Tokio

Wieso ein Papierflieger einen Börsengang blockiert

Takuo Toda ist ein wahrlich außergewöhnlicher Chef. Er und sein Unternehmen, Castem in Fukuyama, können mehr als nur Feinguss.

Wieso ein Papierflieger einen Börsengang blockiert

Neulich ist es jemandem gelungen, mein Klischeebild vom konservativ-langweiligen Firmenchef in Japan zu erschüttern. Takuo Toda leitet den Feinguss-Spezialisten Castem in Fukuyama, einer Stadt in der westjapanischen Präfektur Hiroshima, ganz nach der Maßgabe, immer wieder außerhalb von traditionellen Mustern zu denken. Ein Metallbetrieb ist dunkel und dreckig und beschäftigt keine Frauen? „Eine Firma mit weiblichen Angestellten strahlt doch ein viel attraktiveres Betriebsklima aus“, lacht Toda.

Also machte Castem die Arbeitsplätze sauber und sicher. Alle Mitarbeiter können in einer Cafeteria für 1,30 Euro täglich so viel essen und trinken, wie sie mögen. Inzwischen besetzen Frauen ein Drittel der Arbeitsplätze, in der Produktionskontrolle sind sie fast ganz unter sich. Das Ergebnis dieser Transformation: Trotz der ländlichen Umgebung verzehnfachte sich die Zahl der Bewerber für neue Stellen. „Mehr Frauen in der Belegschaft locken eben auch mehr Männer an“, kommentiert Toda verschmitzt.

Sein Vater gründete das Unternehmen 1948 als Konfekthersteller und wanderte dann in die Metallverarbeitung weiter. Der Sohn studierte Chemie, was ihm nun zugutekommt. „Kekse und Metallguss ähneln sich: Man nimmt jeweils viele Zutaten, mischt sie im richtigen Verhältnis und backt sie dann zusammen“, erklärt Toda bei einer Pressetour für ausländische Reporter mit Blick auf den G7-Gipfel Anfang Mai in Hiroshima.

In den Familienbetrieb stieg der heutige CEO nur ein, weil der Vater lieber an der Werkbank als am Schreibtisch arbeitete. Daher ging es dem Unternehmen wirtschaftlich nicht gut. Mit seinen neuen Ideen kurbelte der Sohn das Geschäft an. Heute ist Castem der japanische Marktführer für Metallspritzguss und das Wachsausschmelzverfahren, stellt Präzisionsteile für Medizingeräte, Halbleiter, Industrieanlagen und Raketen her und betreibt Fabriken in Thailand und auf den Philippinen. Ein weiteres Werk in Vietnam ist im Bau.

Der Unternehmer nimmt aber auch Endverbraucher direkt ins Visier und vertraut dabei auf ein Feuerwerk von Ideen seiner Mitarbeiter. In einem Großraumbüro steht deswegen für Notizen mit dicken Filzstiften extra eine Tafel. Eines dieser Projekte ist „History Maker“. Ein 3D-Scanner erfasst eine typische Bewegung oder Körperhaltung einer berühmten Person, die dann als präzise in Metall gegossene Replik verkauft wird, zum Beispiel die zur Faust geballte linke Hand des internationalen Boxstars Manny Pacquiao und Miniaturen davon. Ein Hitprodukt, das sich ein junger Angestellter ausdachte, ist ein ballförmiger Sammelbehälter aus Plastik, mit dem Grundschüler leichter Käfer sammeln können, ein beliebtes Hobby von Kindern in diesem Alter.

Der Unternehmer ist für noch mehr Überraschungen gut: Toda baut mit großer Leidenschaft kleine Papierflieger. Vor 14 Jahren gelang ihm der Weltrekord für die längste Flugdauer. Sein kleiner selbstgefalteter „Sky King Zero Fighter“ blieb 27,9 Sekunden in der Luft. Ende 2010 verbesserte er seinen Guinness-Buch-Rekord, der bis heute besteht, auf 29,2 Sekunden. Dafür musste er das Papierflugzeug mit Geschick und Kraft senkrecht in die Höhe katapultieren. Er ist Präsident des Verbandes der Papierflugzeugbauer und verrät auf einem eigenen Youtube-Kanal Tricks und Kniffe für das Falten.

Inzwischen sind die Haare ergraut, doch Toda verfolgt einen neuen Traum: Ein papiernes Flugzeug soll aus dem Weltraum zurück auf die Erde segeln. Dafür finanziert Castem ein Start-up für eine kleine Rakete mit, die einen 70 Zentimeter langen Papierflieger in 150 Kilometern Höhe aussetzen soll. Die Gravitation zieht ihn dann langsam bis in die obere Atmosphäre, wo der Flug zum Boden beginnt. Sein Weg nach unten ließe sich mit dem Teleskop verfolgen. Ein erster Versuch im Vorjahr misslang, die Rakete explodierte. Der nächste Start ist 2024 geplant. „Manche halten meine Idee für kindisch, aber es wird eine großartige Werbung für Castem sein“, erzählt Toda. Wegen dieses Projekts will er das Familienunternehmen auch nicht an die Börse bringen: „Japanische Aktionäre könnten einen so unkonventionellen Firmenchef wie mich nicht ertragen.“

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