Konjunktur

Britisches Wachstum verlangsamt sich

Die britische Wirtschaft hat trotz früher Lockerung der Corona-Restriktionen in den Sommermonaten unerwartet an Schwung verloren. Andere G7-Staaten erholten sich schneller von der Krise.

Britisches Wachstum verlangsamt sich

hip London

Die britische Wirtschaft hat im Sommer stärker an Schwung verloren als erwartet, obwohl in England am 19. Juli alle wesentlichen Corona-Restriktionen aufgehoben wurden. Wie das Statistikamt ONS mitteilte, verlangsamte sich das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von den im zweiten Quartal erreichten 5,5 % auf 1,3 % im dritten Quartal. Volkswirte hatten im Schnitt 1,5 % auf der Rechnung. Dass viele Briten im eigenen Land Urlaub machten, glich die generelle Zurückhaltung von privaten Haushalten und Unternehmen nicht aus. Im September hatte das Wirtschaftswachstum von 0,6 % zwar die von Ökonomen im Schnitt geschätzten 0,4 % übertroffen, doch revidierten die Statistiker die Werte für Juli und August herunter. Zudem lohnt sich ein Blick darauf, wie das Wachstum zustande kam. Hausarztbesuche und NHS Track & Trace, das Kontaktverfolgungsprogramm des öffentlichen Gesundheitswesens, trugen maßgeblich dazu bei. Die Industrieproduktion schrumpfte dagegen um 0,1 %, weil die Kraftfahrzeugproduktion um 8,2 % einbrach – eine Folge des weltweiten Halbleitermangels.

Das BIP lag per Ende September um 2,1% unter dem vor der Pandemie erreichten Niveau. Obwohl sich Großbritannien mit seiner erfolgreichen Impfkampagne im Vergleich zu anderen Ländern einen Vorteil verschaffen konnte, haben sich viele G7-Länder schneller erholt. Die Vereinigten Staaten liegen bereits um 1,4 % über Vorkrisenniveau. Deutschland, Frankreich und Italien sind ihm mittlerweile näher als das Vereinigte Königreich.

Der private Konsum legte im dritten Quartal lediglich um 2,0 % zu. Volkswirte hatten mit einem Plus von 3,1 % gerechnet. Die Verbraucher sind, anders als erwartet, doch nicht dazu bereit, die während der Ausgangsbeschränkungen aufgelaufenen Ersparnisse schnell wieder auszugeben. Noch schwächer entwickelten sich die Unternehmensinvestitionen, die um gerade einmal 0,4 % stiegen. Hier hatten die Markterwartungen bei 3,5 % gelegen. Offenbar trug die im März von Schatzkanzler Rishi Sunak vorgestellte „Super-Deduction“ nicht dazu bei, britische Firmen zu Ausgaben zu ermutigen. Bis Ende März 2023 können Unternehmen 130 % der Anschaffungskosten bestimmter In­vestitionsgüter vom zu versteuernden Gewinn abziehen.

Unternehmen warten ab

Die mangelnde Investitionsbereitschaft der Wirtschaft dürfte es Premierminister Boris Johnson schwer machen, das Ziel einer Wirtschaft mit „hohen Löhnen, hohen Qualifikationen und hoher Produktivität“ zu erreichen. „Die Schwäche der Unternehmensinvestitionen spiegelt möglicherweise Versorgungsengpässe wider, ist aber enttäuschend, wenn man bedenkt, dass es das zweite Quartal war, in dem die Super-Deduction galt“, schrieb die HSBC-Volkswirtin Elizabeth Martins in ihrer Auswertung der Daten.

Es waren erwartungsgemäß die öffentlichen Ausgaben, die im dritten Quartal deutlich über Vorkrisenniveau lagen, während alle anderen Komponenten dahinter zurückblieben. Neben Versorgungsengpässen und Arbeitskräftemangel wirkte sich auch die Verschärfung der handelspolitischen Spannungen zwischen London und Brüssel negativ aus. Für Martins ist der Brexit „ein wesentlicher Faktor hinter der britischen Underperformance bei Exporten und Importen“. Mit zusätzlichen nichttarifären Handelshemmnissen sei zu rechnen.

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