Wachstumsziel

China büßt für Corona-Politik

Die strikten Corona-Beschränkungen wirken sich auf Chinas Wirtschaftswachstum aus. Erstmals in der Geschichte wird das von der Regierung ausgegebene Wachstumsziel wohl nicht erreicht werden.

China büßt für Corona-Politik

nh Schanghai

Chinas Staatsführung hat die Quittung für die Restriktionen im Zuge der radikalen Corona-Nulltoleranzpolitik bekommen. Aufgrund der erheblichen Einschnitte durch monatelange Lockdown-Maßnahmen in Schanghai und einem Dutzend anderer Großstädte ist die weltweit zweitgrößte Volkswirtschaft stark aus dem Tritt geraten. Im Juni-Quartal kam das Bruttoinlandsprodukt (BIP) nur noch um 0,4% gegenüber Vorjahr voran und schrumpfte im sequenziellen Vergleich sogar um 2,6%.

Die am Freitag vom Statistikbüro vorgelegten BIP-Daten sind deutlich schlechter ausgefallen als erwartet. Die Konsensschätzung der Analysten lag bei 1,2%. Es handelt sich um die zweitschwächste Performance der chinesischen Wirtschaft seit Beginn der quartalsweisen BIP-Erhebung vor 30 Jahren. Lediglich im ersten Quartal 2020 war es mit dem ersten Ausbruch der Corona-Pandemie zu einem noch härteren Rückschlag mit einem Absturz des BIP um 6,9% gekommen.

Während China den ersten Corona-Schock rasch überwinden konnte und bereits im zweiten Quartal 2020 wieder auf Wachstumskurs einbog, sind die Aussichten auf eine rapide Erholung diesmal weniger rosig. Das Festhalten der Parteiführung an der „Covid-Zero-Strategie“, die selbst bei minimalen Ansteckungsraten harte Lockdowns nach sich zieht, erweist sich als Damoklesschwert, das dem Wirtschaftsvertrauen zusetzt, den Konsum dämpft, Investitionen verhindert und die Existenz von Kleinunternehmen gefährdet.

Auch wenn man davon ausgeht, dass es zu keinem weiteren harten Lockdown in wichtigen Wirtschaftszentren mehr kommt, wirkt die Gefahr von Mobilitätsrestriktionen einer Aufbruchsstimmung und entsprechenden Aufholbewegung in der zweiten Jahreshälfte entgegen. Damit hat sich auch die Diskussion über die Erreichbarkeit des diesjährigen Wachstumsziels der Regierung mit einem BIP-Anstieg um etwa 5,5% erledigt. Selbst im Falle sehr umfangreicher fiskalischer Stimuli und einer neuen Offensive bei staatlichen Infra­strukturprojekten ist es praktisch ausgeschlossen, dass Chinas BIP-Wachstum für das Gesamtjahr 2022 über 5% hinausgeht.

Niedrige Konsensschätzung

Nach einem Anstieg um 4,8% im ersten und nun 0,4% im zweiten Quartal landet man für die erste Jahreshälfte bei 2,5% Wachstum. So gesehen müsste Chinas Wirtschaftsleistung im weiteren Jahresverlauf um mehr als 8% zulegen, um das bis dato nie verfehlte offizielle Wachstumsziel nur annähernd zu erreichen. Gegenwärtig liegt die Konsensschätzung für das Gesamtjahr 2022 bei 4%. Sie unterliegt aber einem Basisszenario, bei dem es nicht zu einem erneuten Lockdown-Schock mit landesweiten Auswirkungen kommt.

Grund für verhaltenen Optimismus ergibt sich immerhin aus den am Freitag begleitend veröffentlichten Daten für die Wirtschaftsleistung im Juni, die von der Aufhebung des Lockdown in Schanghai beflügelt wurde. So zog die Industrieproduktion im Rahmen der Erwartungen um 4% an. Als positive Überraschung gilt ein Anstieg der Einzelhandelsumsätze um 3%, hier hatten die Experten nach scharfem Rückgang der Konsumausgaben im April und Mai nur mit einem Plus um 0,3% gerechnet. Von einem konsumgeleiteten Aufschwung ist man aber noch weit entfernt, zumal die Beschäftigungsentwicklung Sorge macht. Die auf urbane Gebiete beschränkte chinesische Arbeitslosenrate reduzierte sich dem Statistikbüro zufolge von 5,9% im Mai auf nun 5,5%. Allerdings erreicht die Arbeitslosenquote für die junge Bevölkerung zwischen 16 und 24 Jahren mit 19,3% einen neuen alarmierenden Rekordwert.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.