GastkommentarAgustín Carstens

Die Zentralbanken haben ihren Beitrag geleistet, jetzt müssen andere aktiv werden

Die Zentralbanken haben gezeigt, dass sie kraftvoll gegen einen dramatischen Anstieg der Inflation vorgehen können. Jetzt müssen die Notenbanken Kurs halten – und die Regierungen aktiv werden.

Die Zentralbanken haben ihren Beitrag geleistet, jetzt müssen andere aktiv werden

Die Macht der Zentralbanken und wo sie endet

Die Zentralbanken haben bewiesen, dass sie energisch handeln können, um den dramatischsten Anstieg der Inflation seit einer Generation abzuwenden. Sie haben Maßnahmen ergriffen, um die Kaufkraft der Menschen und Unternehmen zu schützen. Die letzte Etappe auf dem Weg zur Preisstabilität ist zwar noch nicht abgeschlossen, aber das Ende ist in Sicht.

Die Inflation trifft diejenigen am härtesten, die sich am wenigsten gegen sie absichern können. Interventionen waren notwendig, um den scheinbar unaufhaltsamen Anstieg der Lebenshaltungskosten zu stoppen. Um die Preisstabilität wiederherzustellen, haben die Zentralbanken die weltweit größte und am besten koordinierte geldpolitische Straffung seit Jahrzehnten durchgeführt.

Diese Episode hat gezeigt, wie wertvoll es ist, unabhängige Institutionen außerhalb des politischen Prozesses als Hüter der Preisstabilität zu haben. Ihre Fähigkeit, unabhängig von den Regierungen zu agieren, hilft den Zentralbanken, auch unangenehme und politisch unpopuläre Entscheidungen zu treffen, um die Inflation einzudämmen. 

Zentralbanken müssen Kurs halten

Sicherlich haben die Umstände geholfen. Sich erholende Handelsströme und sinkende Rohstoffpreise unterstützten die Disinflation. Wir haben jedoch in den 1970er Jahren gesehen, wie ein Inflationsschub, wenn er nicht bekämpft wird, zu einer Hochinflationsmentalität führen kann. Durch entschlossenes Handeln im Einklang mit ihrem Mandat haben die Zentralbanken verhindert, dass sich eine hohe Inflation verfestigt. Ohne ein rasches und entschlossenes Handeln der Zentralbanken hätte die Wiederherstellung der Preisstabilität mit erheblichen Einbußen an Wachstum und Beschäftigung verbunden sein können.

Jetzt ist es nicht an der Zeit, in unserer Wachsamkeit nachzulassen. Die Inflation ist zwar niedriger, aber mancherorts noch nicht niedrig genug. In den letzten Minuten eines jeden Spiels kann es zu Überraschungen kommen. Im Vergleich zu anderen Preisen hinken sowohl die Kosten für Dienstleistungen als auch die Nettolöhne den Trends vor der Pandemie hinterher, und eine rasche Aufholjagd könnte zu einem erneuten Aufwärtsdruck auf die Inflation führen. Die Zentralbanken müssen Kurs halten.

Grenzen der Geldpolitik

Der Inflationsschub nach der Pandemie war nur der letzte in einer Reihe von Tests für die Politik der Zentralbanken. In unserem jüngsten Jahreswirtschaftsbericht werfen wir von der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich einen Blick auf die turbulente Zeit seit der Jahrhundertwende, einschließlich der großen Finanzkrisen und des beispiellosen Experiments, die Weltwirtschaft aufgrund der Pandemie aus- und wieder anzuschalten.

Wir reflektieren über die Lehren, die aus diesen Erfahrungen gezogen werden können, sowie über die Implikationen für die Zukunft. Unsere Analyse zeigt vor allem, dass eine der wichtigsten Lehren aus dem vergangenen Vierteljahrhundert darin besteht, dass man erkennen muss, was die Geldpolitik leisten kann und was nicht.

Geldpolitik nicht für Feinsteuerung der Inflation geeignet

In diesem Zeitraum wurde die Macht der Geldpolitik deutlich. Es hat sich gezeigt, dass die Zentralbanken mit ihren Notmaßnahmen, mit denen sie die Liquidität sicherstellen, das Finanzsystem stabilisieren, die Kreditvergabe an Unternehmen und Haushalte unterstützen und eine Abwärtsspirale der Wirtschaft verhindern können. Wir haben gelernt, dass die Zentralbanken weltweit wichtige Akteure für die Wahrung der Finanz- und Preisstabilität sind.

Wir haben aber auch gelernt, dass die Geldpolitik keine Feinsteuerung der Inflation vornehmen kann. Es ist wichtig, dass die Zentralbanken handeln, wenn die Inflation überschießt. Solche Maßnahmen sind jedoch weniger gerechtfertigt und können sogar kontraproduktiv sein, wenn die Inflation einige Bruchteile eines Prozents unter den Zielen der Zentralbank liegt. Inflationsziele sollten eine Richtschnur sein, keine Zwangsvorstellung.

Unerwünschte Nebeneffekte

Eine außergewöhnlich starke und lang anhaltende geldpolitische Lockerung, die darauf abzielt, eine zu niedrige Inflation anzukurbeln, ist umso weniger wirksam, je länger sie andauert, und kann unerwünschte Nebeneffekte hervorrufen. Dazu gehören die Anhäufung von Schulden, die inzwischen einen historischen Höchststand erreicht haben, und Verzerrungen auf den Märkten und bei Investitionen. Außerdem wird der politische Handlungsspielraum der Zentralbanken eingeengt, was den Ausstieg aus den Konjunkturmaßnahmen und das Entwirren von Zentralbank- und Regierungspolitik erschwert. 

Politische Maßnahmen funktionieren besser, wenn sie Teil eines kohärenten Ganzen sind. Selbst jetzt, wo die Zentralbanken immer noch versuchen, die Inflation unter Kontrolle zu halten, sehen wir, dass die während der Pandemie eingeführten fiskalischen Unterstützungsmaßnahmen dies konterkarieren, indem sie die Wirtschaft ankurbeln und die Inflation anheizen.

Regierungen müssen handeln

Eine letzte Lehre ist, dass die Zentralbanken allein nicht in der Lage sind, das Wirtschaftswachstum und den Wohlstand dauerhaft zu steigern. Um den Grundstein für eine bessere wirtschaftliche Zukunft zu legen, müssen andere politische Entscheidungsträger, insbesondere die Regierungen, aktiv werden.

Um längerfristig davon zu profitieren, müssen die Regierungen rasch handeln, um ihre Haushalte auf eine solide Grundlage zu stellen und ihre Volkswirtschaften für die Zukunft aufzustellen. Sie müssen den Anstieg der öffentlichen Verschuldung begrenzen und akzeptieren, dass die Zinssätze nicht auf das extrem niedrige Niveau vor der Pandemie zurückkehren werden. Eine tragfähige Verschuldung ist sowohl für die Preis- und Finanzstabilität als auch für die Aufrechterhaltung des Wertes der Währung entscheidend.

Langfristig sind Strukturreformen der Schlüssel, um den Lebensstandard nachhaltig anzuheben und den wirtschaftlichen Wohlstand zu verbessern und den Menschen ein Gefühl der Zuversicht zu geben. Dies bedeutet, dass dauerhafte Maßnahmen ergriffen werden müssen, wie die Förderung des Wettbewerbs, die Erhöhung der Flexibilität und die Förderung von Innovationen. Die knappen öffentlichen Mittel sollten die Anpassung der Wirtschaft an neue Realitäten wie den Klimawandel und den technologischen Wandel, einschließlich der Revolution der künstlichen Intelligenz, unterstützen. Nur auf einem soliden Fundament können wir für die Zukunft bauen.


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