„Es wäre wichtig, die Binnennachfrage zu stärken“
„Es wäre wichtig, die Binnennachfrage zu stärken“
Im Interview: Ed Parker und Brian Coulton
Deutschland braucht mehr öffentliche Investitionen, fordern die Ratingexperten von Fitch – Euro-Bonds nicht der richtige Weg
Weshalb eine Anpassung der Schuldenbremse in Deutschland sinnvoll sein könnte, erklären Ed Parker und Brian Coulton von Fitch Ratings im Interview. Der Leiter der Forschungsabteilung und der Chefökonom sprechen zudem über die Ursachen für die niedrige Produktivität in Europa.
Herr Parker, Herr Coulton, die Staatsverschuldung steigt in vielen Ländern, wie zum Beispiel in den USA, deutlich an. Glauben Sie, dass die US-Finanzpolitik zu expansiv ist?
Parker: Wir haben die USA im vergangenen Jahr von „AAA“ auf „AA+“ herabgestuft, und das war vor allem auf die Verschlechterung der öffentlichen Finanzen zurückzuführen. Diese war ziemlich umfangreich und schnell. Wir gehen davon aus, dass die USA im Jahr 2024 ein Haushaltsdefizit von etwa 8% des BIP haben werden. Dies ist ein außergewöhnliches Niveau, ohne dass es zu einer Rezession oder einem Krieg kommt. Wenn man sich die langfristigen Projektionen ansieht, wird es in den kommenden Jahrzehnten nicht weniger werden.
In Europa diskutieren wir auch über hohe Defizite einiger Staaten, zum Beispiel Frankreich und Italien. Wie beurteilen Sie die Situation in Europa?
Parker: Seit der Pandemie hat es eine gewisse Haushaltskonsolidierung gegeben. Ein Teil der leichteren Konsolidierung hat wirklich Effekte gezeigt. Was noch zu tun bleibt, sind einige härtere Entscheidungen über Steuererhöhungen oder Ausgabenkürzungen. In vielen Ländern gibt es offensichtlich ein schwieriges soziales oder politisches Umfeld, um diese schmerzhaften Einschnitte vorzunehmen. Und dann ist da noch das Problem des sogenannten Fiskalmultiplikators, weshalb jede Nettoverknappung der Finanzpolitik zu einem schwächeren BIP-Wachstum führen wird. Dadurch sinken dann die Steuereinnahmen.
Zumindest aber helfen die Zinssenkungen vieler Zentralbanken den Regierungen, ihre Haushalte zu konsolidieren.
Parker: Ja, aber nicht auf kurze Sicht. Der durchschnittliche Zinssatz für den Bestand an Staatsschulden wird weiter steigen. Die Schulden werden fällig und müssen an den Märkten refinanziert werden. Sie wurden zu einem sehr günstigen Zinssatz ausgegeben, und die aktuellen Zinssätze sind noch höher.
Werfen wir einen Blick auf Deutschland. Wäre es für die künftige Zahlungsfähigkeit Deutschlands besser, die fiskalischen Regeln anzupassen, um Investitionen zu fördern und das Wachstum zu unterstützen?
Parker: Nun, Deutschland hat ein AAA-Rating mit stabilem Ausblick. Es ist also klar, dass das Rating nicht höher werden kann. Aus Sicht der öffentlichen Finanzen ist ein geringes Haushaltsdefizit und eine sinkende Staatsverschuldung etwas, das die Kreditwürdigkeit tendenziell unterstützt. Aber aus der Wachstumsperspektive sind die Investitionen in Deutschland niedrig. Höhere öffentliche Investitionen sind also etwas, das wahrscheinlich das Wachstum stärken und sich daher auszahlen würde.
Coulton: Die deutsche Wirtschaft ist sehr stark von der Auslandsnachfrage abhängig. Daher wäre es wichtig, die Binnennachfrage zu stärken. Es ist nicht nur die hohe Sparquote der Haushalte, die die Inlandsnachfrage hemmt. Ein weiterer Grund ist die niedrige Arbeitsproduktivität. Mehr Investitionen könnten diese Produktivität steigern.
Warum ist die Produktivität in Europa niedriger als in den USA? Liegt es daran, dass die Vereinigten Staaten in Bereichen wie Digitalisierung und künstliche Intelligenz erfolgreicher sind?
Coulton: Zum einen ist die Venture-Capital-Branche in den USA größer. Es gibt auch mehr Start-ups. Ich glaube aber auch, dass die jüngsten Abweichungen auf die sehr starke Nachfrage in den Vereinigten Staaten zurückzuführen sind. Wenn die Nachfrage stark ist, müssen die Unternehmen einfach mehr Leistung aus ihren vorhandenen Arbeitskräften herausholen. In den letzten Jahren hatten die Unternehmen in den USA Schwierigkeiten, Stellen zu besetzen.
Der ehemalige EZB-Präsident Mario Draghi schlägt gemeinsame Euro-Anleihen vor, um Investitionen und Produktivität in der Eurozone anzukurbeln. Was ist Ihre Meinung zu diesem Thema?
Parker: Wir gehen nicht davon aus, dass die EU dies umsetzen wird. Wir halten es für plausibler, dass ein Teil der bestehenden Kredite aus dem Next-Generation-Programm der EU, die fällig werden, refinanziert wird. Wir sehen einen erheblichen politischen Widerstand gegen eine starke Ausweitung der EU-Kreditaufnahmekapazität.
Aber was wären die Auswirkungen, wenn es gemeinsame Euro-Anleihen gäbe? Zum Beispiel auf die Ratings der Staaten.
Parker: Ich glaube nicht, dass es einen großen Einfluss auf die Ratings hätte. Aber das hängt natürlich von den genauen Parametern ab, die die Anleihen haben würden. Und wenn wir an das Next-Generation-Programm denken, dann ist es eher etwas, das eine Art von Unterstützung für das wirtschaftliche Umfeld bietet, aber es hat selbst nicht zu mittleren Upgrades in den verschiedenen Ländern geführt. Außerdem ist zu bedenken, dass es sich nicht um einen magischen Geldbaum handelt, wenn die EU Kredite aufnimmt. Die EU setzt sich aus verschiedenen Ländern zusammen. Sie würden diese Schulden aus den künftigen Beiträgen zum EU-Haushalt zurückzahlen. Die Eventualverbindlichkeiten der einzelnen Regierungen innerhalb der EU würden sich also gleichzeitig erhöhen.
Wir teilen nicht wirklich die Sorgen, die die Fed hinsichtlich des Arbeitsmarktes geäußert hat.
Brian Coulton, Chefökonom Fitch Ratings
Kommen wir zur Geldpolitik, die EZB hat im Oktober die Zinsen gesenkt. Was erwarten Sie von der EZB in den kommenden Monaten?
Coulton: Ich denke, wir werden in diesem Jahr eine weitere Zinssenkung erleben und 2025 vier. Es gab einige ziemlich gute Nachrichten in Bezug auf das nachlassende Lohnwachstum, und wir beginnen zu sehen, dass die Stückgewinne nicht mehr so stark steigen. Die Inflationsdaten waren oft besser als erwartet, und die Wachstumsperspektiven sind eher rückläufig. Auch der Arbeitsmarkt kühlt sich ab.
Die US-Notenbank hat die Zinswende im September überraschend mit einer Lockerung um 50 Basispunkte eingeleitet. War dies die richtige Entscheidung?
Coulton: Unserer Meinung nach haben die Daten eine Senkung um 25 Basispunkte gerechtfertigt. Wir teilen nicht wirklich die Sorgen, die die Fed hinsichtlich des Arbeitsmarktes geäußert hat. Es stimmt zwar, dass die Arbeitslosigkeit in den USA gestiegen ist, aber das war nicht mit einem Rückgang der Arbeitsplätze verbunden. Die Einwanderung in den USA hat stark zugenommen, und das hat die Zahl der Arbeitskräfte erhöht. Aber nicht alle haben sofort Arbeit gefunden. Diese Dynamik ist weniger besorgniserregend als die Tatsache, dass Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren.
Das Interview führte Martin Pirkl.
Das Interview führte Martin Pirkl.