EU-Taxonomie

Brüssel verteidigt Vorgehen bei Atom und Gas

Die von der EU-Kommission geplante Einstufung von bestimmten Atom- und Gaskraftwerken als „nachhaltig“ sorgt in Europa für kontroverse Debatten. Doch für ein Veto gelten hohe Hürden.

Brüssel verteidigt Vorgehen bei Atom und Gas

ahe Brüssel

Trotz der zum Teil scharfen Kritik aus einigen Mitgliedstaaten und dem Europaparlament will die EU-Kommission am 18. Januar formal beschließen, dass auch Atom- und Gaskraftwerke ein grünes Nachhaltigkeitssiegel bekommen können. EU-Beamte verteidigten am Montag den gewählten Ansatz, mit dem die sogenannte Taxonomie weiter ausgestaltet wird, als „pragmatisch und realistisch“. Er stütze sich auf wissenschaftliche Gutachten und den aktuellen Stand des technologischen Fortschritts.

Die Brüsseler Behörde hatte an Silvester einen Entwurf eines delegierten Rechtsaktes an die Mitgliedstaaten geschickt und um eine Bewertung bis zum 12. Januar gebeten. Die Vorschläge sehen vor, dass Investitionen in neue Atomkraftwerke in der Taxonomie als nachhaltig klassifiziert werden können, wenn die Anlagen neuesten Technikstandards entsprechen, sie bis 2045 eine Genehmigung erhalten und ein konkreter Plan für eine Entsorgung der hoch radioaktiven Abfälle bis spätestens 2050 vorliegt. Auch schon bestehende Reaktoren können unter bestimmten Umständen das grüne Siegel erhalten.

Bei Gaskraftwerken muss eine Baugenehmigung bis 2030 erteilt sein und sie müssen strenge Emissionsgrenzwerte einhalten. Zudem müssen sie Anlagen mit einem deutlich höheren CO2-Ausstoß ersetzen und spätestens 2035 auch mit grünem Wasserstoff oder kohlenstoffarmem Gas betrieben werden. 

Sollten die Kraftwerke diese Bedingungen erfüllen, werden sie in der Taxonomie, also dem Klassifizierungssystem für grüne Investitionen, als nachhaltige Übergangstechnologien eingestuft. Die EU-Kommission kündigte außerdem an, die Offenlegungspflichten für Finanzprodukte dahingehend zu verändern, dass Anleger klar erkennen können, ob und in welchem Umfang Erdgas- oder Atomkraft-Investitionen beispielsweise in einem Fonds enthalten sind.

Wenn die Kommission ihre Taxonomie-Pläne wie angekündigt verabschiedet, haben die Mitgliedstaaten und das EU-Parlament vier Monate Zeit, Einwände dagegen zu erheben. Die Frist könnte auch noch einmal um zwei Monate verlängert werden. Für ein Veto gilt im Rat allerdings eine sogenannte umgekehrte verstärkte qualifizierte Mehrheit. Das heißt, dass mindestens 20 EU-Länder, die mindestens 65% der EU-Bevölkerung vertreten, nötig sind, um den Kommissionsbeschluss noch zu kippen. Im EU-Parlament reicht eine einfache Mehrheit.

Wien kündigt Klage an

Beide Optionen gelten in Brüssel aktuell als wenig realistisch – obwohl im EU-Parlament längst nicht nur die Grünen Kritik übten. Zahlreiche Abgeordnete beklagten, dass die Taxonomie mit einer grünen Einstufung von Atomenergie massiv an Glaubwürdigkeit verliere: „Man kann Kernenergie nicht als nachhaltig einstufen, solange die Entsorgungsfrage nicht gelöst ist“, monierte auch der CSU-Finanzexperte Markus Ferber. Wie die Kommission das Thema angeht, findet er „schlichtweg nicht seriös“.

Der Parlamentsvizepräsident Othmar Karas von den österreichischen Christdemokraten hatte bereits am Wochenende eine Initiative angestoßen, damit alle österreichischen Abgeordneten in den zuständigen Ausschüssen für Wirtschaft und Umwelt einen Einspruch parteiübergreifend unterstützen. „Die Ablehnung von Kernkraft ist keine parteipolitische Frage, sondern ein ge­meinsames Anliegen“, so der ÖVP-Po­litiker. „Kernenergie ist keine und kann keine nachhaltige Zukunftstechnologie sein.“

Auch die österreichische Regierung kündigte schon an, gegen den geplanten Taxonomie-Beschluss vorzugehen, und drohte mit einem Gang vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH). „Sollten diese Pläne so umgesetzt werden, werden wir klagen“, kündigte Umweltministerin Leonore Gewessler an und berief sich dabei auf ein eigenes Rechtsgutachten. Die EU-Kommission wollte sich dazu am Montag nicht äußern.

Die Kritik an der geplanten grünen Klassifizierung von bestimmten Gaskraftwerken fiel deutlich moderater aus. Der deutsche Energieverband BDEW verwies darauf, dass noch eine Zeit lang Erdgas und dauerhaft Gaskraftwerke, die mit Wasserstoff betrieben werden, nötig seien, um die Versorgungssicherheit aufrechtzuerhalten. Diese könnten dann aber auch klimaneutral betrieben werden.

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