Bei den Projekten drohen Verzögerungen
Von Gerhard Bläske, Mailand
Italien ist der weitaus größte Nutznießer des EU-Wiederaufbauprogramms. Das Bel Paese, das 13% der Bevölkerung der EU stellt, erhält ein Viertel der Mittel. Insgesamt will Rom bis 2026 rund 250 Mrd. Euro ausgeben, inklusive weiterer europäischer Hilfen und nationaler Begleitmaßnahmen. Die Gelder sollen in Bildung und Forschung (30 Mrd. Euro), in den Ausbau der Kinderbetreuung und des Gesundheitswesens, in Breitbandverbindungen, in den Umbau des Energiesystems (60 Mrd. Euro) und in den Bau von Straßen, Häfen und Bahnhochgeschwindigkeitsstrecken fließen.
Ziel ist es, das Land, das in den letzten Jahren viel schwächer gewachsen ist als die Nachbarn, dessen Produktivität seit Jahren stagniert und dessen Verschuldungsquote nur von der griechischen übertroffen wird, fitzumachen für die Zukunft und langfristige Wachstumspotenziale zu mobilisieren. „Es ist nicht nur ein Plan für Investitionen, sondern auch für Reformen“, sagt Premierminister Mario Draghi, der den elf großen Reformvorhaben 40 der 330 Seiten des nach Brüssel übermittelten italienischen Programms widmet. Der Ex-EZB-Präsident soll angeblich persönlich bei EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen interveniert haben, um Bedenken in Brüssel zu zerstreuen und sich für Reformvorhaben zu verbürgen. Er hat ein sehr konkretes und zeitlich definiertes Reformprogramm vorgelegt, das von vereinfachten Prozeduren und Ausschreibungen über eine Steuerreform, die die Italiener aber nicht zusätzlich belasten soll, bis hin zu einer Justiz- und Verwaltungsreform sowie einer Reform des Arbeitsmarktes reicht.
Draghi profitiert von historisch einmaligen Bedingungen: einer riesigen parlamentarischen Mehrheit, einem gigantischen Aufkaufprogramm der EZB, die 22% der italienischen Schulden hält und dem Land trotz Mega-Schulden sehr günstige Finanzierungsbedingungen sichert, einer Aussetzung des Stabilitätspakts und eben einer riesigen Geldflut aus Europa. Aber eben das kann auch ein Problem sein: Denn die miteinander zerstrittenen Regierungsparteien betrachten den Geldsegen als Freikarte für Wunschprogramme wie einen vorgezogenen Ruhestand ab 61 oder 41 Beitragsjahren. Schon drohen Verzögerungen bei der Umsetzung der Reformvorhaben und damit bei der Auszahlung der Mittel. Parteien und Gewerkschaften streiten über eine Verlängerung des in Europa einmaligen Kündigungsverbots und darüber, dass die Beschleunigung von Verfahren die Beschäftigung oder Umweltstandards gefährdet. Und auch Draghi sendet nicht nur Zukunftssignale: Rom steigt direkt oder indirekt bei immer mehr Unternehmen ein und steckt Milliarden in Zombie-Unternehmen wie etwa Alitalia.