100 Tage Ampel

Die Bundesregierung steht vor einer neuen Agenda

Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine steht die Ampel vor unerwarteten, neuen Aufgaben. Verteidigung und Versorgungssicherheit haben sogar die Corona-Sorgen verdrängt.

Die Bundesregierung steht vor einer neuen Agenda

Von Angela Wefers, Berlin

Nach 100 Tagen im Amt ist für die neue Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP wenig übrig geblieben von den hochfliegenden Plänen, mit denen sie Anfang Dezember 2021 gestartet ist. Der Krieg in der Ukraine hat die Welt nach den Worten von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in eine Zeitenwende gebracht. Die Hoffnungen waren groß, in diesem Frühjahr die Corona-Pandemie auch mit ihren wirtschaftlich dämpfenden Folgen zu überwinden und wieder in einen Aufschwung zu kommen. Das ist vorbei.

Die Grünen wollten in der Regierung die Klimawende forcieren und endlich umsetzen, was bislang ihrer Meinung nach verschlafen wurde. Die FDP träumte von einem schlanken Staat, beschleunigter Digitalisierung und davon, den Lorbeer für die Rückkehr zu soliden Staatsfinanzen zu gewinnen. Die Schuldenbremse soll schon im kommenden Jahr wieder eingehalten werden. Die SPD war mit dem Sozialversprechen in den Wahlkampf gezogen, den Mindestlohn auf 12 Euro zu erhöhen. Gerechte Löhne und ein besseres Leben für Geringverdiener sind ihr verteilungspolitisches Anliegen.

Nun ist die Ampel mit ganz anderen Anforderungen konfrontiert. Die Koalitionspartner ringen darum, die drastischen Preissteigerungen bei Energie für die unteren Einkommensschichten erträglicher zu machen. Innenpolitisch müssen sie den sozialen Frieden wahren, um außenpolitisch Härte zeigen zu können. Die Mehrheit der Deutschen ist zwar für den Boykott von russischem Öl und Gas, will aber am Ende sicher nicht im nächsten Winter frieren. Schon die aktuellen Preissteigerungen reißen ein empfindliches Loch in manche nicht so gut bestückte Kasse von Bürgern und Unternehmen. Dem ersten Entlastungspaket, mit dem die Ampel-Regierung die Einkommensteuer senkt und einen Heizkostenzuschuss für einen begrenzten Kreis Bedürftiger finanziert, soll nun bald ein zweites folgen. Es soll die Folgen des scharfen Sanktionspakets abfedern, das die westlichen Staaten gegen den Aggressor Russland verhängt haben.

Neue Sicherheitslage

Die neue Sicherheitslage an der Nato-Grenze fordert die vielen Pazifisten in der SPD und bei den Grünen stark heraus. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verkündete an einem Sonntag im Bundestag zur allgemeinen Überraschung eine Finanzspritze von 100 Mrd. Euro für die Bundeswehr. Damit kann Deutschland die Nato-Verpflichtungen erfüllen, 2% des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben. Oft genug hatte sich die alte Bundesregierung vom früheren US-Präsidenten Donald Trump als nicht bündnistreu beschimpfen lassen müssen. Eine Steigerung des Verteidigungshaushalts um rund 50% durchzusetzen wäre aber als absurd angesehen worden. Nun vollzieht dies eine Regierung mit einem Sozialdemokraten an der Spitze und mit einem Finanzminister der FDP. Die Grünen handelten im Zuge dessen gleich mehr Geld für die Energiewende heraus.

Bundesschulden explodieren

In die Debatte über den ersten Haushalt der Regierung startet Finanzminister Christian Lindner mit dem Doppelten an neuen Schulden, die noch die alte schwarz-rote Koalition im dritten Corona-Ausnahme-Haushalt für 2022 in der Planung hatte. Nahezu 200 Mrd. Euro stehen schon jetzt in der Haushaltsplanung und haben das Kabinett passiert – 99,7 Mrd. Euro für den Kernhaushalt und 100 Mrd. Euro für das Sondervermögen Bundeswehr. Nicht vergessen werden sollte, dass die Ampel sich quasi als erste Amtshandlung bereits 60 Mrd. Euro an Kreditermächtigungen für die Energiewende gesichert hatte, die noch auf 2021 verbucht wurden.

Voraussichtlich dürften die bislang anvisierten knapp 200 Mrd. Euro nicht reichen. Die Kriegskosten in Form staatlicher Ausgaben für Energiesicherheit, zur Aufrechterhaltung von Lieferketten, zur Stützung von Sanktionsfolgen für heimische Unternehmen, für soziale Abfederung, Geflüchtete und womöglich Steuerausfälle als Folge eines Wirtschaftseinbruchs sind in der bisherigen Planung nicht enthalten. Die Ampel hat schon jetzt einen Ergänzungshaushalt angekündigt, den sie im laufenden Haushaltsverfahren bis Juni nachschieben will. Die Frühjahrskonjunkturprognose der Regierung und die Steuerschätzung Mitte Mai werden mehr Licht in den Finanzstatus bringen. Lindner hat gute Chancen, als Finanzminister mit der höchsten Neuverschuldung in die Geschichte des Bundeshaushalts einzugehen. Da hilft es auch wenig, die Verschuldung im Kernhaushalt kommunikativ vom Sondervermögen zu trennen, damit die Zahlen nicht ganz so misslich aussehen.

In der neuen Lage haben die drei Ampel-Parteien gemessen an ihren politischen Grundsätzen bislang große Anpassungsfähigkeit gezeigt. Den Grünen ist es sogar gelungen, die Abkehr von fossilen Brennstoffen als Reaktion auf die Abhängigkeit von russischer Energie für sich zum Positiven zu wenden. Die Ampel-Politiker bekommen somit gute Noten von der Bevölkerung. Der Opposition – besonders der Union – lassen sie wenig Platz, um sich zu profilieren.

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