Neuer Stabilitätspakt

Berlin hat sich in EU-Finanzklemme manövriert

Deutschland erwägt eine längere Frist zur Erfüllung der EU-Fiskalregeln, um sein Ausgabenwachstum nicht so stark drosseln zu müssen. Dafür muss Berlin der EU-Kommission Strukturreformen präsentieren.

Berlin hat sich in EU-Finanzklemme manövriert

Berlin hat sich in Finanzklemme manövriert

Regierung bittet EU um Fristverlängerung – Budgetreformen als Voraussetzung

wf Berlin

Deutschland will die Anpassungsperiode für seine Staatsfinanzen strecken, um die Vorgaben des reformierten EU-Stabilitäts- und Wachstumspakts zu erfüllen. Anstelle von vier Jahren würde eine Frist von sieben Jahren angesteuert, um die Schuldentragfähigkeit wieder einzuhalten. Diese längere Frist kann aber nur genutzt werden, wenn damit auch Strukturreformen verbunden sind. Dies werde Deutschland mit der Kommission in Brüssel diskutieren, wurde aus Kreisen des Bundesfinanzministeriums in Berlin bekannt.

Deutschland hat zunächst in Brüssel die Verlängerung des Abgabetermins für den sogenannten mittelfristigen Finanzpolitisch-strukturellen Plan (FSP) beantragt. Ursprünglich wollte das Bundeskabinett den deutschen Haushaltsplan für 2025 (Draft Budgetary Plan/DBP) an diesem Mittwoch verabschieden. Bis Mitte Oktober müssen die Pläne abgeliefert werden. Deswegen war bereits der Termin für den Stabilitätsrat von Bund und Ländern zur Kontrolle der gesamtstaatlichen Finanzen am Freitag kurzfristig abgeblasen worden.

Die reformierten EU-Fiskalregeln werden nun erstmals angewandt und gelten für 2025 und Folgejahre. Sie basieren im Kern auf einer Schuldentragfähigkeitsanalyse für die Mitgliedstaaten. Daraus werden individuelle Nettoausgabenpfade abgeleitet. Die EU-Kommission hatte im Juni den Ländern ihre Referenzpfade für die Ausgaben genannt. Nach der schwachen Herbstprojektion der Bundesregierung steigen die Nettoprimärausgaben in Deutschland 2024 aber mit einem Plus von 3,8% deutlich stärker als im Frühsommer noch mit 2,6% erwartet. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat für dieses Jahr einen Nachtragshaushalt vorgelegt.

Der Wissenschaftliche Beirat zum Stabilitätsrat hatte am Freitag gefordert, die höheren Ausgaben 2024, das als Basisjahr gilt, der Berechnung zugrunde zu legen. Andernfalls würden Ausgaben und Schulden im Anpassungszeitraum auf überhöhtem Niveau „fliegen“. Dem will die Bundesregierung nun folgen. Deutschland als Stabilitätsanker müsse das europäische Regelwerk „konsistent und konsequent“ umsetzen, hieß es aus dem Bundesfinanzministerium. Dafür müsste das Ausgabenwachstum aber stärker gedrosselt werden als geplant – und deutlich stärker, als es die deutsche Schuldenbremse fordert.

Offen ist, welche Strukturreformen Berlin anbieten kann. Ob die Wachstumsinitiative der Ampel ausreicht? Die Reformen müssen jedenfalls geeignet sein, das Produktionspotenzial zu steigern und demografische Kosten zu adressieren. Diese zusätzlichen Reform- und Investitionsanstrengungen müssen die Tragfähigkeit der Staatsfinanzen verbessern.


Kommentar: Ein verheerendes Signal

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