„Den Klimaschutz nicht konterkarieren“
Frau Professor Grimm, die Bundesregierung will mehr tun, um Verbraucher und Unternehmen von den gestiegenen Energiekosten zu entlasten. Der richtige Schritt?
Die hohe Inflation, die insbesondere durch die Energiepreise getrieben ist, stellt Haushalte im unteren und mittleren Einkommensbereich vor große Herausforderungen. Entlastungen sind daher geboten. Verschiedene sinnvolle Maßnahmen wurden schon beschlossen. Gerade für Haushalte mit wenig finanziellem Spielraum dürfte das die Verluste ihrer Kaufkraft aber nicht genügend kompensieren. Zusätzliche Maßnahmen sind jetzt richtig. Sie sollten aber zielgerichtet untere und mittlere Einkommen entlasten, und zwar so, dass der Klimaschutz nicht konterkariert wird.
Wie beurteilen Sie da den von Finanzminister Christian Lindner (FDP) durchgesetzten Tankrabatt oder das von den Grünen geforderte Energiegeld für alle?
Ein Tankrabatt entlastet Menschen stärker, die ohnehin höhere Einkommen haben. Man senkt zudem die Preise fossiler Energieträger, aber diese wollen wir ja gerade einsparen. Wir brauchen dringend den Nachfragerückgang, der durch die Preise ausgelöst wird. Wenn es zu einem Lieferstopp von russischem Gas oder Öl kommen sollte, haben wir sonst ernste Probleme. So bitter es ist, der Anreiz, wenig zu verbrauchen, sollte bleiben. Aber man muss die Leute entlasten – etwa durch ein zielgerichtetes Energiegeld für jene mit unterem und mittlerem Einkommen.
Aus der Politik gibt es die Idee, die Milliardengewinne der Mineralölkonzerne auf EU-Ebene einzuziehen. Was halten Sie davon?
Wir erleben gerade eine enorme Unsicherheit an den Märkten, vor allem infolge des Ukraine-Kriegs. Wenn man da abschöpfen will, wie will man denn zwischen den „guten“ und den „schlechten“ sogenannten Kriegsgewinnlern unterscheiden? Erneuerbare-Energien-Anlagen haben in den vergangenen Monaten auch höhere Gewinne erzielt, Digitalkonzerne während der Corona-Pandemie mehr verdient. Ich würde in der aktuellen Phase von derartigen Ad-hoc-Eingriffen absehen, da dies die ohnehin ho-he Unsicherheit noch erhöhen dürfte.
Sollten Hilfen gegenfinanziert werden oder wäre eine höhere Neuverschuldung angemessen?
Die aktuelle Lage in Europa ist angesichts des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine brisant. Die Entwicklungen zwingen uns zu einem schnellen und grundsätzlichen Umdenken, etwa in der Verteidigungs- und der Energiepolitik. Dadurch wird sich auch das wirtschaftliche Umfeld grundlegend ändern. Die Energieversorgung wird langfristig teurer, die öffentlichen Investitionen müssen erheblich steigen. Die Schuldenbremse ist zurzeit noch ausgesetzt. Die Politik sollte den dadurch bestehenden Spielraum nutzen, um gezielt zu entlasten – aber nicht, um Geschenke an die eigene Klientel zu verteilen. Mittelfristig müssen wir uns auf die neue Situation einstellen, denn tragfähige Staatsfinanzen sind für die Bewältigung zukünftiger Krisen von hoher Bedeutung.
Gibt der Energiepreisanstieg einen Vorgeschmack auf die Kosten der Energiewende und kann das den Rückhalt schwinden lassen?
Transformationspfade, bei denen billiges Gas als Übergangstechnologie geplant war, müssen sicherlich noch einmal neu überdacht werden. Das schnellere Hochfahren von erneuerbaren Energien dürfte die zu erwartenden Kostensteigerungen aber sukzessive abfedern. Je schneller wir vorankommen, desto eher setzt dieser Effekt ein. Daher sollte man auf keinen Fall die Transformation zur Klimaneutralität ausbremsen.
Die Fragen stellte Mark Schrörs.