Verhältnis zu Russland

China ordnet Prioritäten im Ukraine-Krieg

Peking ist angesichts von Russlands brutalem Vorgehen im Ukraine-Krieg bemüht, stärker als Friedensvermittler denn als Russland-Freund dazustehen. Priorität hat ohnehin etwas anderes.

China ordnet Prioritäten im Ukraine-Krieg

Von Norbert Hellmann, Schanghai

Mit dem immer brutaleren Vorgehen der russischen Truppen in der Ukraine und angesichts weltweiter Solidarisierung mit dem angegriffenen Land gerät Chinas Freundschaftshaltung zu Russland zumindest auf diplomatischem Terrain ins Wanken. Es gilt, einen verheerenden Imageschaden durch die zuvor demonstrativ bekundete Nähe von Präsident Xi Jinping zu Russlands Machthaber Wladimir Putin zu verhindern. Gleichzeitig will man der eigenen Bevölkerung signalisieren, dass angesichts der heftigen Russland-Sanktionen und ihrer Folgewirkung an den Märkten die Wahrung der eigenen Wirtschaftsinteressen Vorrang hat.

Chinas Außenminister Wang Yi hatte Dienstag erstmals seit Kriegsbeginn direkte Gespräche mit seinem ukrainischen Kollegen geführt und sich mit dem Bekenntnis für eine Wahrung der Souveränität und territorialen Integrität aller Länder und der tiefen Besorgnis über Schaden für die ukrainische Zivilbevölkerung zitieren lassen. In einem Statement des Außenministeriums wurde gleichzeitig die Bitte der ukrainischen Regierung an Peking, sich als Friedensvermittler zu engagieren und für einen Waffenstillstand einzusetzen, ausdrücklich hervorgehoben. Das gilt im diplomatischen Kontext als deutliche Geste, mit der sich China von russischen Gewaltexzessen zu distanzieren versucht.

Allem Anschein nach registriert Chinas Staatsführung einen Sympathiewandel in der Bevölkerung, die sich in sozialen Netzwerken mit wachsendem Entsetzen zu Russlands Militärattacken und ihren Folgen für die ukrainische Zivilbevölkerung äußert. Gleichzeitig treten die zu Beginn des Kriegs im Netz aufgekommenen Anfeuerungsrufe für Putin bei seinem Feldzug gegen den Westen etwas in den Hintergrund. Zum einen fällt die Sichtweise, dass der geopolitische Zweck die Mittel heilige, angesichts horrender Bilder über die Zerstörung in der Ukraine immer schwerer. Zum anderen ist das Land in der Vorgeschichte noch nie durch einen Konflikt mit China aufgefallen und genießt ein durchweg positives Image, das es selbst eingefleischten Patrioten und Wutbürgern im Reich der Mitte schwermacht, eine negative Front aufzubauen.

Abgesehen davon ist wachsende Unruhe über Konsequenzen eines länger anhaltenden Krieges und der geballten internationalen Sanktionen gegen Russland zu spüren. Denn diese könnten im eigenen Land aufschlagen, beispielsweise über höhere Energie- und Lebensmittelpreise. Auch in Peking scheint es erst einmal weniger darum zu gehen, wie man Russland im Falle immer neuer Sanktionen und Embargos aus der Patsche helfen könnte, sondern wie China selbst als mit Abstand größte Rohstoff- und Getreideimporteur der Welt glimpflich davonkommt.

Chinas Wirtschaftsplanungsrat NDRC und andere Behörden haben heimische Staatsunternehmen dazu beordert, die Weltmärkte nach verfügbaren Lieferungen bei Erdöl, Gas, Eisenerz und Getreide abzugrasen, um Reserven aufzustocken und zur Energie- und Lebensmittelversorgung beizutragen. Dabei scheint man zunächst weniger um die Verteuerung von Importen besorgt, sondern räumt der Vermeidung von Versorgungsengpässen und lieferbedingten Produktionsausfällen in der Industrie absolute Priorität ein.

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