Jörg Krämer

„Eine neue Generation von Zentral­bankern am Ruder“

Im Interview mit der Börsen-Zeitung spricht Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer über die weltweit vielerorts zu hohe Inflation, die Reaktion der Notenbanken – und künftige Herausforderungen für die Geldpolitik.

„Eine neue Generation von Zentral­bankern am Ruder“

Mark Schrörs.

Herr Krämer, weltweit straffen die Zentralbanken wegen der hohen Inflation die Geldpolitik – obwohl zugleich wegen des Ukraine-Kriegs und des China-Lockdowns die Sorge vor einer globalen Rezession wächst. Müssen die Währungshüter nun einen stärkeren Wirtschaftseinbruch in Kauf nehmen, um die Inflation wieder zu senken?

Anfang der 1980er Jahre musste der damalige US-Notenbankpräsident Paul Volcker mit Leitzinsen von fast 20% eine Rezession in den USA auslösen, um die hartnäckig hohe Inflation zu brechen. Vermutlich ist das Inflationsproblem heutzutage nicht so schlimm wie damals. Es sollte insbesondere im Euroraum möglich sein, die zuletzt gestiegenen Inflationserwartungen ohne eine Rezession wieder zu senken. Aber je länger die EZB zögert, desto höher werden später die konjunkturellen Kosten, um die Inflation wieder in Richtung 2% zu bringen.

Die große Sorge vieler Notenbanker gilt vor allem einer Lohn-Preis-Spirale, die den Preisauftrieb verfestigt. Davor warnt auch die Zentralbank der Zentralbanken BIZ. Für wie groß halten Sie diese Gefahr – insbesondere in den USA und im Euroraum?

Die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale ist in den USA groß. Schließlich ist der Arbeitsmarkt dort heißgelaufen; auf einen Arbeitslosen kommen rechnerisch fast zwei offene Stellen. Der Anstieg der Arbeitskosten hat sich beschleunigt. Die US-Notenbank hatte gute Gründe, jetzt ihren Leitzins gleich um einen halben Prozentpunkt zu erhöhen. Im Euroraum sind die Löhne zwar nach den zuletzt verfügbaren Daten weiter nur moderat gestiegen. Aber die Gewerkschaften haben wegen der hohen Inflation ihre Lohnforderungen hochgeschraubt. Für ein Anziehen der Arbeitskosten spricht auch, dass die Arbeitslosenquote im Euroraum noch nie so niedrig war.

Tatsächlich hat die US-Notenbank nun die Normalisierung der Geldpolitik beschleunigt. Der US-Realzins, also abzüglich der Inflation, verharrt aber weiter deutlich im negativen Bereich. Müsste die Fed sogar noch aggressiver vorgehen?

Die US-Notenbanker erwarten, dass längerfristig ein Leitzins von 2,5% ausreicht, um die Inflation wieder zu senken. Aber ich bezweifle, dass das reicht. Schließlich folgen Schätzungen des sogenannten gleichgewichtigen Realzinses häufig der Inflation. Wegen der überraschend hohen Inflation dürften die Volkswirte ihre Schätzungen für den gleichgewichtigen Realzins nach oben revidieren. Nach meinem Eindruck müsste die US-Notenbank ihren Leitzins mindestens auf 3,5% anheben, nur um ein neutrales Niveau zu erreichen, bei dem die Geldpolitik die Konjunktur nicht mehr anschiebt.

Die Europäische Zentralbank (EZB) agiert zaghafter als andere Zentralbanken, auch wenn sie sich zunehmend für erste Zinserhöhungen noch in diesem Jahr öffnet. Sollte die EZB die Normalisierung entschlossener angehen?

Ja, die EZB sollte entschlossener vorgehen. Genau wie die USA hat auch der Euroraum ein Inflationsproblem. Die Inflationserwartungen der Menschen sind bereits deutlich gestiegen. Die weiter sehr lockere Geldpolitik facht die Inflationsängste weiter an. Es ist höchste Zeit, dass die EZB entschieden gegensteuert. Sie sollte ihren Leitzins nicht nur in Trippelschritten von jeweils 25 Basispunkten erhöhen. Mit Blick auf das Inflationsproblem wäre im Juli eine Erhöhung um einen halben Prozentpunkt angemessen.

Wie schätzen Sie denn die längerfristigen Inflationsperspektiven weltweit ein – stehen wir vor einem neuen Inflationsregime? Und wenn ja, was bedeutet das für die Geldpolitik und Strategien der Zentralbanken?

In den meisten westlichen Ländern sind die Staatsschulden sehr hoch. Deshalb drängen die Politiker auf eine lockere Geldpolitik. Außerdem ist eine neue Generation von Zentralbankern am Ruder, die nicht mehr erlebt haben, wie schwer es Anfang der 1980er Jahre war, die Inflation zu brechen. Die westlichen Notenbanken dürften deshalb nicht entschieden genug gegen die hohe Inflation vorgehen. Außerdem wird die Inflation durch andere Faktoren wie die Klimapolitik, die Deglobalisierung und den sinkenden Anteil der Menschen im arbeitsfähigen Alter erhöht. Leider dürfte die Inflation noch mehrere Jahre deutlich über der Zielmarke von 2% liegen.

Die Fragen stellte

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