdings, dass nicht alle Arbeitnehmer privat über geeignete Räumlichkeiten verfügen oder die Wohnungen vor allem in Großstädten vielfach zu klein sind. Damit bräuchten Mitarbeiter, die dauerhaft von zu Hause aus arbeiten, eigentlich ein Zimmer mehr – und damit eine größere und teurere Wohnung. Experten sind überzeugt, dass die Beschäftigung im Homeoffice auf Dauer Bestandteil der Arbeitswelt bleiben wird. Nach einer Untersuchung des Münchener Ifo-Instituts hat sich der Anteil der Arbeit im Homeoffice etwa in Deutschland inzwischen bei 25% der Beschäftigten stabilisiert.

Telecom Italia (TIM) hat zum 1. Februar 2023 eine weitreichende Vereinbarung zur Ausweitung von Homeoffice-Regelungen abgeschlossen. Als einer der Gründe wird angegeben, damit die Energiekosten senken zu wollen. Darüber hinaus wolle man den Wunsch der Beschäftigen nach flexibleren Regelungen erfüllen. TIM gehört, ebenso wie Intesa Sanpaolo, zu den größten privaten Arbeitgebern im Land. Von der neuen Regelung sind 32 000 Mitarbeiter in Italien betroffen. 13 000 von ihnen werden künftig vier Wochen lang an vier Tagen pro Woche im Büro arbeiten können und dann eine komplette Woche von zu Hause aus. 19 000 Mitarbeiter arbeiten ab Februar an drei Tagen pro Woche im Homeoffice. Eine entsprechende Vereinbarung, die vorerst auf ein Jahr befristet ist, wurde mit den Gewerkschaften getroffen. Es gibt Essensgutscheine auch für die Homeoffice-Tage, aber das Unternehmen beteiligt sich nicht an den höheren Energiekosten der Mitarbeiter.

Folgen für den Verkehr

Dem Unternehmen zufolge hat die Ausweitung der Homeoffice-Regelung vor allem in Rom, wo TIM 12000 Mitarbeiter hat, und in Mailand (3700 Beschäftigte) auch Auswirkungen auf das Verkehrsaufkommen. Sollten sich solche Regelungen generell durchsetzen, hätte dies dauerhaft Konsequenzen sowohl für den öffentlichen Nahverkehr als auch für den Individualverkehr und den Bürobedarf der Unternehmen. Womöglich werden mittelfristig weniger Büroflächen gebraucht, meinen Experten.

In Italien dürfte zunächst das Verkehrsaufkommen vor allem an Freitagen zurückgehen – wenn dieser Tag künftig gewissermaßen zum neuen Samstag würde. Denn auch die Versicherung Generali, die einen Großteil ihrer Mitarbeiter in Mailand und Triest beschäftigt, hat mit den Gewerkschaften vereinbart, dass vorerst bis Januar 2024 an Freitagen generell im Homeoffice gearbeitet werden soll. TIM-Konkurrent Vodafone bietet den Beschäftigten auf freiwilliger Basis ab Februar an drei Tagen pro Woche Homeoffice an – zunächst ebenfalls begrenzt auf eine einjährige Testphase.

Viele Beobachter glauben, dass sich solche Regelungen auf breiterer Basis durchsetzen werden – weil sich die Beschäftigen in der Corona-Pandemie an das Arbeiten von zu Hause aus gewöhnt haben und die damit verbundene größere Flexibilität schätzen. Das ist sogar auf dem Immobilienmarkt deutlich spürbar. Die Nachfrage nach Häusern auf dem Land oder am Meer als dauerhafter Wohnsitz hat deutlich zugenommen.

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