Manfred Güllner

„Das ist kein Zeichen von Führungsstärke“

Die Spitzen der Ampel-Koalition haben bei der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages Aufbruchstimmung verbreitet. Die Euphorie in der Bevölkerung für die neue Regierung hat allerdings schon merklich nachgelassen, sagt Forsa-Chef Manfred Güllner.

„Das ist kein Zeichen von Führungsstärke“

Stefan Paravicini.

Herr Professor Güllner, die Ampel-Koalition übernimmt die Regierungsgeschäfte. Wie viel Aufbruchstimmung ist zehn Wochen nach der Wahl noch übrig?

Die Ampel-Koalition wurde in der Bevölkerung unmittelbar nach der Bundestagswahl sehr positiv gesehen. Die Euphorie für die Ampel hat aber merklich nachgelassen. Ich denke, der Hauptgrund dafür ist das Lavieren in der Corona-Politik.

Mittlerweile spricht auch die FDP über eine Impfpflicht. Gibt es dafür ausreichenden Rückhalt in der Bevölkerung?

Die Menschen haben während der Pandemie in der gesamten Republik in ihrer Mehrheit eine konsequente Bekämpfung der Pandemie erwartet. Die Bürger waren meistens weiter als die Politik, das ist auch in der vierten Welle der Fall. Die Abschaffung der epidemischen Lage nationaler Tragweite ist deshalb auf ganz wenig Verständnis gestoßen. Mittlerweile sprechen sich weit mehr als 70% für die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht aus.

Die Gefahr einer gesellschaftlichen Spaltung sehen Sie in den Umfragen nicht?

Von einer Spaltung kann man nur reden, wenn sich zwei gleich große Lager wie in den USA feindlich gegenüberstehen. Das ist hier nicht der Fall. Wir haben eine kleine Minderheit, die sich weitgehend mit den Querdenkern und den Anhängern der AfD überschneidet. Die ganz große Mehrheit will mit denen nichts zu tun haben. Es gibt keine Spaltung, aber einen tiefen Graben zwischen der großen Mehrheit, die für schärfere Maßnahmen und mittlerweile auch für eine Impfpflicht ist, und einer Minorität der Corona-Leugner und Impfgegner. Die Wut auf diese Minorität steigt, weil es immer weniger Verständnis dafür gibt, dass sie auch medial so viel Aufmerksamkeit erhält, während die Sorgen und Ängste der großen Mehrheit zu wenig berücksichtigt werden.

Hundert Tage Schonfrist wird es für die Ampel nicht geben. Hilft der besondere Druck in Zeiten der Pandemie, das Dreierbündnis schnell zusammenzuschweißen?

In der neuen Konstellation mit drei Koalitionspartnern gibt es im Bund keine Erfahrungen. Bisher war eigentlich immer ein Koalitionspartner dominant. Jetzt haben wir eine Situation, in der die SPD weniger als die Hälfte der Stimmen der drei Koalitionsparteien auf sich vereinigen konnte. Sie ist in der Koalition keine dominante Kraft. Deswegen wird es auch für die Akzeptanz der Ampel interessant, wie zwischen den drei Parteien der Interessenvergleich vorgenommen wird.

Die Frage nach Koch und Kellner scheint die Ampel so zu beantworten, dass alle drei am Herd stehen. Könnte ihr das als Führungsschwäche ausgelegt werden?

Die Frage ist, wie der Kanzler da bewertet wird. Man wird beobachten müssen, ob die Führungsstärke von Scholz darunter leidet. Zur Corona-Politik in der vierten Welle hat er lange nichts gesagt und dann im Bundestag bei der Einbringung des neuen Infektionsschutzgesetzes ziemlich oberflächlich darüber weggeredet. „Wir machen Deutschland winterfest.“ Das war dem Ernst der Lage nicht angemessen. Danach musste er unter öffentlichem Druck nachbessern, was sich jetzt auch in der Ernennung von Karl Lauterbach zum Gesundheitsminister niederschlägt, für die seine Popularität ausschlaggebend war.

Wer Führung beim neuen Bundeskanzler bestellt, der kriegt sie bisher nicht?

Das wird jedenfalls nicht so wahrgenommen und lässt sich am Beispiel des Infektionsschutzgesetzes sowie der Ernennung von Lauterbach auch nicht ablesen.

Aus der Sicht eines Demoskopen ist die Ernennung von Lauterbach aber eine gute Wahl, oder?

Niemand versteht, warum diese Entscheidung nicht früher getroffen wurde. Wenn Herr Lauterbach unmittelbar als Gesundheitsminister vorgeschlagen worden wäre, hätte man das positiv aufgenommen. Jetzt fragt man sich vor allem, warum mit der Entscheidung so lange gezögert wurde. Das ist kein Zeichen von Führungsstärke.

Wie bewerten Sie insgesamt das Personaltableau der Ampel? Stimmt die Mischung aus Newcomern und bewährten Kräften?

Das muss man abwarten. Viele Gesichter im Kabinett sind auf Bundesebene noch gar nicht bekannt. Noch ist es aber zu früh, das zu beurteilen.

Die Ampel-Koalition will mehr Fortschritt wagen. Trifft sie damit denn auch die Erwartungen der Bevölkerung?

Die meisten Menschen wollen keinen radikalen Politikwechsel. Deswegen ist das von der Ampel vielleicht etwas zu dick aufgetragen. Mit Angela Merkel waren die Leute extrem zufrieden, ihre Popularitätswerte sind immer noch sehr hoch. Das zeigt, dass man mit ihrer Politik nicht unzufrieden war.

Scholz hat sich im Wahlkampf als natürlicher Nachfolger der Bundeskanzlerin positioniert, ab sofort muss er sich mit ihr vergleichen lassen. Hat er dafür das nötige Profil?

Das Profil hat er so noch nicht und es ist durch das zu späte und reaktive Verhalten in der Corona-Politik zuletzt wieder unschärfer geworden. Auch bei der ersten Bund-Länder-Runde nach der Wahl hat Merkel viel klarer Position bezogen als Scholz. Man muss jetzt abwarten, wie er das in der neuen Konstellation macht. Noch ist es früh, das zu beurteilen.

Scholz sieht die Ampel als ein Projekt für mehr als eine Legislaturperiode. Kommt nach 16 Jahren Merkel eine ökosozialliberale Ära?

Die SPD hat bei der Bundestagswahl von der extremen Schwäche des Kanzlerkandidaten der Union profitiert, ist aber nicht mehr so breit verankert wie früher. Die eigentliche Zäsur bei dieser Wahl ist ja das Ende der beiden Volksparteien. Auch die Grünen und die FDP kommen nicht in die Nähe einer Volkspartei, sondern sind weiterhin Klientelparteien für die oberen sozialen Schichten in den urbanen Metropolen und Besserverdiener. Man muss abwarten, wie sich das Parteiensystem in den nächsten vier Jahren ohne die Volksparteien als Stabilitätsgaranten ausmendelt. Darüber kann man jetzt noch nicht einmal spekulieren.

Trauen Sie der Union ein Comeback als Volkspartei zu? In den nächsten vier Jahren können CDU/CSU auf der Oppositionsbühne neben AfD und Linke die Mitte ja ganz allein bespielen.

Die Union muss versuchen, die verloren gegangenen Wähler in der Mitte wiederzugewinnen. Mit Friedrich Merz als Parteichef wird das aber nur sehr schwer gelingen. Das wäre nach der Wahl von Laschet die nächste personelle Fehlentscheidung.

Das Interview führte

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