ExklusivKonjunkturtableau

Deutsche Wirtschaft kommt nur schwer in Fahrt

Das überraschend gute Abschneiden der deutschen Wirtschaft zum Jahresstart ist kein Selbstläufer − nur die Ausgangsbasis ist besser geworden. Große Sprünge sind in diesem Jahr noch nicht zu erwarten, wie das Konjunkturtableau zeigt. Dabei wäre mehr drin, sollte die Fachkräftelücke geschlossen werden können.

Deutsche Wirtschaft kommt nur schwer in Fahrt

Wirtschaft kommt nur schwer in Fahrt

Rezession in Deutschland ist im Konjunkturtableau kein Thema mehr − Inflation stabilisiert sich

Das überraschend gute Abschneiden der deutschen Wirtschaft zum Jahresstart ist kein Selbstläufer − nur die Ausgangsbasis ist besser geworden. Große Sprünge sind in diesem Jahr noch nicht zu erwarten, wie das Konjunkturtableau zeigt. Dabei wäre mehr drin, sollte die Fachkräftelücke geschlossen werden können.

Von Alexandra Baude, Frankfurt

Die Aussichten für die deutsche Wirtschaft sind zwar alles andere als rosig, Ökonomen zeigen sich nach den Wachstumsdaten für das erste Quartal allerdings wieder etwas zuversichtlicher. Im aktuellen Konjunkturtableau der Börsen-Zeitung und des Leibniz-Zentrums für europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) spiegeln sich jüngste Prognoseerhöhungen zwar noch nicht wider, das dürfte sich aber im kommenden Monat ändern. Mittelfristig gilt weiter, dass der Fachkräftemangel ebenso wie Überbürokratisierung, schleppende Digitalisierung und die aktuelle Wirtschaftspolitik der Ampel-Regierung das Wachstum bremsen.

Ausgangsbasis verbessert

Für Hoffnung sorgen einige der jüngst veröffentlichten Konjunkturindikatoren, allen voran das Bruttoinlandsprodukt (BIP). Dieses ist im Startabschnitt entgegen den Befürchtungen nicht gesunken, sondern um 0,2% gestiegen. Auch wenn die Entwicklung zum Jahresende 2023 mit −0,5% schwächer als zuvor ermittelt ausgefallen ist, ergibt sich für das laufende Jahr eine bessere Ausgangsbasis. „Die Gefahr einer anhaltenden Rezession scheint somit fürs Erste gebannt“, kommentiert ZEW-Experte Alexander Glas. Die Medianprognose von 0,1% für 2024 im Konjunkturtableau ist zwar unverändert zur Voraussage im April, die Spannbreite hat sich aber um 0,1 Prozentpunkte auf 1,2 Prozentpunkte eingeengt. Dabei ist laut Glas zu beachten, dass die Mehrheit der Experten ihre Wachstumsprognosen, die das ZEW sammelt und zu einer Medianprognose zusammenfasst, zum Zeitpunkt der BIP-Bekanntgabe bereits veröffentlicht hatte.

Destatis-Hinweise sorgen für Zuversicht

Für Zuversicht sorgt zudem der Fingerzeig des Statistischen Bundesamts (Destatis) bei der BIP-Schnellmeldung, dass das Wachstum vor allem von höheren Exporten und dem gestiegenen Privatkonsum getragen wurde. Die Erwartung, dass der Konsum der privaten Haushalte in diesem Jahr mit steigenden Löhnen bei zugleich weiter rückläufiger Inflation wieder anspringt, scheint sich also zu erfüllen − trotz des immer noch niedrigen Niveaus des Konsumklimas. Und auch die Unternehmen werden zuversichtlicher, wie etwa das Ifo-Geschäftsklima zeigt. Nicht nur, dass das wichtigste Frühbarometer für die hiesige Wirtschaft mit dem dritten Anstieg in Folge üblicherweise einen Wendepunkt signalisiert: Auch der Sechsmonatsschnitt hat nach oben gedreht, was sich in der Vergangenheit als noch treffenderes Anzeichen erwiesen hat, wie Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer betont. Er erwartet mittlerweile statt eines Schrumpfens des BIP um 0,3% eine Stagnation. Etwas zuversichtlicher zeigen sich die Ökonomen der Deutschen Bank, die ihre Voraussage auf +0,3% erhöht haben, ebenso wie die Bundesregierung − die zuletzt +0,2% auf dem Zettel hatte.

Es wäre mehr drin

Allerdings könnte das Wachstum durchaus auch höher ausfallen, hat das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) errechnet. Könnten Unternehmen den Fachkräftemangel von derzeit etwa 573.000 Personen decken, würde das deutsche Produktionspotenzial in diesem Jahr um 1,1% oder 49 Mrd. Euro höher liegen, heißt es beim IW. Bis zum Jahr 2027 könnten es 74 Mrd. Euro sein. Wobei „Folgekosten des Fachkräftemangels, wie beispielsweise Stress durch Mehrarbeit oder entgangene Innovationen“ in dieser Summe noch gar nicht enthalten sind, wie die Forscher betonen.

Anreize für Mehrarbeit gefordert

Die größten Stellschrauben, um den Fachkräftemangel zu mindern und das Produktionspotenzial zu erhöhen, ist etwa mehr qualifizierten Zuwanderung − beispielsweise über die neue Anerkennungspartnerschaft des überarbeiteten Fachkräfteeinwanderungsgesetzes. Auch sollte Frauen mehr Arbeit durch mehr qualitativ hochwertige Kinderbetreuungsangebote ermöglicht werden. „Besonders effektiv wäre es außerdem, wenn ältere Beschäftigte länger arbeiten würden“, sagt Studienautor Alexander Burstedde: „Unternehmen könnten ihre erfahrenen Mitarbeiter mit passenden Angeboten länger im Betrieb halten.“

Auch Handwerkspräsident Jörg Dittrich fordert, mehr Anreize für Mehrarbeit zu setzen. Denn „Mehrarbeit lohnt sich für viele nicht, solange Steuern und Abgaben so hoch sind wie jetzt“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Ein Plädoyer für steuerfreie Überstunden, wie derzeit gleichfalls diskutiert wird, will er aber nicht halten. Zu groß sei die Gefahr, dass Arbeitnehmer von Voll- auf Teilzeit umstiegen und dann die zusätzlichen, steuerbefreiten Überstunden und die Zuschläge, die es dafür teilweise gebe, erhielten. Sinnvoller sei es, „sich die Einkommensteuerkurve oder steuerfreie Hinzuverdienstmöglichkeiten vorzunehmen“.

Weitere Fortschritte bei der Inflation

Das Konjunkturtableau zeigt zudem, dass Deutschland in diesem Jahr noch der Bremsklotz für den Euroraum bleiben wird. An den Wachstumsprognosen von 0,7% und 1,5% in diesem und im nächsten Jahr halten die Experten fest, auch wenn sich das BIP im gemeinsamen Währungsraum ebenfalls besser als erwartet entwickelt hat. Die Inflationsraten in Deutschland und im Eurogebiet scheinen sich indes zunehmend auf niedrigem Niveau zu stabilisieren, wie die geringen Änderungen bei den In­flationserwartungen zeigten, erklärt Glas. Die Inflationsraten auf Sicht des gesamten Jahres 2024 von 2,5% für Deutschland bzw. 2,4% für das Eurogebiet liegen 0,1 Prozentpunkte unter den Werten des April-Tableaus und recht nahe an den aktuellen Teuerungsraten von 2,2% für Deutschland und 2,4% für das Eurogebiet.

Mehrere Zinsschritte erwartet

Die größten Änderungen im Konjunkturtableau gab es Glas zufolge bei den geldpolitischen Erwartungen. So sanken die Erwartungen an die kurzfristigen Zinsen gegenüber April um 0,4 Prozentpunkte auf 3,3 Punkte. „Somit scheinen die Experten von mehreren Zinsschritten noch im aktuellen Jahr auszugehen“,
erklärt Glas. Für das kommende Jahr würden weitere Zinssenkungen prog­nostiziert, die entsprechende Erwartungskomponente liegt bei unverändert 2,7 Punkten.

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