Augenmerk gilt zunehmend der Inflation
ba/ms Frankfurt
Der Fokus der Konjunkturbeobachter hat sich verschoben: Im Mittelpunkt steht nicht mehr so sehr die Frage, wann sich die Lieferkettenprobleme lösen, sondern wie sich die Inflation entwickelt. Das zeigt sich auch an den Anpassungen im aktuellen Konjunkturtableau der Börsen-Zeitung und des Mannheimer Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). Und auch dem Inflationsausblick, insbesondere über 2022 hinaus, gilt besonderes Interesse, nachdem sich die Europäische Zentralbank (EZB) unlängst besorgter als zuvor über die rekordhohe Inflation geäußert und die Tür für eine schnellere Zinswende geöffnet hat (siehe Text auf dieser Seite). Mit Spannung werden nun die neuen Inflationsprognosen der EZB Mitte März erwartet. Auf deren Basis könnte eine schnellere Normalisierung der EZB-Geldpolitik kommen.
Im Vergleich zum vergangenen Monat ist die Medianprognose im Konjunkturtableau für die Inflationsrate im Euroraum für 2022 deutlich angehoben worden: Mit nun 2,7% nach zuvor 2,4% liegt sie nahe der 2,6% – der aktuellen Inflationsrate ohne Berücksichtigung der Energiepreise. Seit langem schon ist die sich kräftig verteuernde Energie ursächlich für den starken Anstieg der Verbraucherpreise – in Deutschland, aber auch im gemeinsamen europäischen Währungsraum. Im Januar markierte die Inflationsrate im Euroraum mit 5,1% einen neuen temporären Höhepunkt und liegt damit sogar über den 4,9%, die das Statistische Bundesamt für Januar meldete. Aber auch die Kerninflationsrate, aus der die Teilbereiche Energie, Nahrungsmittel, Alkohol und Tabak ausgeklammert sind, liegt mit 2,3% noch über der langfristigen Zielmarke der EZB von 2%.
Ökonomen erwarten mittlerweile, dass die Teuerungsrate im Jahresmittel 2022 nur wenig zurückgehen wird. Allerdings „scheint die Unsicherheit über die Inflationsentwicklung spürbar zugenommen zu haben“, erklärt ZEW-Experte Michael Schröder mit Blick auf die Bandbreite der Prognosen: Der höchste Wert liegt nun bei 4,4%, im Januar waren es noch 3,1% (siehe Tabelle). Auswirkungen auf die Zinsprognosen hätte dies bislang allerdings nicht.
Die EZB-Volkswirte indes hatten Mitte Dezember ihre Inflationsprognose für 2022 so deutlich wie nie zuvor angehoben: von zuvor 1,7% auf 3,2%. Für 2023 und 2024 sagen sie aber mit jeweils 1,8% wieder ein Unterschreiten des EZB-Zielwerts von 2% voraus. Die jetzt von den befragten Experten prognostizierten 1,9% für 2023 sind bereits näher am EZB-Ziel und womöglich noch nicht das Ende der Aufwärtsrevisionen. Das könnte ein Argument sein für eine schnelle Zinswende.
Große Beachtung dürfte auch deshalb bereits die am heutigen Donnerstag zur Veröffentlichung anstehende Winter-Konjunkturprognose der EU-Kommission erfahren. Im November hatte sie für 2022 und 2023 nur 2,2% und 1,4% Inflation vorausgesagt. Da dürfte es nun eine deutliche Korrektur nach oben geben. Die neue Schätzung könnte dann auch einen Vorgeschmack auf die neue EZB-Projektion geben und die Spekulationen über eine rasche erste Zinserhöhung befeuern. Bei den Wachstumsprognosen wird es wohl nur geringe Nachjustierungen geben – mit 4,3% für dieses und 2,4% für kommendes Jahr liegen die Voraussagen im Mittel der Prognosen, wie sie auch das Konjunkturtableau spiegelt.
Die Frühindikatoren (Composite Leading Indicators, CLI) der Industrieländerorganisation OECD deuten gleichfalls auf ein weiter stabiles Wachstum der Euro-Wirtschaft hin. In Kanada, Deutschland, Italien und das Vereinigte Königreich allerdings dürfte der konjunkturelle Höhepunkt überschritten sein und nun eine langsamere Gangart angeschlagen werden.
Konjunkturtableau Eurozone | ||||||||||
3. Quartal | 4. Quartal | Prognose 2022 | Prognose 2023 | |||||||
2020 | 2021 | 2021 | 2021 | Tief | Median | Hoch | Tief | Median | Hoch | |
Volkswirtschaftliche Daten | ||||||||||
Bruttoinlandsprodukt1 | −6,6 | − | 2,2 | 0,3 | 4,3 | 4,2 | 4,6 | 1,9 | 2,5 | 4,4 |
Privatkonsum1 | − 8,0 | − | 4,1 | − | 4,6 | 5,9 | 6,7 | 2,2 | 2,7 | 3,4 |
Staatskonsum1 | 1,2 | − | 0,3 | − | − 0,9 | 1,1 | 2,9 | 0,3 | 0,8 | 1,0 |
Anlageinvestitionen1 | − 8,3 | − | − 0,9 | − | 2,7 | 4,1 | 5,0 | 1,9 | 2,5 | 4,3 |
Exporte1 | − 9,4 | − | 1,2 | − | 0,0 | 5,0 | 7,3 | 0,0 | 4,5 | 6,4 |
Importe1 | − 9,2 | − | 0,7 | − | 0,0 | 5,3 | 7,2 | 0,0 | 4,5 | 6,4 |
letzter Wert | ||||||||||
Verbraucherpreise2 | 0,3 | 3,1 | 5,1 (Januar)* | 1,7 | 2,7 | 4,4 | 1,3 | 1,9 | 2,3 | |
Arbeitslosenquote3 | 7,8 | 7,7 | 7,0 (Dezember) | 5,4 | 7,1 | 7,8 | 4,0 | 6,6 | 7,4 | |
Zinsen und Zinsdifferenzen | In 3 Monaten | In 12 Monaten | ||||||||
3-Monats-Geld3 | − 0,43 | − 0,55 | − 0,54 | − 0,6 | − 0,5 | − 0,5 | − 0,6 | − 0,5 | − 0,1 | |
10-jährige Anleihen3 | − 0,51 | − 0,37 | 0,27 | − 0,1 | 0,1 | 0,5 | − 0,1 | 0,3 | 0,8 | |
USA/Eurozone, langfristig3, 4 | 140 | 181 | 169 | 130 | 180 | 235 | 130 | 190 | 205 | |
USA/Eurozone, kurzfristig3, 4 | 108 | 71 | 90 | 80 | 99 | 170 | 120 | 169 | 245 | |
Eurozone lang/kurz3, 4 | − 8 | 18 | 81 | 40 | 63 | 99 | 40 | 77 | 190 | |
Redaktionsschluss: 9. Februar; Tagesdaten vom 8. Februar.1) real gegen Vorjahr bzw. Vorquartal in %; 2) gegen Vorjahr in %; 3) Werte für 2020 und 2021 sind Jahresdurchschnitte, letzter Wert der Zinsen und Zinsdifferenzen sind Stände vom Vortag; 4) in Basispunkten; *) erste vorläufige Schätzung |