Geopolitik

Clinch zwischen Westen und Russland hilft China

Auch wenn Moskaus wirtschaftlicher Schwenk nach Asien teils aufgebauscht ist: Er findet statt. Vom Streit mit dem Westen und möglichen neuen Sanktionen profitiert abermals China.

Clinch zwischen Westen und Russland hilft China

Wenn russische Geschäftsleute von ihren Kontakten mit Chinesen berichten, kommen zwei Aspekte so gut wie immer vor. Die Chinesen sind härtere Verhandler als die Europäer. Und sie spielen gern auf Zeit.

Zumindest Zweiteres zeigt sich auch beim Umgang des offiziellen Peking mit seinem nördlichen Nachbarn: China spielt seinen Trumpf nicht aus, wenn bei Kremlchef Wladimir Putin die Welt in Ordnung ist. China sticht, wenn er in einer brenzligen Lage ist. In einem solchen Mo­ment gibt China auch politische Un­terstützungserklärungen ab, wie dieser Tage angesichts der Zuspitzung des russischen Konflikts mit dem Westen. Und in einem solchen Mo­ment wie vergangene Woche unterzeichnet Peking auch Wirtschaftsverträge, die Moskau dann dem Westen unter die Nase reiben kann.

Das war schon 2014 so, als sich Russland nach der Annexion der Krim mit westlichen Sanktionen konfrontiert sah. Für China damals die Gelegenheit, um nach mehr als zehn Jahren Verhandlungen den ersten großen Gasliefervertrag mit Gazprom abzuschließen. Auf jährlich 38 Mrd. Kubikmeter Gas über 30 Jahre einigte man sich; Gazprom hat die Pipeline „Power of Siberia“ dafür gebaut. Das war allemal ein Be­freiungsschlag für den Konzern, der damals noch total vom Export nach Europa abhängig war und 2021 immer noch etwa 180 Mrd. Kubikmeter dorthin geliefert hat.

Gewiss, der Befreiungsschlag kommt Gazprom teuer zu stehen. China nämlich habe weit niedrigere Gaspreise durchgesetzt als Europa, sagt Michail Krutichin, Partner der Moskauer Beratungsfirma Rusenergy, der Börsen-Zeitung.

Und doch hat der Westen Angst, Russland mit einem unbedachten Vorgehen oder Sanktionen weiter in Chinas Arme zu treiben. Konkret wurde vergangene Woche anlässlich Putins China-Besuchs die Abnahme weiterer 10 Mrd. Kubikmeter russischen Gases pro Jahr aus dem fernen Osten auf 25 Jahre vereinbart. Auch wurde mit Russlands größtem Öl­konzern Rosneft der Import von 100 Mill. Tonnen Öl über zehn Jahre besiegelt.

Jedoch bedarf in beiden Fällen der wirtschaftliche Wert für Russland einer Einordnung: Für die zusätzlichen Gaslieferungen ist offen, aus welcher Lagerstätte sie eigentlich kommen sollen. Und beim Rosneft-Deal geht es nicht um aktuell zusätzliche Volumina, sondern nur um die Verlängerung eines 2023 endenden Liefervertrags um zehn Jahre. Dennoch versinnbildlicht gerade die chinesische Geschichte mit Rosneft den Weg, wie die einst verfeindeten Staaten sich zueinander vortasten. Schon 2004 sprangen die Chinesen dem damals jungen Staatskonzern mit 6 Mrd. Dollar Vorauszahlungen für Öllieferungen bei. Heute deckt Rosneft 7% von Chinas Ölbedarf.

Der Schwenk nach China hat mit jeder westlichen Sanktion und mit jedem neuen Clinch einen Schub bekommen. Betrug das bilaterale Handelsvolumen zwischen Russland und China 2013 noch 88,8 Mrd. Dollar, was 10,5% des russischen Außenhandelsvolumens entsprach, so waren es 2020 bereits 110 Mrd. Dollar bzw. gut 16% des Außenhandels. 2021 stieg das Volumen sogar auf über 140 Mrd. Dollar. Für den geografischen Schwenk bezeichnender ist der Trend, dass die EU prozentual an Terrain in Russland verliert. Hatte ihr Anteil am russischen Handelsvolumen lange über 50% gelegen, so ist er (wohlgemerkt inzwischen auch ohne Großbritannien) bis 2020 auf gut 38% gesunken.

Der Nutznießer aller Verwerfungen mit Europa sei China, beteuern Vertreter westlicher Firmen seit Jahren. Dass dennoch mehr Investitionen aus der EU kommen, weil chinesische Investoren vorsichtiger sind und von den Russen mit traditioneller Skepsis ferngehalten werden, wird derzeit eher verschwiegen. Genau wie die Tatsache, dass China mit den USA mehr als fünfmal so viel Handel treibt wie mit Russland und daher rhetorisch gegenüber den USA vorsichtiger ist als Putin.

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