Finanzmarktpolitik

Agenda 2022 der Ampel-Regierung ist gut gefüllt

Das neue Jahr bringt mit der neuen Regierung in Berlin auch neue Akzente in der europäischen Finanzmarktagenda. In eigner Sache sortiert sich die Regierung noch.

Agenda 2022 der Ampel-Regierung ist gut gefüllt

Von Angela Wefers, Berlin

Mit der neuen Bundesregierung steht Deutschland im nächsten Jahr auch vor einer neuen Finanzmarktpolitik. Die Ampel-Koalition zeigt sich voller Tatendrang. „Die Finanzpolitik muss jetzt in die Hand spucken und loslegen“, sagt der neue finanzpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Markus Herbrand, der Börsen-Zeitung. „Wir haben viele harte Bretter, die jetzt durchbohrt werden müssen, und wir werden im neuen Jahr zügig anfangen, neue Akzente zu setzen.“

Konkrete Pläne für nationale Vorhaben des Bundesfinanzministeriums unter Christian Lindner (FDP) sind kurz nach dem Regierungswechsel erst im neuen Jahr 2022 zu erwarten. Auch der frisch konstituierte Finanzausschuss des Bundestags hat bislang noch keine Agenda. Gleichwohl zeichnen sich in der stark durch die Europäische Union getriebenen Finanzmarktpolitik eine Reihe von Themen ab, die auch hierzulande Niederschlag finden. Bereits verhandelt wird im Europäischen Rat das Paket zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung. Herzstück ist die EU-Behörde zur Geldwäschebekämpfung – die Anti-Money Laundering Authority (Amla) –, die neu geschaffen werden soll. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte schon in seiner alten Funktion als Bundesfinanzminister Ehrgeiz gezeigt, die neue europäische Behörde nach Frankfurt zu holen. Die Amla soll sich der Ampel-Koalition zufolge nicht nur um den klassischen Finanzsektor kümmern, sondern auch um den Missbrauch von Kryptowerten für Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung.

In seiner ersten Regierungserklärung in Berlin hatte Scholz der organisierten Kriminalität den Kampf angesagt und als effektivstes Mittel im Visier, „diesen Strukturen den Geldhahn abzudrehen“. Deshalb werde die Koalition die Geldwäschebekämpfung stärken. „Immobilien werden künftig nicht mehr mit Bargeld bezahlt werden können“, kündigte Scholz an. Im Koalitionsvertrag ist vereinbart, dass Meldungen aus dem Nicht-Finanzbereich wie dem Immobiliensektor erleichtert „und im Vollzug deutlich“ erhöht werden. Von gewerblichen Immobilienkäufern aus dem Ausland soll zudem ein Versteuerungsnachweis verlangt werden.  

Defizite absehbar

Womöglich beugt die neue Regierung damit auch dem sich abzeichnenden Resultat der Prüfung Deutschlands durch die internationale Anti-Geldwäsche-Institution FATF vor. Die Organisation bewertet turnusgemäß den Vollzug der Geldwäschevorschriften in den verschiedenen Ländern. Dass es in Deutschland Verbesserungsbedarf gibt, hatte sich nicht zuletzt beim Fall Wirecard gezeigt, bei dem sich Behörden auf verschiedenen Ebenen der Gebietskörperschaften die Verantwortung zuschoben und sich am Ende keiner zuständig fühlte. Die Verantwortung der Länder bei der Geldwäscheaufsicht liegt zum Teil brach. Die FATF-Prüfung hatte sich wegen der Corona-Pandemie immer wieder verzögert. Im Jahr 2022 soll das Ergebnis nun vorliegen. Sollten sich dort die Defizite zeigen, die schon viele Beobachter erahnen, muss die neue Koalition zügig handeln. Im Koalitionsvertrag ist bereits angelegt, dass die Geldwäscheaufsicht für besonders finanzmarktnahe Verpflichtete bei der Finanzaufsicht BaFin angesiedelt werden soll. Aus Sicht der FDP muss der Nichtfinanz-Sektor stärker in den Blick rücken, nachdem der Finanzsektor bereits sehr hohen Nachweispflichten nachkommt. Herbrand will sich dort für einen Ausgleich einsetzen.

Eng zusammen hängt mit dem Vollzug der Geldwäschebekämpfung hierzulande die Arbeitsweise  der beim deutschen Zoll angesiedelten „Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen“ oder Financial Intelligence Unit (FIU)). Aus Sicht von Herbrand muss dort dringend nachgesteuert werden. Die FIU funktioniere noch immer nicht wie gedacht, eklatante Missstände konterkarierten den deutschen Rechtsstaat, sagt er. Wegen der Arbeit der FIU hatte die Staatsanwaltschaft Osnabrück kurz vor der Bundestagswahl das Bundesfinanzministerium durchsucht, um zu ermitteln, ob Mitarbeiter der FIU Hinweise zur Terrorfinanzierung womöglich nicht rechtzeitig weitergeleitet haben. „Die FIU muss die notwendigen, rechtsstaatlich abgesicherten Befugnisse bekommen sowie den Zugang zu allen nötigen Informationen“, steht dazu im Koalitionsvertrag.    

 Dauerbrenner Bankenunion

Ein Dauerbrenner, bei dem auch die deutsche Regierung gefordert ist, sind die Pakete zur Bankenunion und zur Kapitalmarktunion, die im EU-Rat­ verhandelt werden. In der ersten Hälfte 2022 könnt es zu einer Einigung auf einen Arbeitsplan kommen, auf den Eurogruppenchef Paschal Donohoe beim jüngsten EU-Gipfel bei den Staats- und Regierungschefs gedrungen hat. Mit dem Bankenpaket soll die Umsetzung der Basel-III-Vereinbarung abgeschlossen werden, um die Widerstandsfähigkeit des Bankensektors gegen wirtschaftliche Schocks zu stärken. Dafür werden Eigenkapitalverordnung und Eigenkapitalrichtlinie angepasst. Mit dem Paket zur Kapitalmarktunion soll die grenzüberschreitende Finanzierung in der EU leichter werden. Bei Kapitalmarktfinanzierungen hat Europa im internationalen Vergleich ganz klar Nachholbedarf (s. Grafik). Vorgeschlagen wird ein einheitlicher europäischer Zugangspunkt für Informationen über EU-Un­ternehmen und EU-Anlageprodukte (European Single Access Point, ESAP), ein verbesserter Regulierungsrahmen für Langzeitinvestmentfonds, eine angepasste Regulierung alternativer Investmentfonds sowie ein konsolidierter Ticker für Handelsdaten.

Ehrgeizige Pläne hat dazu die französische EU-Ratspräsidentschaft. Paris übernimmt im ersten Halbjahr 2022 und will Impulse für eine europäische Finanzarchitektur hin zu einer deutlich stärker integrierten Banken- und Kapitalmarktunion setzen. Wie generell in der Vergangenheit dürften sich Deutschland und Frankreich auch zu diesen Themen eng abstimmen. Bislang steht die Konkretisierung der Absichten aus dem Nachbarland noch aus. Im Koalitionsvertrag bekennt sich die Ampel zur Bankenunion und zur Kapitalmarktunion. Mit Blick auf die Kapitalmarktunion will sie sich dafür einsetzen, Unterschiede im Insolvenz-, Steuer-, Verbraucherschutz-, Aufsichts- und Gesellschaftsrecht abzubauen. Zudem will sie bei der geplanten Überarbeitung der Finanzmarktregeln Mifid/Mifir die Markttransparenz stärken, um der Fragmentierung des europäischen Wertpapierhandels entgegenzuwirken. Deutschland soll zudem in Europa zum führenden Wagniskapitalstandort werden (s. Grafik). Im Kreditsektor bekennt sich die Ampel zum Drei-Säulen-Modell, das sie erhalten möchte.

Solvency II im Visier

Ein weiteres im EU-Rat verhandeltes Paket ist die Überarbeitung der Versicherungsrichtlinie Solvency II: Mit den Vorschlägen soll das Verfahren zur Einstufung der Finanzkraft von Versicherungsunternehmen verbessert werden. Die Versicherer sollen leichter langfristig investieren können. Darüber hinaus wird ein neues Verfahren zur Sanierung und Abwicklung von Versicherern im Krisenfall vorgeschlagen. „Wir wollen strikt evidenzbasierte und risikoorientierte Kapitalanforderungen“, schreibt die Ampel dazu im Koalitionsvertrag.  Im Falle kleiner Versicherer und Pensionskassen will sie für eine stärker proportionale Regulierung sorgen.

Zu weiteren finanzmarktrelevanten Themen hat die Kommission für 2022 Vorschläge in Aussicht gestellt oder vorbereitende Konsultationsprozesse eingeleitet hat: Dazu gehören die Überarbeitung des Blockade-Statuts als Reaktion auf Rechtsvorschriften der USA über extraterritoriale Sanktionen, die Überarbeitung des Regulierungsrahmens für Zentralverwahrer, die Überarbeitung der Vorschriften für den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen, eine Initiative zu Sofortzahlungen oder ein Vorschlag über einen Freibetrag als Anreiz gegen eine Bevorzugung von Fremd- gegenüber Eigenkapitalfinanzierung.

Nachhaltigkeit als Ziel

Der angekündigte Vorschlag der EU-Kommission zu nachhaltiger Unternehmensführung passt in die Leitlinie der Ampel, stärker auf Nachhaltigkeit zu setzen. Deutschland will die Koalition zum führenden Standort für nachhaltige Finanzierung machen und auch angemessene Rahmenbedingungen für nachhaltige Finanzprodukte unterstützen. 

Angekündigt ist aus Brüssel auch ein Vorschlag zur Überarbeitung des Rahmenwerks für Banken-Krisenmanagement und Einlagensicherung. Auch dazu hat sich die Ampel im Koalitionsvertrag positioniert. Sie ist bereit, eine europäische Rückversicherung für nationale Einlagensicherungssysteme zu schaffen, die bei den Beiträgen strikt nach Risiko differenziert. „Eine Vollvergemeinschaftung der Einlagensicherungssysteme in Europa ist nicht das Ziel“, steht im Vertrag. Dies wird an eine Reihe von Voraussetzungen geknüpft: eine weitere Reduktion von Risiken in Bankbilanzen, eine weitere Stärkung des Abwicklungsregimes und der Erhalt der Institutssicherung der Sparkassen und Volksbanken – mit dem klaren Ziel, wirtschaftliche Zusatzbelastungen der ihnen angehörenden kleinen und mittleren Banken zu vermeiden. Zudem müssten Schritte vereinbart werden, um den Staaten-Banken-Nexus zu begrenzen und eine übermäßige Konzentration von Staatsanleihen in den Bankbilanzen wirksam vorzubeugen.

Dynamik bei Kryptoassets

Weit oben auf der Agenda der FDP im Bundestag stehen Kryptoassets und Blockchain/DLT. Herbrand will sich dort für eine stärkere Förderung einsetzen, bei der auch ein Ausgleich von energiesparenden Blockchain-Technologien besonders bedacht werden soll. Im Koalitionsvertrag heißt es dazu: „Wir brauchen eine neue Dynamik gegenüber den Chancen und Risiken aus neuen Finanzinnovationen, Kryptoassets und Geschäftsmodellen.“ Innerhalb der EU soll ein Level Playing Field mit gleichen Wettbewerbsbedingungen zwischen traditionellen und innovativen Geschäftsmodellen und gegenüber großen Digitalunternehmen geschaffen werden. „Wir brauchen für den Kryptobereich eine gemeinsame europäische Aufsicht.“ Kryptoassetdienstleister sollen aus Sicht der Ampel zur konsequenten Identifikation der wirtschaftlich Berechtigten verpflichtet werden.

Womöglich aber wird die harte Realität Regierung und Abgeordnete einholen, bevor diese sich ihren Plänen widmen können.  Der Finanzausschuss im Bundestag müsse umgehend über mögliche Spill-over-Effekte bei einer Zahlungsunfähigkeit im chinesischen Immobiliensektor – etwa bei Evergrande und weiteren – informiert werden, verlangt Herbrand. Ebenfalls sollten die Abgeordneten aus seiner Sicht über mögliche Auswirkungen auf den deutschen Finanzmarkt im Falle eines Ausschlusses Russlands aus dem Zahlungssystem Swift in Kenntnis gesetzt werden. Mit Blick auf die aktuelle außenpolitische Lage könnte die Entwicklung schneller gehen, als manchen lieb ist.

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