Transatlantik-Expertin

„Die Musik spielt letztlich auch im US-Kongress“

Bei der Europareise von US-Präsident Joe Biden geht es vor allem um die Wiederherstellung von beschädigtem Vertrauen, sagt die Transatlantik-Expertin Stormy-Annika Mildner.

„Die Musik spielt letztlich auch im US-Kongress“

Stefan Paravicini.

Frau Mildner, teilen Sie die hohen Erwartungen an die Europareise von US-Präsident Joe Biden?

Ja, meine Erwartungen – oder sagen wir Hoffnungen – sind ebenfalls hoch. In den Gesprächen im Rahmen der G7, bei der Nato und mit der EU wird es viel darum gehen, wieder eine Atmosphäre des Verständnisses und des Vertrauens herzustellen, die in den vergangenen vier Jahren beschädigt wurde. Die vielen Konflikte im transatlantischen Verhältnis wird man aber nicht alle im Rahmen von Bidens Europareise beilegen können.

Biden will unter anderem über internationale Lieferketten sprechen. Bietet das Chancen für verstärkte Zusammenarbeit?

Es ist wichtig, dass wir uns mit den Stresspunkten in den Lieferketten auseinandersetzen. Die USA haben so einen Stresstest gerade gemacht und die Ergebnisse gestern vorgelegt. Das ist ein Thema, das auch die G7 intensiv beschäftigt, gerade mit Blick auf Halbleiter, Seltene Erden und Gesundheitsprodukte – ein mögliches Feld für Kooperation. Auf der anderen Seite lauern aber auch Konflikte, weil der erste Impuls immer noch ist, die Produktion zu relokalisieren. Das hat Biden in der Executive Order zur Untersuchung der Lieferketten angedeutet. Das ist eine Form von Protektionismus, die zu neuen Konflikten führen würde.

Die EU schlägt einen Trade & Technology Council vor. Gibt es hier Aussicht auf Kooperation?

Eine Technologiekooperation ist ein Muss. Für den technologischen Wandel durch die Digitalisierung müssen interoperable Standards entwickelt werden. Das ist auch ein wichtiges Thema im Hinblick auf China, das immer stärker in den relevanten Technologien unterwegs ist und eigene Standards entwickelt. Wir sehen schon jetzt, dass sich die Märkte stark auseinanderentwickeln, sei es beim autonomen Fahren, in der Satellitentechnik oder in der Biotechnologie. Weitere Themen sind Datenschutz und Datentransfer oder auch der Umgang mit Cyberrisiken.

Wie sehen Sie die Chance für einen gemeinsamen „Klimaclub“?

Grundsätzlich sind Klimathemen und Biodiversität große Kooperationsfelder. Das sieht man auch an den Fortschritten auf Ebene der G7-Finanzminister. Da hat die Biden-Administration einen großen Schritt in Richtung EU gemacht. Mit Blick auf eine Carbon Border Tax hat die US-Administration­ ebenfalls große Offenheit gezeigt. Hier kommt aber auch der US-Kongress ins Spiel, der so eine Maßnahme wahrscheinlich ratifizieren müsste. Unter den US-Re­publikanern findet ein Border Adjustment Mechanism aber wenig Zuspruch, um es ganz diplomatisch zu formulieren.

Haben die Europäer aus den vergangenen vier Jahren eigentlich die richtigen Lehren gezogen?

Eine Konsequenz aus dieser Erfahrung muss sein, uns so aufzustellen, dass wir handlungsfähig sind. Denn wir sprechen in der EU immer noch mit vielen Stimmen. Ein zweite Lehre ist, dass die Exekutive zwar sehr wichtig ist für die US-Außenpolitik und die Außenhandelsbeziehungen, die Musik letztlich aber auch im US-Kongress­ spielt. Die Beziehungen zwischen den Parlamenten müssen deshalb gestärkt werden. Das gilt auch für die Verbindungen zu den US-Bundesstaaten. Großen Handlungsbedarf sehe ich vor allem in den Beziehungen zu den ländlichen Regionen. Da haben wir ja auch eigene Strukturprobleme. Wir brauchen einen transatlantischen Dialog für die Landwirtschaft.

Das Interview führte