Debatte über wirtschaftliche Effekte der Geldpolitik gewinnt an Fahrt
Debatte über restriktive Geldpolitik gewinnt an Fahrt
Kreditvergabestandards verschärfen sich deutlich – Finanzierungssäule des Deka-EZB-Zinskompasses sinkt – Notenbank vor weiterer Zinssenkung
Trotz deutlich gefallenen Leitzinsen kommt die Kreditvergabe im Euroraum nicht in Schwung. Das dürfte einige EZB-Ratsmitglieder darin bestärken, dass der Bedarf an weiteren Zinssenkungen groß ist. Ein Argument, das andere Notenbanker nicht überzeugen dürfte. Eine Lockerung am Donnerstag ist dennoch Konsens.
mpi Frankfurt
Noch sind sich die EZB-Ratsmitglieder einig darin, wohin die Reise gehen soll. Die Notenbanker werden am Donnerstag aller Voraussicht nach eine weitere Zinssenkung um 25 Basispunkte beschließen. Doch wie groß der Spielraum danach für weitere Lockerungen in diesem Jahr ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Durch die Ergebnisse des neuen Bank Lending Survey (BLS) der EZB dürfte die Debatte weiter an Fahrt gewinnen.
Wie die EZB am Dienstag mitteilte, haben die Geschäftsbanken im Euroraum die Kriterien für die Kreditvergabe an Unternehmen deutlich gestrafft. Es handelt sich laut der Notenbank um die „ausgeprägteste Verschärfung“ der Richtlinien seit über einem Jahr. „Im EZB-Rat dürfte dies eine kontroverse Diskussion hervorrufen“, meint Kristian Tödtmann, Leiter Geldpolitik und Kapitalmärkte bei der DekaBank.
Das eine Lager im EZB-Rat werde diese Daten als Beleg dafür nehmen, dass angesichts der strengen Finanzierungskonditionen die Geldpolitik nach wie vor deutlich zu restriktiv ist und es Bedarf an stark fallenden Leitzinsen gibt. Die zweite Gruppe der Notenbanker dürfte hingegen argumentieren, dass die Geldpolitik gar nicht der entscheidende Grund für die strengen Kreditkonditionen ist, sondern die politische und konjunkturelle Unsicherheit in Deutschland und Frankreich. So verweisen die von der EZB befragten Banken auf gestiegene Kreditrisiken und eine verminderte Risikotoleranz.
Wo liegt der neutrale Zins?
Die EZB-Ratsmitglieder sind sich einig, dass es mittelfristig keinen Bedarf mehr an einer Geldpolitik gibt, die restriktiv auf die wirtschaftliche Entwicklung im Euroraum wirkt. Daher solle der Einlagensatz sukzessive mindestens auf das neutrale Niveau fallen. Problem an der Sache ist, dass es sich nicht ermitteln lässt, wo dieses Niveau genau liegt. Und die Schätzungen im EZB-Rat und von anderen Volkswirten gehen dazu weit auseinander.
Frankreichs Notenbankpräsident François Villeroy de Galhau hält 2% für plausibel. Sein portugiesischer Amtskollege Mário Centeno hält das sogar für die Obergrenze und kann sich einen deutlich niedrigeren neutralen Zins vorstellen. Dagegen verortet EZB-Direktorin Isabel Schnabel ihn in der Bandbreite zwischen 2 und 3%.
Finanzierungssäule des Zinskompasses sinkt
Je nachdem, wie die Einschätzung ausfällt, desto größer oder kleiner ist der Spielraum für weitere Zinssenkungen über den Donnerstag hinaus. Der Deka-EZB-Zinskompass, der exklusiv vor jeder Zinssitzung der Notenbank in der Börsen-Zeitung erscheint, signalisiert derzeit keinen Bedarf an einer deutlichen Lockerung der Geldpolitik. Zwar ist die Finanzierungssäule des Kompasses unter null gefallen und zeigt damit an, dass die Bedingungen strenger sind als im langfristigen Durchschnitt. Insgesamt schwankt der Wert des Zinskompasses jedoch um die Nulllinie herum, was für sich genommen für eine Beibehaltung der Leitzinsen auf den aktuellen Niveaus spricht.
Tödtmann gibt allerdings zu bedenken, dass ausschließlich die hohe Inflationssäule verhindert, dass der Kompass deutlich im negativen Bereich liegt und damit Bedarf an der Lockerung der Geldpolitik signalisiert. Seit September ist die Inflation im Euroraum von 1,7% schrittweise auf 2,4% gestiegen. Dies liegt jedoch im Wesentlichen an ungünstigen statistischen Basiseffekten, die demnächst auslaufen sollten. Die EZB-Ratsmitglieder sind daher allesamt zuversichtlich, das Inflationsziel von 2% in diesem Jahr zu erreichen. Angesichts des Inflationsausblicks hält auch Tödtmann eine graduelle, weitere Lockerung der Geldpolitik für angemessen.
Risikofaktor Trump
Bei der Pressekonferenz der Europäischen Zentralbank nach dem Zinsentscheid am Donnerstag dürfte auch US-Präsident Donald Trump eine größere Rolle spielen. „Im Frage-Antwort-Teil der Pressekonferenz dürfte ausgiebig über die US-Handelspolitik und ihre Implikationen für den Euroraum gesprochen werden“, meint Tödtmann. Allerdings sei es noch zu früh für die EZB, um mögliche Zölle in die makroökonomischen Vorhersagen aufzunehmen und Schlussfolgerungen für die Geldpolitik abzuleiten. „Es bleibt ihr also nichts anderes übrig, als abzuwarten, wie sich die Dinge entfalten.“