Deutschland rutscht in Rezession
ba Frankfurt
Die Stimmungslage der deutschen Wirtschaft ist zum Ende des dritten Quartals so trübe wie zuletzt während des Höhepunkts der ersten Coronawelle im Mai 2020. Angesichts der Bremsspuren, die die rekordhohe Inflation, die Sorgen um Verfügbarkeit und Preis von Energie sowie der Lieferkettenstress allenthalben hinterlassen, war ein Abrutschen des Ifo-Geschäftsklimas erwartet worden – der Rückgang um 4,3 auf 84,3 Punkte fiel dann aber doch kräftiger aus als von Ökonomen erwartet. Diese hatten im Schnitt einen Wert von 87,0 Zählern auf dem Zettel und äußerten sich dementsprechend pessimistisch.
„Die deutsche Wirtschaft rutscht in eine Rezession“, kommentierte Ifo-Präsident Clemens Fuest das Ergebnis der monatlichen Umfrage unter 9000 Unternehmen. Der Stimmungsrückgang ziehe sich durch alle vier Wirtschaftsbereiche, die aktuelle Lage sei schlechter als im Vormonat beurteilt worden und der Pessimismus mit Blick auf die kommenden Monate habe deutlich zugenommen, erklärte Fuest (siehe Grafik).
Das wichtigste Frühbarometer für die hiesige Wirtschaft „signalisiert für das Winterhalbjahr mehr denn je eine Rezession“, sagte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Der Energiepreisschock lasse die Kaufkraft der Konsumenten einbrechen und mache die Produktion vieler Unternehmen unrentabel. Laut Daten des Statistischen Bundesamts (Destatis) hätten energieintensive Unternehmen ihre Produktion seit Februar bereits um 7% reduziert. Diese blicken denn auch „äußerst pessimistisch auf den Winter“, wie Ifo-Experte Klaus Wohlrabe im Reuters-Interview erklärte. Der Geschäftsklimaindex für das verarbeitende Gewerbe ist um 7,4 auf −14,2 Punkte gefallen. Zudem war der Auftragsbestand weiter rückläufig und der Lieferkettenstress hat sich wieder etwas verschärft: Zwei Drittel der Unternehmen klagten über Engpässe, das sind Wohlrabe zufolge 4 Prozentpunkte mehr als noch im August – als der Wert mit 62% allerdings in diesem Jahr am niedrigsten war.
Rekordtief im Einzelhandel
Regelrecht abgestürzt ist das Geschäftsklima bei den Dienstleistern, und zwar um 10,3 auf −8,9 Punkte. „Insbesondere das Gastgewerbe befürchtet schwere Zeiten“, erklärte Ifo-Chef Fuest. Hier schlägt neben dem Auslaufen des Nachholeffektes nach Ende der Corona-Restriktionen insbesondere die Inflation zu Buche: Nach 7,9% im August dürfte Destatis am Donnerstag eine zweistellige Rate für September vorlegen. Entspannung sieht auch Wohlrabe nicht so schnell: „Die Preiserwartungen sind wieder gestiegen, mehr als jedes zweite Unternehmen hat Preiserhöhungen angekündigt“, betonte der Ifo-Experte. Wegen des immensen Preisdrucks hat die Europäische Zentralbank (EZB) zuletzt einen Zinssprung von 75 Basispunkten hingelegt. Ökonomen erwarten weitere Zinserhöhungen bei den kommenden Ratssitzungen.
Die Teuerung macht aber auch dem Einzelhandel kräftig zu schaffen: Hier fielen „die Erwartungen sogar auf ein historisches Tief“, erklärte Ifo-Präsident Fuest. Im Handel insgesamt verschlechterte sich das Geschäftsklima erneut – um 6,5 auf −32,3 Punkte, wobei das Lagebarometer erstmals seit Februar 2021 wieder in den negativen Bereich rutschte. Im Baugewerbe trübte sich das Geschäftsklima gleichfalls ein weiteres Mal ein, und zwar um 6,8 auf −21,6 Zähler. Die Baubranche hat mit Stornierungen, Auftragseinbrüchen und Umsatzrückgängen zu kämpfen – einer Ifo-Umfrage zufolge wurden seit April „auffällig viele Projekte gestrichen“.
Für etwas konjunkturelle Zuversicht sorgt, dass die Gasspeicher zu etwa 90% gefüllt sind. „Bei einem außergewöhnlich kalten Winter oder unzureichenden Energiesparerfolgen im Haushaltsektor stünde es gleichwohl Spitz auf Knopf“, mahnte KfW-Chefvolkswirtin Fritzi Köhler-Geib. Da der Fokus der deutschen und europäischen Politik darauf liege, „die explodierenden Preise für Gas und Strom einzuhegen oder die wirtschaftlichen Folgen für die Unternehmen und die privaten Haushalte abzufedern“, wäre DWS-Europa-Chefvolkswirt Martin Moryson nicht überrascht, wenn sich in den kommenden Monaten die Lage nicht so stark verschlechtere, wie das Ifo-Teilbarometer nahelege. LBBW-Ökonom Jens-Oliver Niklasch forderte, dass „jetzt zumindest eine gewisse Obergrenze der Gesamtlast“ in Sachen Energie erkennbar werde.