„Das Thema Inflation wird den deutschen Wahlkampf noch beeinflussen“
IM INTERVIEW: Ulrike Malmendier
„Das Thema Inflation wird den deutschen Wahlkampf noch beeinflussen“
Konjunkturfolgen des Ampel-Endes hängt von Regierungsbildung ab – Trump-Effekt noch unklar – Deutschland bei digitalen Finanzinnovationen abgehängt
Ob das Ampel-Aus die deutsche Konjunktur 2025 weiter ausbremst oder ihr im Gegenteil einen Schub gibt, hängt nach Einschätzung der Wirtschaftsweisen Ulrike Malmendier ganz von der Regierungsbildung nach der Wahl ab. Sie rechnet aber nach den jüngsten Erfahrungen in den USA damit, dass im Wahlkampf auch das Thema Inflation noch eine Rolle spielt.
Das Interview führte Andreas Heitker.
Frau Malmendier, welche Auswirkungen hat das vorzeitige Aus der Ampel-Regierung auf die Konjunktur?
Auf 2024 dürfte dies keine Auswirkungen mehr haben, weder bei den Konsum- noch bei den Investitionsentscheidungen der Unternehmen. Für 2025 sieht das anders aus. Allerdings sind die Prognosen hierzu noch mit großen Unsicherheiten behaftet.
Was meinen Sie damit?
Bei den privaten Haushalten ist aktuell immer noch viel Konsumzurückhaltung und eine hohe Sparquote zu beobachten. In dieser Situation könnte die vorzeitige Neuwahl theoretisch zweierlei bewirken: Wenn es ein langes politisches Machtvakuum gibt, könnten die ohnehin nicht allzu optimistischen Prognosen noch einmal schlechter ausfallen. Es geht dabei weniger um den genauen Zeitpunkt der Wahl, sondern vor allem um die Zeit danach, also die Regierungsbildung und die Klarheit in der politischen Führung. Ich sehe aber durchaus auch das umgekehrte Szenario als realistisch an.
Und das wäre?
Ein Stimmungsumschwung in der Bevölkerung mit der Hoffnung auf einen Neuanfang. Wenn sich ein gewisser Optimismus ausbreitet, kann das den privaten Konsum auch fördern. Es kann in beide Richtungen gehen. Daher hat die Politik jetzt auch eine so große Verantwortung, möglichst schnell zu agieren.
Und aufseiten der Unternehmen?
Da sieht es ähnlich aus. Wenn es eine klare Mehrheitsentscheidung bei der Wahl gibt und klare politische Leitlinien für die Zukunft, könnte sich das sehr positiv auch auf Investitionsentscheidungen auswirken. Es könnte im anderen Fall aber auch das Gegenteil eintreten.
Welche Rolle spielt die derzeitige Unklarheit, welche Gesetze noch bis zur Wahl verabschiedet werden können?
Aus konjunktureller Sicht ist das nicht ganz unerheblich. Zum Beispiel sind wesentliche Teile der Wachstumsinitiative aus dem Sommer noch gar nicht beschlossen, etwa die Westbalkan-Regel gegen Arbeitskräftemangel oder die geplanten degressiven Abschreibungen. Der Sachverständigenrat hat in seiner neuen Prognose für 2025 nur die Teile der Wachstumsinitiative berücksichtigt, die auch schon umgesetzt wurden. Insgesamt könnte das Paket im nächsten Jahr einen positiven BIP-Effekt von 0,2 bis 0,3 Prozentpunkten haben. Das wäre rund die Hälfte des Effekts, auf den die Ampel eigentlich gehofft hatte.
Und wie sieht es mit einem Trump-Effekt auf die deutsche Konjunktur aus?
Die Aussichten für die deutsche Exportwirtschaft sind ohnehin nicht sehr rosig. Der Exportmarkt China funktioniert für Deutschland nicht mehr so gut. Und die USA sind damit eigentlich ein noch wichtigerer Partner geworden, als er ohnehin schon war. Wenn sich Donald Trump für seine Präsidentschaft nun das Ziel setzt, die deutschen Exporte zu verringern, ist das natürlich wenig hilfreich. Insgesamt können wir für 2025 aber derzeit noch keinen wirklich großen Trump-Effekt auf die deutsche Konjunktur vorhersagen. Aber man wird auch das Thema Inflation weiter beobachten müssen.
Warum das?
Trump hat viele Pläne, die die Inflation weiter anheizen könnten. Dazu gehören auch neue Zölle. Das würde erst einmal in den USA zu Preiserhöhungen führen, könnte aber auch die Europäer noch beschäftigen. Wir in Europa rechnen derzeit ja eigentlich mit weiteren Zinssenkungen durch die EZB und den entsprechenden wirtschaftlichen Effekten. Dies könnte wieder infrage stehen.
Trump hatte das Thema Inflation auch für seinen Wahlkampf genutzt.
Ja. Es ist ihm gelungen, die Menschen zu mobilisieren, da den Amerikanern das Thema in den Knochen steckte. Es nimmt die Leute mit, wenn sie für ihren Wocheneinkauf auf einmal 20% oder 40% mehr bezahlen müssen als bisher. Und auch wenn die Löhne angepasst werden, geht die Angst vor Preissteigerungen nicht mehr so schnell wieder weg. Das Thema Inflation wird daher wohl auch den deutschen Wahlkampf noch beeinflussen.
Frau Malmendier, der Sachverständigenrat hat festgestellt, dass Deutschland bei digitalen Innovationen im Finanzsektor einen Nachholbedarf hat. Ist das auch eines der strukturellen Probleme des Standortes, das sich auf das Wachstum negativ auswirkt?
In der Tat. Es geht ja generell um das Thema Digitalisierung, bei dem Deutschland schon länger hinterherhinkt. Und dabei spreche ich nicht nur von Versäumnissen der Politik, sondern auch der Unternehmen. In den Produktionsprozessen hat die Digitalisierung vielleicht noch ganz gut funktioniert. In anderen Bereichen sieht dies anders aus.
Woran machen Sie den Rückstand Deutschlands im Finanzbereich denn fest?
Man kann zum Beispiel die Investitionen in IT und digitale Produkte pro Arbeitsstunde nehmen. Innerhalb Europas lag Deutschland vor zehn Jahren noch am unteren Ende in dieser Rangliste, jetzt noch im unteren Mittelfeld. Ein anderer Indikator sind neue Produkte, die das Leben leichter machen, beispielsweise Zahlungsmöglichkeiten mit dem Handy oder Angebote wie „Buy now, pay later“. Von den Banken kam hier nicht viel. Digitale Innovationen gingen in Deutschland meist von Fintechs oder den Big Techs aus. In anderen EU-Ländern haben Banken außerdem eher mit Fintechs zusammengearbeitet. Auch das gibt es in Deutschland in deutlich geringerem Maße.
Sie fordern Regulierungserleichterungen für Fintechs. Haben Sie keine Sorge um die Finanzmarktstabilität?
Nein. Dafür sind die Fintechs einfach zu klein. Sie spielen beispielsweise bei der Kreditvergabe immer noch nur eine kaum wahrnehmbare Rolle. Von Fintechs gehen keine Gefahren aus. Deshalb plädiert der Sachverständigenrat ja auch für Regulatory Sandboxes, damit die Unternehmen die Möglichkeit bekommen, neue digitale Produkte und Verfahren auszuprobieren. Dies würde auch den Regulierungsbehörden erlauben, in dieser Art Praxistest zu beobachten, wo neue Gefahren drohen könnten. Wir würden auch eine Open-Banking-Regulierung befürworten, wie sie auf EU-Ebene diskutiert wird.
Sie sprechen davon, dass Fintechs einen Zugang zu Kundendaten erhalten könnten. Was erhoffen Sie sich davon?
Damit könnten Wettbewerbsnachteile der neuen Anbieter gegenüber herkömmlichen Banken beseitigt werden, und Kunden könnten auf günstigere Konditionen hoffen. Die Big Techs sind mit der Analyse der digitalen Footprints ja heute schon in der Lage, für bestimmte Personen bessere Kreditkonditionen anzubieten. Ich würde das Open Banking auch in diese Richtung erweitern. Dann müssten auch die Big Techs Daten an die Banken abgeben. Es geht darum, den Wettbewerb zu fördern.
Aktuell sind im Digitalraum ja keine Wachstumsimpulse zu beobachten. Und in Europa wären wir mit einer solchen Open-Banking-Regulierung international Vorreiter.
Die Big Techs wie Google, Apple oder Amazon würden Sie gerne schärfer reguliert sehen?
Die Risiken von den Big Techs, die auch Finanzdienstleistungen anbieten, werden aktuell nicht ausreichend genug beachtet. Das betrifft auch das Wettbewerbsrecht. Es geht vor allem um die Schnittstellen zwischen den Finanzdienstleistungen und dem Rest des Unternehmens und die daraus entstehende Marktmacht. Man sollte überlegen, ob man die Tech-Konzerne nicht zwingen sollte, ihre Finanzgeschäfte in eigene Einheiten auszugliedern, um Anforderungen an Liquidität oder Solvenz praktikabler und besser beaufsichtigen zu können.
Warum verweist der Sachverständigenrat in dem Zusammenhang noch einmal explizit auf die Bedeutung des Datenschutzes? In letzter Zeit ging es doch eher darum, den strengen Datenschutz im Zuge eines Bürokratieabbaus zu lockern.
Man muss bei den Big Techs genauer hinzuschauen, was sie mit ihren Daten machen, damit es ein Level Playing Field gibt. Wir müssen aber natürlich auch auf die deutsche Bevölkerung und ihre Präferenzen eingehen, um die Akzeptanz von digitalen Angeboten zu stärken. Wir haben ja immer wieder feststellen müssen, dass viele Menschen dem Bezahlen mit dem Handy oder auch der Online-Nutzung von Kreditkarten kritisch gegenüberstehen und besorgt sind, was mit ihren Daten geschieht.
Wie werden die Neobanken und Neobroker und die anderen neuen Player den Finanzmarkt in Deutschland in den kommenden Jahren verändern?
Meine Hoffnung wäre, dass diese Unternehmen die Kostenstrukturen im deutschen Markt verbessern. In anderen Ländern sind die Kosten schon deutlicher gesunken als bei uns. Ich hoffe natürlich, dass sich die Nutzerfreundlichkeit von Finanzdienstleistungen noch einmal deutlich erhöht. Außerdem könnte sich der Markt beim Thema Inklusion verbessern, wenn die Fintechs etwa die älteren Bevölkerungsschichten als potenzielle Kunden erkennen würden. Auch die Beteiligung von mehr Menschen am Aktien- und Kapitalmarkt könnte durch eine stärkere Digitalisierung und durch die Neobroker erreicht werden.