Französische Neuwahlen

Frankreich droht politischer Stillstand

Das Kalkül von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ist nicht aufgegangen: Der rechtsextreme RN und die linke Volksfront haben seine „Mitte“ überflügelt. Er steht nun politisch schlechter da als zuvor. Und Berlin kommt der Partner in der deutsch-französischen Achse abhanden.

Frankreich droht politischer Stillstand

Paris droht politischer Stillstand

Wahlverlierer Emmanuel Macron wird mit seiner Partei der Mitte nur drittstärkste Fraktion nach RN und Linksextremen

Das Kalkül von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ist nicht aufgegangen: Rechts- und Linksextreme haben seine „Mitte“ überflügelt. Er steht nun politisch schlechter da als zuvor. Und Berlin kommt der Partner in der deutsch-französischen Achse abhanden.

wü/lz Paris/Frankfurt

Die Märkte haben mit einer gewissen Erleichterung auf die Ergebnisse der ersten Runde der vorgezogenen Parlamentswahlen in Frankreich reagiert. Der CAC 40 legte am Montag im Handelsverlauf zu. Denn keines der von Investoren am stärksten befürchteten Szenarien, eine absolute Mehrheit für den rechtsextremen Rassemblement National (RN) oder das Linksbündnis Nouveau Front Populaire (NFP) unter Beteiligung der linksextremen Partei La France Insoumise (LFI), ist eingetreten.

Der RN und seine Verbündeten liegen jedoch laut den vom Innenministerium veröffentlichten Endergebnissen mit 33,15% deutlich vorn. Marine Le Pen vom RN sprach von einem Sieg. Das französische Volk habe das Lager von Macron praktisch ausgelöscht. Sie hoffe, dass der RN-Parteivorsitzende Jordan Bardella Regierungschef werde. Bardella selber hatte vor der ersten Wahlrunde erklärt, er wolle nicht Premierminister werden, wenn der RN keine absolute Mehrheit erhalte. Inzwischen ist er davon wieder abgerückt. Für die absolute Mehrheit sind 289 Sitze in der Nationalversammlung erforderlich.

Hohe Wahlbeteiligung

Das Mitte-Lager von Präsident Emmanuel Macron landete mit 20,04% auf Platz 3 hinter dem Linksbündnis NFP mit 27,99%. Wie viele der insgesamt 577 Sitze die Blöcke letztendlich in der Nationalversammlung bekommen, wird aber erst im zweiten Wahlgang am 7. Juli entschieden. 39 Abgeordnete des RN kamen bereits am Sonntag auf mehr als 50% der Stimmen, so dass sie direkt gewählt wurden. Bei der NFP waren es 32 Kandidaten, bei Macrons Lager jedoch nur zwei. Die Wahlbeteiligung lag mit 66,7% um fast 20% höher als bei den letzten Parlamentswahlen vor zwei Jahren.

Republikanische Front bröckelt

Zwar treibt die Sorge vor einem Erdrutschsieg des RN in der zweiten Wahlrunde andere Parteien um. Doch die sogenannte Front Républicain, die gemäßigte Parteien früher gebildet haben, um Kandidaten von rechtsaußen zu verhindern, bröckelt. Macron plädierte für einen „breiten, eindeutig demokratischen und republikanischen Zusammenschluss“, und auch das Linksbündnis NFP appellierte an Kandidaten, sich in Wahlkreisen zurückzuziehen, in denen andere bessere Chancen haben, den RN zu schlagen.

Doch die konservativen Republikaner verzichteten auf eine solche Empfehlung. Und LFI-Chef Jean-Luc Mélenchon empfiehlt den Rückzug nur in Wahlkreisen, in denen der RN vorn liegt. Wirtschaftsminister Bruno Le Maire wiederum empfahl, für Sozialisten, Grüne oder Kommunisten zu stimmen, bezeichnete jedoch die LFI als Gefahr für die Nation.

François Hollande, der in seinem Wahlkreis als Kandidat der Partei Neue Volksfront 37,6% der Stimmen erhielt, richtete einen Appell an die französischen Wählerinnen und Wähler, bei der Stichwahl am nächsten Sonntag eine absolute Mehrheit des rechtsextremen Rassemblement National zu verhindern. „Das ist unsere Verantwortung“, sagte der Vorgänger Macrons.

Während Moskau das Ergebnis der ersten Wahlrunde begrüßte, zeigten sich Deutschland und andere Verbündete Frankreichs besorgt. So sprach der polnische Premierminister Donald Tusk angesichts der Wahlen in Frankreich vor dem Hintergrund des Anstiegs des Rechtsextremismus in Europa von einer großen Gefahr. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock wiederum erklärte, es könne niemanden kaltlassen, wenn beim allerengsten Partner eine Partei weit vorn liege, die in Europa das Problem und nicht die Lösung sehe.

Herbe Niederlage

Für Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ist das Ergebnis eine herbe Niederlage. Er hatte darauf gesetzt, mit der vorgezogenen Neuwahl die relative Mehrheit seiner Mitte-Kräfte in der Assemblée Nationale auszubauen. Das scheint nun äußerst unwahrscheinlich. Sollte Prognosen zufolge keines der Lager eine absolute Mehrheit erlangen, stünde Frankreich vor zähen Verhandlungen um eine Koalition.

Macron hatte vor dem ersten Wahlgang gewarnt, durch die Programme der Parteien am rechten und linken Rand drohe die Gefahr eines „Bürgerkriegs“ – eine drastische Wortwahl, zumal Paris in wenigen Wochen die Olympischen Spiele ausrichtet. Die Neuwahl und der drohende Rechtsruck sorgten auch schon für Verunsicherung an den Finanzmärkten. Die Risikoprämie für französische Staatsanleihen war am Freitag auf den höchsten Stand seit der Euro-Schuldenkrise 2012 gestiegen.

Prognosen gehen davon aus, dass Marine Le Pens Rechtspopulisten und ihre Verbündeten im Unterhaus mit 230 bis 280 Sitzen stärkste Kraft werden könnten. An der absoluten Mehrheit mit 289 Sitzen könnten sie aber vorbeischrammen. Der RN erhebt für sich den Anspruch, die neue Regierng zu bilden.

Auch die Linken könnten zulegen und auf 125 bis 200 Sitze kommen. Macrons Liberalen droht, auf nur noch 60 bis 100 Sitze abzusacken. Genaue Aussagen zur Sitzverteilung sind bisher aber schwierig. Vor der zweiten Wahlrunde können die Parteien noch lokale Bündnisse schmieden, die den Wahlausgang beeinflussen.

Politischer Stillstand

Sollte, wie in den Prognosen nun vermutet, keines der Lager eine absolute Mehrheit erlangen, stünde Frankreich vor zähen Verhandlungen um eine Koalition. Ein Zusammenkommen der grundverschiedenen politischen Akteure ist derzeit nicht absehbar. Erschwerend kommt hinzu, dass die französische politische Kultur eher auf Konfrontation als auf Kooperation ausgelegt ist.

Gemeinsam könnten die Oppositionskräfte womöglich die derzeitige Regierung des Macron-Lagers stürzen. Ohne eine Einigung auf eine Zusammenarbeit dürfte aber auch keine andere Regierung eine Mehrheit im Parlament finden. Möglich ist, dass die aktuelle Regierung in einem solchen Fall als eine Art Übergangsregierung im Amt bleibt oder eine sogenannte technische, aus Experten bestehende Regierung eingesetzt wird.

Le Pen will Extrem-Image loswerden

Le Pen (55) ist bemüht, das Image ihrer nationalistischen Partei aufzupolieren und sie als politische Bewegung darzustellen, die Kaufkraft stärken und Jobs sichern will. Das Gesicht des RN prägt mittlerweile auch Parteichef Bardella. Er umgarnt Arbeitgeber und stellt niedrigere Unternehmenssteuern in Aussicht.

Ministerpräsident Gabriel Attal von Macrons Renaissance warnte eindringlich vor einem Sieg der Rechten und auch des Linksbündnisses NFP. Die Rechtsextremen würden den Platz Frankreichs in der EU und die Unterstützung für die Ukraine gefährden und das Risiko einer „Unterwerfung unter Russland“ mit sich bringen. Bardella ging aber jüngst auf Distanz zu Moskau. Er sehe Russland als „eine mehrdimensionale Bedrohung sowohl für Frankreich als auch für Europa“. Er sei dafür, die Ukraine weiter mit Logistik und Verteidigungsgütern zu unterstützen. Doch ziehe er eine rote Linie bei allem, was russische Städte direkt treffen könnte.

Insgesamt würde Frankreich aber, sofern sich die drei Lage gegenseitig blockieren und sich keine klare Mehrheit für eine Koalition zusammenfindet, politischer Stillstand drohen. Neue Vorhaben könnte eine Regierung ohne Mehrheit nicht auf den Weg bringen. Eine erneute Auflösung des Parlaments durch Macron und Neuwahlen sind zudem erst im Juli 2025 wieder möglich.

Achse Paris-Berlin zerbrochen

Für Deutschland und Europa hieße das, dass Paris als wichtiger Akteur in Europa und Teil des deutsch-französischen Tandems plötzlich nicht mehr tatkräftig zur Verfügung stehen würde. Statt neuer Initiativen stünde in Frankreich Verwaltung an der Tagesordnung. Das Amt von Staatschef Macron bleibt von der Wahl zwar unangetastet, doch ohne handlungsfähige Regierung könnte auch er seine Projekte nicht durchsetzen. Deutschland und Europa müssten sich darauf einstellen, dass das gespaltene Land keinen klaren Kurs mehr verfolgt und unzuverlässiger wird.

Im Gegensatz zu Macron gibt der RN nämlich wenig auf die seit Jahrzehnten enge Zusammenarbeit mit Deutschland. Die europaskeptischen Nationalisten streben zudem danach, den Einfluss der Europäischen Union in Frankreich entscheidend einzudämmen. Sie könnten versuchen, in Brüssel etliche Vorhaben aus Eigeninteressen auszubremsen. Auch sind sie gegen die Erweiterung der EU, und sie stehen der Nato skeptisch gegenüber.

Als Präsident hat zwar Macron in der Außenpolitik Vorrang. Sollte RN-Chef Jordan Bardella oder ein anderer Rechtspopulist Premier werden, dürfte er seine Linie aber schwerlich ungehindert fortsetzen können.

Schwung von der Europawahl

Der RN profitierte von dem Schwung der Europawahl, bei der die Partei deutlich stärkste Kraft in Frankreich wurde. Bereits seit Jahren ist Le Pen zudem bemüht, den RN zu „entteufeln“ und von seiner rechtsextremen Geschichte und Parteigründer Jean-Marie Le Pen und dessen Holocaustverharmlosung zu entkoppeln.

Mit ihrem Weichspülkurs hat sie die Partei bis weit in die bürgerliche Mitte hinein wählbar gemacht. Mit Jordan Bardella steht zudem nun ein frischer Politiker an der Spitze, der besonnener auftritt als Strippenzieherin Le Pen und nicht mit deren Familienclan verbandelt ist. Die Partei dürfte zudem von der Verunsicherung angesichts der multiplen globalen Krisen sowie von Frust und Enttäuschung über Macron profitiert haben.

Überraschende Einigkeit der Linken

Staatschef Macron und seinen Anhängern dürfte die überraschende Einigkeit des linken Lagers bei der Wahl zum Verhängnis geworden sein. Mehrfach hatte er zur Zusammenarbeit gegen die Extreme aufgerufen. Jedoch schlossen sich weder die konservativen Républicains noch Sozialisten oder Grüne für die Wahl mit ihm zusammen. Die Auflösung der Nationalversammlung wurde von vielen in Frankreich als unverantwortlich gewertet. Auch dies lasteten Französinnen und Franzosen Macron an.

Das linke Lager punktete mit dem neu geformten Bündnis, hinter das sich trotz interner Unstimmigkeiten etliche Menschen aus dem linken Spektrum stellten. Dass die Führungsfrage, also wer bei einem Wahlsieg Premier werden soll, offengelassen wurde, dürfte zudem auch jene Wähler ins Boot geholt haben, die einem Bündnis mit dem populistischen Altlinken Jean-Luc Mélenchon kritisch gegenüberstehen.

Macron erklärte dem Élysée-Palast zufolge, dass die hohe Wahlbeteiligung den Willen zeige, die politische Situation zu klären. Mit Blick auf das RN-Ergebnis sagte er, es sei an der Zeit, für den zweiten Wahlgang einen breiten, eindeutig demokratischen und republikanischen Zusammenschluss zu bilden.