Geldpolitik

Chinas Zentralbank lässt sich Zeit

Chinas postpandemischer Konjunkturaufschwung ist zuletzt etwas aus dem Tritt geraten und wirft die Frage nach geldpolitischer Stimulierungsbereitschaft auf. Die Zentralbank scheut sich aber vor expliziten Zinssenkungsgesten.

Chinas Zentralbank lässt sich Zeit

Von Norbert Hellmann, Schanghai

Nach zuletzt eher enttäuschenden Konjunkturdaten lebt die schwelende Debatte über erhöhten monetären Lockerungsbedarf im Reich der Mitte wieder neu auf. Auf Seiten der Notenbank People’s Bank of China (PBOC) sieht man aber weiterhin keine Notwendigkeit, energischer in das derzeitige Zinsgefüge am Geldmarkt einzugreifen und den Referenzzins für Neukreditvergaben der Banken nach unten zu schleusen. Und dies, obwohl die Regierung erst kürzlich wieder beteuert hat, dass sie einer weiteren eingetrübten Geschäftsstimmung und wachsenden Belastungen für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) mit Stimulierungsgesten Rechnung tragen wolle. Allerdings scheint man das Problem nicht über zinspolitische Eingriffe angehen zu wollen.

Am Freitag wurde die Loan Prime Rate (LPR) genannte Zinsmarke für einjährige Kreditvergaben, die seit einer Anpassung vom April 2020 bei 3,85% steht, zum sechzehnten Mal in Folge unverändert belassen. Damit signalisiert die PBOC, dass sie trotz neu aufgekommener Konjunkturunsicherheiten von ihrem als „neutral“ eingestuften geldpolitischen Kurs nicht abrücken will.

Die Loan Prime Rate gilt seit ihrer Einführung vor zwei Jahren als de facto Benchmark für Unternehmenskreditkosten und wird zu jedem 20. eines Monats im Kreis von 18 chinesischen Großbanken als Renditeaufschlag auf den Refinanzierungssatz der Zentralbank für einjährige Gelder im Rahmen der Medium-Term Loan Facility (MLF) bestimmt. Trotz des „marktgesteuerten“ Zinsfixings bleibt die PBOC Herr des Verfahrens und sorgt bislang dafür, dass sich die LPR und der MLF-Zins nur im Tandem bewegen.

Wenig Neuerungen erwartet

Zuletzt hatte die Zentralbank in der vergangenen Woche auslaufende MLF-Gelder über 700 Mrd. Yuan zwar weitgehend neu ersetzt und damit auch keine neuen liquiditätsbedingten Verspannungen am Geldmarkt aufkommen lassen, der MLF-Refinanzierungszins wurde aber ungerührt bei 2,95% belassen. Da die MLF-Konditionen direkt auf die LPR abfärben, ist es absolut keine Überraschung, dass sich auch bei der Kreditbenchmark weiterhin nichts bewegt. Tatsächlich rechnet die Mehrheit der China-Ökonomen inzwischen nicht mehr damit, dass sich im laufenden Jahr in Sachen MLF und LPR sonderlich viel tun wird.

Schlechte Erfahrungen

Zum einen scheint man in der Volksrepublik besonderen Wert darauf zu legen, dass man es im Gegensatz zu westlichen Ländern nicht nötig hat, eine ultralockere Geldpolitik mit Niedrigzinsen und begleitenden quantitativen Maßnahmen in Form von Anleihekäufen zu fahren. Schließlich werden die Praktiken der Federal Reserve in den USA und zum Teil auch der Europäischen Zentralbank (EZB) von chinesischer Seite gerne als Kapitulationserklärungen gerügt. Zum anderen hat die PBOC in vergangenen Jahren schlechte Erfahrungen mit Leitzinsimpulsen gemacht, die sich in erster Linie in Vermögenspreisblasen und angeheizter Verschuldungsproblematik entladen, ohne nennenswerte „realwirtschaftliche“ Belebungseffekte zu zeitigen.

Mindestreserve hat Vorrang

Nachdem die PBOC im jüngsten geldpolitischen Bericht vor zwei Wochen alles andere als Konjunkturalarm angeschlagen hat, kann man davon ausgehen, dass die Währungshüter sich bei neu anstehendem Lockerungsbedarf vorerst auf den sanfteren Einwirkungshebel der Mindestreserveverpflichtungen konzentrieren werden. Mitte Juli war es bereits zu einer Senkung der Mindestreservesätze für Geschäfts­banken um 0,5 Prozentpunkte gekommen.

Die Analysten rechnen mittlerweile damit, dass bereits im September ein neuerlicher Senkungsschritt um nochmals 50 Basispunkte ansteht. Das bei westlichen Zentralbanken praktisch kaum noch verwendete Instrument der Mindestreserve gilt in China weiterhin als probates Mittel zur Erweiterung von Kreditvergabespielräumen und Glättung der Liquiditätsversorgung, ohne dass un­erwünschte Nebenwirkungen be­kannt wären.