Britcoin

Von der Angst, etwas zu verpassen

Dabei sein ist nicht alles: Das digitale Pfund ist ein Alptraum für Datenschützer. Wofür es gebraucht wird, können Schatzamt und Bank of England nicht so richtig erklären. Sie sollten darauf verzichten.

Von der Angst, etwas zu verpassen

Angst ist kein guter Ratgeber, schon gar nicht die Angst, etwas zu verpassen. Doch bei der Entscheidung des britischen Schatzkanzlers Jeremy Hunt und des Gouverneurs der Bank of England, Andrew Bailey, die Entwicklung einer digitalen Zentralbankwährung weiter voranzutreiben, hat diese FOMO – the Fear of Missing out – ganz offensichtlich eine große Rolle gespielt. Premierminister Rishi Sunak würde das Land gerne zu einem globalen Krypto-Hub machen und brachte den Begriff Britcoin ins Spiel. Mit Blick auf die Kurskapriolen der virtuellen Währung Bitcoin, an die er sich anlehnt, war er unglücklich gewählt, brachte aber die angestrebte Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit.

Krypto gehört trotz allen Rückschlägen zu den großen Zukunftshoffnungen der britischen Finanzbranche. Bargeld spielt eine immer kleinere Rolle im Alltag der Briten. In der Threadneedle Street will man vorne mit dabei sein, bevor Internetkonzerne wie Amazon oder Meta Privatgeld ausgeben, das den Anforderungen der digitalen Welt besser gerecht wird, und die Regeln diktieren. Man fürchtet, dass das eigene Produkt an Relevanz verlieren könnte – vom Geldschöpfungsgewinn, der durch die Emission von Zentralbankgeld entsteht, einmal ganz abgesehen. Auch der Glaube, Bargeld werde in erster Linie von Kriminellen und Steuerhinterziehern genutzt, erfreut sich einer großen Anhängerschaft in der britischen Finanzbürokratie. Zudem werden eine ganze Reihe von positiven Auswirkungen mit dem Projekt verknüpft, finanzielle Inklusion und Erleichterungen im grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr etwa, ohne dass erklärt wird, wie es dazu kommen soll. Hunt und Bailey drücken sich auch um eine klare Antwort darauf, ob ein digitales Pfund in Zukunft wirklich benötigt wird. Es sei wahrscheinlich, sagen sie einfach, und das sei Grund genug, weiter daran zu arbeiten.

Nun ist Privatgeld für die Bank of England keine neue Herausforderung. Das Pfund konnte seine Relevanz über die Jahrhunderte bewahren, auch wenn die Verbraucher heute viel mehr Geld mit Hilfe von Plastikkarten als in Form von Münzen und Banknoten ausgeben. Zwei multinationale Konzerne – Visa und Mastercard – bestimmen die Konditionen im digitalen Kartenzahlungsverkehr. Der Währung hat es nicht geschadet. Denn sie hat das Vertrauen der Bevölkerung. Vermutlich hat man sich hinter den mächtigen Mauern der Bank of England so sehr auf die Technologie konzentriert, die einer digitalen Zentralbankwährung zugrunde liegen sollte, dass man diesen wesentlichen Punkt vergessen hat. Das Vertrauen in das Pfund bedeutet nicht, dass die Menschen eine hohe Meinung von der Notenbank haben. Derzeit schreiben sie ihr eher die Schuld an der hohen Inflation zu. Wenn sie ihre Autorität nutzt, um eine digitale Zentralbankwährung einzuführen, ist das ein riskantes Experiment, insbesondere in einem Land, das sich nicht gerade durch große Staatsgläubigkeit auszeichnet. Denn ein digitales Pfund würde sich in vielerlei Hinsicht von einem gewöhnlichen Pfund unterscheiden. Vorteile für seinen Besitzer wären damit nicht verbunden.

Theoretisch wäre es möglich, negative oder positive Zinsen direkt auf die digitalen Geldbestände der Verbraucher anzuwenden, um die Inflation zu beeinflussen. Zwar heißt es im Konzept von Hunt und Bailey, dass man das digitale Pfund nicht für geldpolitische Zwecke nutzen wolle. Im Falle einer Krise ist es gleichwohl nicht auszuschließen. Während der Pandemie hätte man festlegen können, dass das digitale Pfund nur für den Kauf lebensnotwendiger Güter eingesetzt werden kann. Supermärkte wären nicht gezwungen gewesen, Kinderspielzeug unter Plastikplanen zu verstecken. Um Klimaziele durchzusetzen, könnte man auf diese Weise Benzin und Diesel rationieren. Natürlich versprechen Schatzamt und Bank of England, dass das digitale Pfund so anonym sein werde wie Bargeld. Doch für Datenschützer ist es ein Alptraum. Zu groß ist die Versuchung für den Staat, sich die technischen Möglichkeiten zunutze zu machen. Steuern und Geldstrafen ließen sich automatisch einziehen. Digitales Geld kann eingefroren oder beschlagnahmt werden. Es können individuelle Ausgabelimits festgelegt werden. Auch ein Ablaufdatum ist denkbar. Bislang ist Britcoin so konzipiert, dass Banken daran nichts verdienen. Für die Verbraucher bedeutet das vermutlich, dass sie für ihre digitalen Brieftaschen Gebühren bezahlen müssen – in bar oder in Form von persönlichen Daten. All das gefährdet das Vertrauen in Währung und Bankensystem. Hunt und Bailey sollten auf das digitale Pfund verzichten. Dabei sein ist nicht alles.

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