Konjunktur

Delta-Variante holt China auf den Boden der Tatsachen zurück

Erneute Lockdown-Maßnahmen wecken in der Volksrepublik Konjunkturängste. Die ersten Analysten schrauben ihre Wachstumsprognosen zurück. Grund ist die Ausbreitung der Delta-Variante des Coronavirus.

Delta-Variante holt China auf den Boden der Tatsachen zurück

nh Schanghai

China kann sich mit Fug und Recht als einzige große Wirtschaftsnation feiern lassen, der es gelungen ist, die konjunkturellen Beeinträchtigungen durch die Coronavirus-Pandemie auf ein Minimum zu reduzieren und das Land auf einem flotten Wachstumskurs zu halten. Die erste Jahreshälfte war von einem imposanten Erholungskurs geprägt. Insbesondere der Industriesektor und die Exportwirtschaft schienen wieder auf allen Zylindern zu laufen.

Zum 100. Geburtstag der Kommunistischen Partei am 1. Juli ließ sich die Staatsführung für ihren Sieg über Corona und die meisterliche Konjunktursteuerung ausgiebig feiern. Nur sechs Wochen später zeichnet sich ein anderes Bild. Die gefürchtete Delta-Variante des Coronavirus hat trotz drakonischer Sicherheitsvorkehrungen nun doch auch nach China gefunden – in 18 chinesischen Provinzen sind entsprechende Fälle registriert worden.

Kompromisslose Haltung

Die Situation ist im Vergleich zu anderen asiatischen Ländern keineswegs als kritisch zu bezeichnen. China wies bei zuletzt gut 500 Neuansteckungen täglich im Proporz zur Gesamtbevölkerung geradezu winzige Corona-Fallzahlen aus (siehe Grafik). Zudem spricht eine bereits relativ hohe Impfquote gegen eine rasante Verbreitung in chinesischen Großstädten.

Auf den ersten Blick sieht es also nicht nach raschen wirtschaftlichen Ansteckungsgefahren und ernsten Behinderungen aus. Der Schein trügt jedoch, denn China ist mit seinen kompromisslosen Corona-Bekämpfungsmethoden ein Sonderfall.

Die chinesische Staatsführung fährt seit den Erfahrungen mit dem ursprünglichen Corona-Ausbruch in Wuhan eine höchst erfolgreiche absolute Nullrisikostrategie und reagiert mit drastischen Maßnahmen selbst auf vereinzelte Ansteckungsfälle. Dazu gehören sofortige harte Lockdowns von betroffenen Ortschaften, Massentestungsverfahren, die auch in Millionenmetropolen keinen Bewohner auslassen sollen, und die konsequente Verkehrswege-Abnabelung für besonders schützenswerte Gebiete, allen voran die Hauptstadt Peking. So können auch niedrige Inzidenzraten mit deutlichen Eingriffen im Personen- und Warentransport einhergehen, das Luftfahrt- und Tourismusgeschäft lahmlegen und wegen besonderer Schutzmaßnahmen im Seefrachtverkehr und Hafenmanagement zu Lieferengpässen führen.

Abgesehen davon hagelt es bereits Absagen von für den August vorgesehenen Industrie- und Handelsmessen, Branchenkongressen und Wirtschaftsforen. Während beispielsweise gerade in München die Automesse IAA munter anläuft, hat man in Peking bei den Mammutveranstaltungen Beijing Cyber Security Conference sowie World 5G Conference bereits den Stecker gezogen. Die weltgrößte Messestadt Schanghai wiederum ließ neben der Aerospace Engineering Exhibition und der Shanghai International Commercial Airshow 20 weitere Messeveranstaltungen auf unbestimmte Zeit verschieben.

Delle im dritten Quartal

Während man beim Pekinger Statistikbüro und bei der Zentralbank neu aufgekommene Konjunkturrisiken nur sehr verhalten skizziert, um ja keine sich selbst erfüllenden Prophezeiungen loszutreten, halten sich zumindest ausländische Investmentbanken mit Korrekturen ihrer Wachstumsprognosen nicht mehr zurück. Goldman Sachs dezimiert den Schätzwert für das sequenzielle Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im Vergleich des dritten mit dem zweiten Quartal von 5,8 auf 2,3% und nimmt die Prognose für das Jahreswachstum 2021 von 8,6 auf 8,3% zurück.

Für das dritte Quartal bleibt Goldman zwar zunächst bei 6,2% Zuwachs gegenüber dem Vorjahr. Im Falle von länger anhaltenden Restriktionsmaßnahmen, reduziert sich die Prognose aber auf 5,5%. Die für skeptische China-Prognosen bekannte japanische Nomura wiederum ist bereits so weit gegangen, den Schätzwert für das dritte Quartal von 6,4 auf 5,1% zu senken.

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