China-Lockdown als Stimmungskiller
Von Norbert Hellmann, Schanghai
Chinas kompromisslose Herangehensweise in der Coronapolitik fordert der weltweit zweitgrößten Volkswirtschaft einen immer höheren Tribut ab, wobei vor allem das private Dienstleistungsgewerbe und der Konsum erheblich leiden. Spätestens mit der neuen Einkaufsmanagererhebung für den Dienstleistungssektor, Caixin China Services Purchasing Manager Index (PMI), zeigt sich, dass der andauernde Lockdown in Schanghai und anderen chinesischen Ballungsgebieten der konsumverwandten Wirtschaftsaktivität im Reich der Mitte einen dramatischen Rückschlag verpasst.
Der am Donnerstag verbreitete Caixin Services PMI ist im April erneut abgestürzt und erreicht mit 36,2 Punkten das zweittiefste jemals verzeichnete Niveau. Noch tiefer stand das Stimmungsbarometer nur unmittelbar nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie im Februar 2020 – bei damals 26,5 Punkten. Werte unterhalb von 50 Punkte zeigen eine Schrumpfung an.
Analysten hatten einen etwas milderen Einbruch auf rund 40 Zähler auf dem Zettel. Bereits im März war der Caixin PMI auf Tauchstation gegangen, als sich abzeichnete, dass Chins Staats- und Parteiführung ihre als „Covid Zero“ bezeichnete Corona-Strategie um jeden Preis durchzuziehen gedenkt und dabei heftige wirtschaftliche Verwerfungen in Form von Produktionsausfällen, Lieferkettenstörungen, Ladenschließungen und Konsumverzicht in Kauf nimmt.
BIP-Rückgang denkbar
Auch wenn die Lockdown-Schäden zunächst vor allem den Einzelhandel sowie das Gast-, Tourismus- und Unterhaltungsgewerbe treffen, wird auch Chinas Industrie immer stärker aus dem Tritt gebracht. Der Caixin PMI für das verarbeitende Gewerbe fiel im April auf 46 Punkte, was ein 26-Monats-Tief bedeutet. Auch der kombinierte Index für Produktion und Dienste, Caixin China General Composite PMI, verzeichnet mit 37,2 Punkten nach 43,9 Zählern im März ein Stimmungstief im Unternehmenssektor, wie man es zuvor nur einmal beim Pandemieausbruch im Februar 2020 erlebt hatte.
Ökonomen verweisen darauf, dass die von der Zentralregierung verantwortete Strategie der Verhängung von Massenquarantänen und Bewegungssperren auch bei minimalen Inzidenzraten zu einer regelrechten Erstickung der Wirtschaftsaktivität führt. Mittlerweile rechnen Experten damit, dass Chinas Bruttoinlandsprodukt (BIP) im laufenden zweiten Quartal eine Schrumpfung gegenüber dem Vorjahr hinlegt. In Chinas jüngerer Wirtschaftsgeschichte ist es nur einmal, nämlich wegen des Corona-Schocks im ersten Quartal 2020, zu einem tatsächlichen Rückgang des BIP gekommen.
Eine Abkehr von der Nulltoleranzpolitik zur Wirtschaftsschonung ist aber nicht in Sicht. Am Donnerstag ließ Präsident Xi Jinping nach einer Sitzung des Politbüros die Nachricht verbreiten, dass auf jede neue regionale Corona-Inzidenz sofort mit Beschränkungsmaßnahmen reagiert werde. Dabei hieß es wörtlich: „Unsere Strategie zur Prävention und Kontrolle der Pandemie wird vom Wesen und den Prinzipien der Kommunistischen Partei bestimmt. Unsere Maßnahmen sind wissenschaftlich begründet und effektiv und werden den historischen Test bestehen.“
Ebenfalls am Donnerstagabend kam es dann zu einer begleitenden Verlautbarung des Regierungskabinetts mit erneuten Versprechungen zu Unterstützungsmaßnahmen für kleine und mittlere Unternehmen und für die Stabilisierung des Beschäftigungsniveaus. In den vergangenen zwei Monaten hat es bereits ein halbes Dutzend ähnlich lautender Appelle des Staatsrats gegeben, denen bislang kaum nachweisliche Aktionen für effektive fiskalische und monetäre Stimuli gefolgt sind.
Bei den avisierten Unterstützungsleistungen für Kleinunternehmen handelt es sich in erster Linie um Steuerrabatte, die allerdings wenig Erleichterung für Firmen bringen, deren besteuerbare Umsätze und Gewinne wegen der Lockdown-Situation völlig weggebrochen sind. So betonen Analysten, dass die kommunizierte Stimulierungsbereitschaft der Regierung praktisch keinen Einfluss auf die Stimmungslage im Unternehmenssektor hat, solange das Grundproblem einer kompromisslosen Coronapolitik ohne absehbares Ende bestehen bleibt.