Ökonomin Evelyn Herrmann

„Es braucht deutliche Zinssenkungen“

Die Ökonomin Evelyn Herrmann von der Bank of America plädiert für deutliche Zinssenkungen der EZB bis Ende 2025. Weshalb der Einlagensatz unter 2% fallen sollte, erklärt sie im Interview.

„Es braucht deutliche Zinssenkungen“

„Es braucht deutliche Zinssenkungen“

Ökonomin der Bank of America hält Geldpolitik für restriktiver als der EZB-Rat

Die Leiterin der volkswirtschaftlichen Abteilung für Europa der Bank of America hält die Zinssenkung der EZB am Donnerstag für richtig. „Die EZB ist derzeit viel zu restriktiv“, sagt Evelyn Herrmann im Interview der Börsen-Zeitung. Daher spricht sie sich für mehrere Lockerungen in Folge in Höhe von 25 Basispunkten bis Juni 2025 aus. „Es braucht deutliche Zinssenkungen“, sagt Herrmann. Bis Jahresende 2025 sollte der Einlagensatz ihrer Einschätzung nach dann bei 1,5% liegen.

Damit läge er auf einem Niveau, das viele Ökonomen und auch die EZB selbst für expansiv halten – was also die wirtschaftliche Entwicklung ankurbelt. Herrmann sieht das anders. Sie schätzt den neutralen Zins, der keine negativen oder positiven Wachstumsimpulse verursacht, auf ebendiese 1,5%. Ein Großteil der Ökonomen verortet ihn dagegen irgendwo zwischen 2 und 2,5%, manche sogar auf 2,5 bis 3%. Der neutrale Zins lässt sich nicht ausrechnen, sondern nur schätzen.

Debatte um neutralen Zins

Herrmann glaubt nicht, dass der neutrale Zins, wie von der EZB vermutet, in den vergangenen Jahren aus strukturellen Gründen wie etwa dem demografischen Wandel oder der grünen Transformation der Wirtschaft gestiegen ist. „Ich halte es für schwer zu argumentieren, warum der neutrale Zins höher liegen soll als vor 2019“, sagt Herrmann. „Nehmen wir mal das Beispiel Arbeitsmarkt: Ein knappes Arbeitskräfteangebot könnte zu höheren Löhnen und einer höheren Inflation führen. Genauso könnten aber auch weniger Menschen im arbeitsfähigen Alter die gesamtwirtschaftliche Nachfrage senken, was die Inflation dämpft.“

Sollte die EZB ihre Geldpolitik auf die strukturellen Aufwärtsrisiken für die Inflation ausrichten, die ebenso vorhandenen Abwärtsrisiken aber ausblenden, drohe eine dauerhaft zu restriktive Geldpolitik – mit entsprechend negativen Folgen für die Wirtschaft. Die bereits erfolgten Zinssenkungen wiederum zeigten Herrmann zufolge bereits erste Wirkungen. Die Kreditkonditionen würden bereits nicht mehr straffer.

mpi Frankfurt

Leitartikel Seite 2 Im Interview Seite 8

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