Im Interview:Dietmar Hornung, Moody's

„Die Peripherie triumphiert, Europas Kernländer bereiten Sorgen“

Europas Mitte muss wieder zum Kraftzentrum werden, mahnt Moody's-Länderanalyst Dietmar Hornung mit Blick auf Deutschland und Frankreich. Er fordert einen stärkeren Fokus auf Wachstum und warnt vor einem Handelskonflikt mit den USA. Weitere Bonitätsverluste sind zunächst aber nicht zu erwarten.

„Die Peripherie triumphiert, Europas Kernländer bereiten Sorgen“

Im Interview: Dietmar Hornung

„Europas Kernländer bereiten Sorgen“

Moody's-Länderanalyst: Lockerung der Schuldenbremse für sich genommen kein Risiko für Deutschlands Top-Bonität

Europas Mitte muss wieder zum Kraftzentrum werden, mahnt Moody‘s-Länderanalyst Dietmar Hornung mit Blick auf Deutschland und Frankreich. Er fordert einen stärkeren Fokus auf Wachstum. Weitere Bonitätsverluste zunächst nicht zu erwarten.

Herr Hornung, mit Blick auf die Bonität sehe ich in Europa zwei Sorgenkinder: Frankreichs Verschuldung geht rapide nach oben, und Deutschland debattiert über die Abkehr von der restriktiven Haushaltspolitik. Wie beurteilen Sie das unter Ratinggesichtspunkten?

Frankreich und Deutschland stehen in der Tat im Fokus. Dessen ungeachtet ist in Teilen Europas die Entwicklung aber durchaus positiv. Wir haben in den Fällen Kroatien und Zypern zuletzt Hochstufungen vorgenommen. Auch die Stabilität von Portugal und Irland hat sich verbessert. Selbst für Griechenland liegt ein Investmentgrade-Rating 2025 wieder im Bereich des Möglichen. Viele Ökonomen hielten das nach der Eurokrise für ein Ding der Unmöglichkeit. Das Beispiel zeigt: Ja, es ist möglich, sich aus einer scheinbar aussichtslosen Haushaltssituation zu befreien.

Und anderswo?

Italien steht auf dem gegenwärtigen Ratinglevel durchaus stabil da. Regierungschefin Meloni sorgt politisch, wirtschaftlich und fiskalisch für eine gewisse Stabilität, die sich unterstützend für das Baa3-Rating auswirkt. Kurz: Während sich Teile der Peripherie gut entwickeln, bereiten einige der Kernländer Sorgen. Und hier stehen in der Tat Frankreich und Deutschland auf ihren jeweiligen Ratings im Fokus.

Dietmar Hornung ist seit 2007 bei der Ratingagentur Moody's und auf die Beurteilung der Staatenbonitäten in Europa fokussiert. Zuvor war er bei der DekaBank in Frankfurt. Er studierte an der Universität Kiel, dann in Miami und in Tübingen; an der Otto-von-Guericke Universität in Magdeburg wurde er promoviert.

Und wo steht Frankreich?

Frankreich steht jetzt nach der Herabstufung auf Aa3 (von Aa2) stabil da; auf dem gleichen Niveau wie Großbritannien und Belgien. Auf dem neuen Ratinglevel halten wir die wirtschaftliche Stärke und die systemische Wichtigkeit von Frankreich für so groß, dass die herrschenden Risiken – vor allem im fiskalischen Bereich – im Moment ausgeglichen werden. Das Aa3-Rating hat einen stabilen Ausblick.

Es gibt keine magischen Zahlen!

Aber die Verschuldung nimmt ja weiter zu. Wann kommt der Kipppunkt?

Was die Verschuldung angeht, gibt es keine magischen Zahlen. Die Beurteilung ist umfassender. Wir haben vier grundlegende Ratingfaktoren: wirtschaftliche Stärke, institutionelle Stärke, fiskalische Stärke und Ereignisrisiken. Bei den Ereignisrisiken blicken wir auf die Politik, die Liquidität, das Bankensystem und die Außenwirtschaft. Die französische Schwäche liegt in der fiskalischen Säule, die deutsche in der wirtschaftlichen Säule. Allerdings: Insgesamt hat Deutschland nach wie vor die Top-Note Aaa, in der Eurozone zusammen mit Luxemburg und den Niederlanden.

Wie hoch muss die Schuldenquote steigen, damit es zu einer Bonitätsveränderung kommt?

Entscheidend ist die Gesamtbetrachtung. Hier kommt im Falle der Eurozone noch hinzu, dass Länder, die größeren Einfluss auf die Reservewährung Euro haben, wie etwa Deutschland und Frankreich, daraus einen Vorteil ziehen: Der Schuldenstand hat hier in unserer Analyse weniger Gewicht als die Schuldentragfähigkeit, gemessen durch die Zinszahlungen relativ zu den Staatseinnahmen.

Europa zeigt sich im Moment recht anfällig im Hinblick auf einen drohenden Handelskrieg.

Wie groß schätzen Sie denn die Bonitätsrisiken aus der Handelspolitik ein nach den Zolldrohungen des neuen US-Präsidenten Donald Trump?

Die Bedrohung durch einen Handelskrieg sind evident. Und Europa zeigt sich im Moment diesbezüglich recht anfällig, zumal Frankreich und Deutschland aufgrund innenpolitischer Entwicklungen als politischer und wirtschaftlicher Motor lahmen. Inwieweit wirtschaftliche Risiken in fiskalische Risiken umschlagen werden, bleibt abzuwarten.

Deutschlands Stärken liegen eher im Bereich der „Sunset-Industrien“, die von älteren Technologien dominiert werden, und ist eher schwach aufgestellt in den „Sunrise-Industrien“, den strategisch wichtigen Zukunftstechnologien. Das bereitet Sorgen.

Neue Technologien wie Künstliche Intelligenz führen oftmals zu disruptiven Prozessen in Volkswirtschaften und können die Wettbewerbsposition ganzer Länder schnell verändern. Was bedeutet das im Falle Deutschland?

Die KI birgt Risiken, mit der KI sind aber auch Hoffnungen verbunden. Dazu gehört ein positiver Einfluss auf die Produktivität. Allerdings liegen Deutschlands Stärken eher im Bereich der „Sunset-Industrien“, die von älteren Technologien dominiert werden, und ist eher schwach aufgestellt in den „Sunrise-Industrien“, den strategisch wichtigen Zukunftstechnologien wie IT inklusive KI und Big Data. Das bereitet aus wirtschaftlicher Sicht Sorgen.

In welcher Hinsicht?

Das Wachstum in den Zukunftsindustrien ist höher. Hinzukommt, dass bei einem möglichen Handelskrieg Zölle auf Autos, den Maschinenbau oder die Chemie für Deutschland und Europa besonders schmerzhaft wären. Umgekehrt erscheinen Gegenzölle auf Technologieprodukte aus den USA wenig zielführend, da diese Technologieprodukte als Inputs benötigt werden, und es oft keine gleichwertigen europäischen Substitute gibt.

Deutschland krankt im Moment weniger an einer Erosion seiner fiskalischen Säule als an der Anämie seiner wirtschaftlichen Stärke.

In Deutschland wird aktuell heftig über die Schuldenbremse debattiert. Braucht es eine Lockerung?

Deutschland krankt im Moment weniger an einer Erosion seiner fiskalischen Säule als an der Anämie seiner wirtschaftlichen Stärke. Und letztere liegt auch daran, dass Entscheidungen oft zuungunsten von Investitionen getroffenen wurden, wenn es darum geht, begrenzte Finanzmittel zu verteilen. Öffentliche Investitionen in Infrastruktur, Forschung und Entwicklung sowie Ausbildung sind positiv für Wachstum und Produktivität. Und damit auch für die Bonität eines Landes.

Der Vorschlag der Bundesbank könnte in der Tat zu mehr öffentlichen Investitionen führen, ohne dass die mittel- bis langfristige fiskalische Disziplin leiden würde.

Fände eine Lockerung also Ihre Zustimmung?

Der Königsweg wäre, die Ausgaben umzuschichten – weg von den konsumtiven hin zu investiven Ausgaben. Wenn eine Lockerung zu mehr öffentlichen Investitionen führt, ohne dass die mittel- bis langfristige fiskalische Disziplin leidet, so kann sie aus wirtschaftlicher Sicht Sinn machen.

Was halten Sie vom Vorschlag der Bundesbank einer sanften Lockerung?

Der Vorschlag der Bundesbank könnte in der Tat zu mehr öffentlichen Investitionen führen, ohne dass die mittel- bis langfristige fiskalische Disziplin leiden würde.

Das Interview führte Stephan Lorz.

Das Interview führte Stephan Lorz.


Das Interview ist Teil einer aktualisierten Zusammenstellung der Bonitäten von Staaten weltweit. Unter https://daten.boersen-zeitung.de/laenderratings finden Sie die regelmäßig aktualisierte Länderrating-Tabelle.

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