CursivOECD-Umfrage

Deutsche verlieren das Vertrauen in Politik und Staat

Die Bevormundung und Verhätschelung der Bürger durch die Politik lässt diese am deutschen Staat zweifeln. Auch deshalb kommt die Wirtschaft wohl nicht auf die Beine.

Deutsche verlieren das Vertrauen in Politik und Staat

Deutsche verlieren das Vertrauen in Politik und Staat

Die Bevormundung und Verhätschelung der Bürger durch die Politik lässt sie am Staat zweifeln. Auch deshalb kommt die Wirtschaft nicht auf die Beine.

Von Stephan Lorz, Frankfurt

Die Diagnose ist erschreckend: Nur noch 36% der in Deutschland lebenden Menschen geben an, großes oder vorwiegend großes Vertrauen in die Bundesregierung zu haben. Damit sind die Werte noch schlechter als im Schnitt der Industrieländerorganisation OECD. In Australien, Belgien, Dänemark, Finnland, Irland und selbst Mexiko ist das Vertrauen in die gewählten Volksvertreter deutlich größer, wie eine Umfrage ergeben hat.

Die Ergebnisse sind schon deshalb besorgniserregend, weil sie auch mit Verhaltensänderungen verbunden sind: Bürger wenden sich nicht nur extremen Parteien und dem Populismus zu, der einfache Lösungen verspricht und sich aus der Verteufelung Andersdenkender nährt, sondern sie werden sich auch ökonomisch neu orientieren. Wie sicher ist eigentlich der Euro noch in diesen Zeiten? Dass Gold und Bitcoin immer mehr an Wert gewinnen, wird auch durch diese Ängste gespeist. Und kann man noch investieren, wenn das Vertrauen in die Problemlösungskompetenz der Politik kaputtgeht? Oder man wirtschaftlich keine Besserung erwartet?

Der enorme Ansehensverlust der Ampelparteien in jüngster Zeit dürfte die deutschen Vertrauenswerte noch weiter ins Negative getrieben haben. Denn die OECD-Umfrage wurde bereits 2023 durchgeführt, konnte aber wegen der breiten Länderbasis erst jetzt vorgestellt werden. Die schlechte Performance der deutschen Politik hat indes schon lange vorher begonnen, wie auch andere Umfragen mit Blick auf Parteienpräferenzen etwa der Bertelsmann-Stiftung zeigen.

Maßgeblich zum Vertrauensschwund beigetragen hat offenbar auch der Umgang der Politik mit dem Bürger, und damit auch Wähler. Das ist auch im aktuellen Bundestagswahlkampf wieder zu beobachten: Manche Wahrheiten (Finanzierung der Wahlversprechen, demografische Lage der Sozialversicherungen und deren Folgen) werden verschwiegen, andere einfach nicht angesprochen. Stattdessen setzt man auf Wahlgeschenke (Steuersenkung, Subventionen, soziale Wohltaten), und debattiert mit Engagement über Nebensächlichkeiten.

Das hat auch etwas mit dem Politikstil der Merkel-Ära zu tun, der sich vor allem in einer Bevormundung und Verhätschelung der Bürger erschöpfte: Externe Schocks (Corona, Ukraine-Krieg) wurden mit Geld mehr als abgefedert, für die Zukunft notwendige Reformen unterblieben wegen möglicher Härten. Die politische Kommunikation beschränkte sich auf Beschwichtigung, Subventionsverteilung und der Vernebelung von Wahrheiten.

Doch den meisten Bürger ist längst klar, dass dies nicht nachhaltig ist, weil dringende Entscheidungen (Verteidigung, Infrastruktur, Sozialsysteme) nur verschoben werden. Das zeigt auch die OECD-Umfrage ganz deutlich. Die Menschen in Deutschland haben mehr als anderswo das Gefühl, dass ihnen im derzeitigen System kein Mitspracherecht eingeräumt wird, sie nicht ernst genommen werden. Auch von Behörden fühlen sie sich im Stich gelassen: Nur eine Minderheit geht davon aus, dass sich nach Beschwerden tatsächlich etwas ändert. Sie zweifeln zudem, dass die deutsche Politik faktenbasiert ihre Entscheidungen trifft. Eine klare Misstrauensbekundung!

Dass angesichts dessen nun auch noch das Wahlsystem just zur anstehenden Bundestagswahl geändert wird, dürfte für zusätzlichen Vertrauensschwund sorgen. Denn manche Erststimmen für Kandidaten können diesmal verfallen, weil einige trotz Wahlsieg nicht in den Bundestag einrücken dürfen. Das wird Spuren in der nächsten Umfrage hinterlassen.

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