Argentinien winkt wirtschaftsfreundlichere Politik

Regierungskandidat bei Vorwahl vorne - Thema Reformen im Wahlkampf vorsichtshalber ausgespart

Argentinien winkt wirtschaftsfreundlichere Politik

Von Andreas Fink, Buenos AiresAm Montag herrschte an Argentiniens Märkten aufgeräumte Stimmung. Der Aktienindex Merval stieg um fast 6 % und der Schwarzmarktkurs des Dollar, die nationale Fieberkurve, ließ nach. Dabei war bei den Wahlen am Vortag formell gar nichts entschieden worden. Die “offenen, gleichzeitigen und obligatorischen Vorwahlen” PASO sollen eigentlich nur die Spitzenkandidaten innerhalb der verschiedenen Fraktionen und Bündnisse definieren. Aber sie sind ein erster umfassender Stimmungstest im Land.Die meisten Stimmen bekam der Kandidat der regierenden “Siegesfront”, der Gouverneur der Provinz Buenos Aires, Daniel Scioli. Er konnte 38,4 % der Stimmen erobern, auf dem zweiten Platz landete das Bündnis “Cambiemos” um den Hauptstadtbürgermeister Mauricio Macri mit zusammen 30 %. Den dritten Rang belegte UNA, dessen Anführer Sérgio Massa ist, Ex-Kabinettschef der Präsidentin Cristina Kirchner, seit zwei Jahren in der Opposition. Das Bündnis holte 20 %.Sollte sich dieses Ergebnis am richtigen Wahltag, dem 25. Oktober, wiederholen, käme es am 22. November zur Stichwahl zwischen Scioli und Macri. Wer im ersten Anlauf siegen will, muss 45 % der Stimmen einfahren. Es können aber auch 40 % genügen, wenn der Abstand zum Zweiten mehr als 10 Prozentpunkte beträgt.Die Kernbotschaft des Wahlabends war: Die Ära Kirchner geht zu Ende. Denn die drei Führenden des Sonntags sind alle politisch und ökonomisch deutlich gemäßigter als die kapriziöse Amtsinhaberin. Kirchner darf laut Verfassung nicht mehr kandidieren, darum musste sich ihre “Frente para la Victoria” einen neuen Kandidaten suchen.Zu ihrem Leidwesen fand die Präsidentin in ihren Reihen nur einen Kandidaten mit manierlichen Umfragewerten: Daniel Scioli, den Gouverneur der Provinz Buenos Aires. Der 58-Jährige wurde einst bekannt als Rennbootchampion und Ehemann eines Top-Models. Nach einem Unfall, bei dem der Sportler den rechten Unterarm verlor, wurde er vom Präsidenten Carlos Menem in die Politik geholt. Scioli wurde politisch sozialisiert im liberalen Umfeld, als eine künstliche Peso-Dollar-Parität den Argentiniern Wohlstand vorgaukelte. Viele der politischen Köpfe jener Jahre sind heute Parias, aber Scioli schaffte es, auch während aller Turbulenzen des Staatsbankrotts 2001 und des Absturzes danach Oberwasser zu behalten. 2003 machte ihn der Patagonier Néstor Kirchner gar zum Vizepräsidenten und vier Jahre darauf zum Gouverneur der größten und wichtigsten Provinz Buenos Aires, in der 16 Millionen von 40 Millionen Argentiniern leben. Kirchners EifersuchtSciolis größte Leistung bestand zweifellos darin, seine heruntergekommene Provinz nicht vollkommen ruiniert zu haben, obwohl er vom Zentralstaat immer weniger Mittel bekam. Präsidentin Kirchner musste feststellen, dass der Mann der moderaten Töne stets sehr gut in den Umfragen lag, oft noch besser als sie. Darum taten Kirchner und ihre Getreuen alles, um Scioli, den sie als verkappten Liberalen verdächtigten, auszubooten. Das regierungstreue Fernsehen blendete den Gouverneur bei Staatsakten oft gar aus. Doch Scioli stand all das durch und wurde – offenbar nach einer massiven Intervention von Papst Franziskus Mitte Mai – von Kirchner nominiert. Als diese Nachricht bekannt wurde, atmeten Unternehmen und Finanzwelt durch, denn nun waren drei Spitzenkandidaten am Start, die eine wirtschaftsfreundlichere Politik versprechen.Allerdings: Zusagen wollte bislang keiner etwas. Sowohl Scioli als auch sein wichtigster Herausforderer Mauricio Macri, Sohn eines der reichsten Unternehmer des Landes, wollen ihre Wähler nicht erschrecken. Darum haben beide ihren ökonomischen Beratern faktisch verboten, über Wirtschaft zu sprechen. Der Grund ist klar: Argentinien braucht umfangreiche Reformen und diese wird es nicht umsonst geben.Das Land ist nach dem Zahlungsausfall von 2014 von den internationalen Kreditmärkten abgeschnitten. Argentinien braucht neue Mittel für Infrastruktur und für die Erschließung der riesigen Shale-Gas- und Shale-Oil-Vorkommen in Patagonien, das große Zukunftsversprechen des Landes. Ein neuer Präsident wird den heillos überteuerten Peso abwerten müssen, seit zehn Jahren leistet sich die Regierung zweistellige Inflationsraten, ohne den Dollarkurs entsprechend zu korrigieren. Das ist nur möglich wegen der seit vier Jahren verhängten Devisenkontrollen, die den Devisenabfluss eindämmen sollten und nun zum Investitionshemmnis geworden sind. Weil sie mögliche Gewinne nicht mehr außer Landes transferieren können, haben viele internationale Konzerne die Pampa verlassen.Um den Wählern im Wahljahr die Illusion von Wohlstand zu vermitteln, finanziert ein Staatsprogramm kostenfrei Ratenkäufe – die Bürger können Kleidung, Möbel und Elektrogeräte anschaffen und in zwölf zinslosen Raten abstottern, angewandter Populismus in einem Land mit 25 % Inflation. Wohin eine solche Politik führt, zeigt ein kurzer Blick in die Kassen des Landes: Wenn alles gut geht, bleiben am Wahltag gerade noch 10 Mrd. Dollar an Währungsreserven, die sind allerdings nicht flüssig. Es scheint, als bewahrheite sich die Prognose Roberto Lavagnas: “Wenn Cristina hier abtritt, ist die Kasse völlig leer”, sagte der Ex-Finanzminister vor ein paar Jahren.