Der Sturz der Regierung wird teuer
Regierungskrise Frankreich
Der Sturz der Regierung wird teuer für Frankreich
Die politische Unsicherheit belastet das Wachstum und lässt die Risikoaufschläge auf französische Staatsanleihen ansteigen
wü Paris
Von Gesche Wüpper, Paris
Für Frankreichs gerade mal drei Monate alte Regierung naht die Stunde der Entscheidung. Die Abgeordneten der Assemblée Nationale sollen am 4. Dezember ab 16 Uhr über die zwei Misstrauensanträge debattieren und abends abstimmen, die Vertreter des Linksbündnisses Nouveau Front Populaire (NFP) und des rechtsextremen Rassemblement National (RN) Montag eingereicht haben. Zusammen kämen NFP und RN auf eine absolute Mehrheit, so dass Premierminister Michel Barnier zurücktreten müsste.
Der Sturz der Regierung würde die Annahme des Budgets der Sozialversicherung und vermutlich auch die des Haushaltsentwurfs für 2025 verhindern. „Es ist das Land, das in Gefahr gebracht wird“, warnte Wirtschaftsminister Antoine Armand gegenüber dem Fernsehsender France 2. „Ein Land ohne Haushalt ist ein Land, das sein Defizit ausweitet, ohne zu investieren“, sagte Haushaltsminister Laurent Saint-Martin dem Radiosender RTL.
Defizitabbau droht, ins Stocken zu geraten
Der Spread zwischen zehnjährigen französischen Staatsanleihen und Bundesanleihen lag am Dienstag bei 85 Basispunkten, nachdem er Montag mit 90 Basispunkten zunächst einen neuen Höchststand erreicht hatte. Einige Beobachter glauben, dass er bis auf 100 Basispunkte steigen könnte, sollte die Regierung tatsächlich stürzen. 100 Basispunkte bedeuteten einen zusätzlichen Zinsaufwand von 30 Mrd. Euro pro Jahr, wenn die gesamten Schulden am Ende von sieben, acht Jahren refinanziert seien, erklärt Ökonom Anthony Morlet-Lavidalie von Rexecode.
Die politische Unsicherheit verunsichert obendrein die Märkte, da der Abbau der hohen Verschuldung und des Defizits ins Stocken zu geraten droht. Der Haushaltsentwurf 2025 sieht eigentlich Anstrengungen über 60 Mrd. Euro vor, um das Haushaltsdefizit von vermutlich 6,2% in diesem Jahr 2025 auf 5% zu drücken. Sollte vor Ende Dezember eine neue Regierung stehen, was Beobachter jedoch für unwahrscheinlich halten, hätte sie verfassungsrechtlich erneut 70 Tage Zeit, um über den Haushalt zu debattieren.
30 Mrd. Euro entgehende Steuereinnahmen
Wenn nicht, könnte die scheidende Regierung weiter die laufenden Geschäfte führen und ein Spezialgesetz verabschieden, um ab dem 1. Januar weiter Steuern erheben zu können. In dem Fall würde der Haushalt 2024 fortgeführt werden. Diese bereits in Spanien seit zwei Jahren beobachtete Situation sei sehr wahrscheinlich, meinen Nathalie Dezeure und Jean-François Robin von Natixis. Basierend auf ihrer Hypothese eines Nominalwachstums des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 2,7% würde sich das Defizit auf 5,3% reduzieren. Allerdings sei wahrscheinlich, dass es 2025 angepasst werde. Auch seien spontane Entwicklungen der Ausgaben nicht in der Berechnung enthalten.
Die im Haushaltsentwurf geplanten Anstrengungen sollen eigentlich etwa je zur Hälfte auf zusätzlichen Steuereinnahmen und Einsparungen beruhen, darunter eine Sondersteuer auf Großkonzerne. Durch den Wegfall der zusätzlichen Steuern und Abgaben würden dem französischen Staat laut Berechnungen der Wirtschaftszeitung „Les Echos“ rund 30 Mrd. Euro entgehen. Da die Renten nicht erst wie vorgesehen im Sommer, sondern bereits im Januar an die Inflation angepasst würden, entgingen dem Fiskus weitere 3 Mrd. Euro.
Unsicherheit bremst Wachstum
Da die im Haushalt festgelegte Bemessungsgrenze für die Einkommensteuer unverändert bliebe, müssten 17 Millionen Haushalte höhere Steuern zahlen, sagte Haushaltsminister Saint-Martin. Das brächte zusätzliche Einnahmen von 4 Mrd. Euro. Da die Ausgaben ebenfalls eingefroren würden, anstatt inflationsbedingt um rund 3% zu steigen, könnte der Staat 15 bis 18 Mrd. Euro sparen, hat Mathieu Plane vom Observatoire français des conjonctures économiques (OFCE) berechnet.
Allerdings dürfte die durch einen Regierungssturz ausgelöste Unsicherheit das Wachstum bremsen, da sie den Konsum der Privathaushalte und Investitionen von Unternehmen belasten dürfte. Die Wirtschaft könnte deshalb nur um 0,5% anstatt der zuvor erwarteten 0,8% wachsen, meint Plane.
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